Ballhausplatz 32

Gerald Loacker: „Aus Nettigkeit den Mund zu halten gehört nicht zu meinen Qualitäten“

NEOS-Mandatar Gerald Loacker chattet über notwendige Reformen, den eigenen Abschied aus der Politik und wie ihn der Flugmodus seines Handys vor einem Ministeramt schützt.

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Dreimal kommt der Nationalrat vor der Wahl im Plenum noch zusammen. Für die Regierungsparteien ÖVP und Grüne werden diese Tage entscheidend: Rund 50 Regierungsvorhaben sollen noch vor Herbst beschlossen werden und egal ob Behindertenpaket, neues Tierschutzgesetz, Reform der Strafprozessordnung, Unterstützung für Gemeinden oder Aufstockung des Katastrophenfonds: Alles, was liegen bleibt, ist eine Niederlage für die Koalition.

Doch selbst wenn die Regierung alle geplanten Projekte durchbekommt, reicht das nicht allen: NEOS-Mandatar Gerald Loacker hätte sich etwa von der Regierung mehr strukturelle Reformen gewünscht. Dass der Vorarlberger die ÖVP und Grüne kritisiert, wundert nicht: Loacker ist erstens Oppositionspolitiker und zweitens besonders streitbar. Nach 11 Jahren im Parlament endet seine Zeit in der Politik allerdings mit der nächsten Legislaturperiode. Loacker will in die Privatwirtschaft wechseln auch wenn der Sprung dorthin mit 50 nicht mehr der Leichteste ist.

Was der Flugmodus auf seinem Handy mit einem möglichen Ministeramt zu tun hat, verrät Gerald Loacker in einem Chat, in dem der NEOS-Mandatar einen neuen Tipp-Geschwindigkeits-Rekord aufstellt und der mit einem feurigen Probealarm endet:

Max Miller

Herr Loacker, Sie verabschieden sich aus dem Parlament und wechseln in die Privatwirtschaft. Warum eigentlich?

Gerald Loacker

Das hat mehrere Gründe:
Erstens wollten wir NEOS nie auf Dauer in die Politik gehen.
Zweitens bin ich in einem Lebensalter (50), wo der Umstieg noch möglich ist. In fünf Jahren wäre es wohl schwieriger.

Max Miller

Ist es mit 50 noch so leicht, einen angemessenen Job zu finden?

Gerald Loacker

Zumindest finde ich mich in einer Situation, die mich optimistisch stimmt, eine gute Aufgabe zu finden. Die Arbeitsmarktlage kommt derzeit sicher den 50-Jährigen besser entgegen, als das noch vor 10 Jahren der Fall gewesen wäre.

Gerald Loacker

Leicht ist es nicht.

Max Miller

Also haben Sie noch keinen konkreten Job in Aussicht? Dornbirner Bürgermeister wollen Sie ja nicht werden.

Gerald Loacker

Es gibt mehrere Gespräche, aber keinen unterschriebenen Vertrag für eine neue Tätigkeit. Ein politisches Mandat wird es sicher nicht sein.

Max Miller

Das heißt logischerweise: Sie stünden auch als Minister nicht mehr zur Verfügung?

Gerald Loacker

Meine Themenschwerpunkte sind Arbeit und Soziales. Ich kann mir heute keine Regierungskonstellation vorstellen, in der eines meiner Themenfelder in die Verantwortung von NEOS käme.

Max Miller

Und falls die Realität Ihre Vorstellungskraft überholt? "Wir werden uns noch wundern, was alles möglich ist", hat ein ehemaliger Bundespräsidentschaftskandidat ja gesagt.

Gerald Loacker

Dann werden wir sehen, ob in der großen Zahl an kompetenten Leuten bei NEOS bei mir das Telefon klingelt. Die meisten Politiker werden ja in der Nacht angerufen, ob sie ein Ministeramt übernehmen - da ist mein Handy im Flugmodus. Es ist daher wirklich sehr unwahrscheinlich, dass ich hier zum Zug käme. 😉

Max Miller

Digital Detox als Schutz vor einem Ministeramt - wohl auch ein Novum.

Max Miller

Blicken wir doch zurück auf Ihre Karriere: Sie waren Vorstreiter gegen nahezu alle Privilegien, forderten Einsparungen bei Pensionen, das Ende der Pflichtmitgliedschaft der Kammern und sorgten zuletzt für Aufregung in der Bauernschaft. Gibt es eine Berufsgruppe, der Sie nie auf die Zehen getreten sind?

Gerald Loacker

Die Arbeiter, Angestellten, Selbständigen in der freien Wirtschaft, die mit ihrer Arbeit unser Gemeinwesen finanzieren, waren immer im Fokus meiner Arbeit. Bei denen, die aus öffentlichen Geldern finanziert werden, habe ich immer streng hingeschaut.

Gerald Loacker

Mit Steuergeld sollte ein Politiker umgehen, als ob es sein eigenes Geld wäre. Das verstehen die Wenigsten in unserer Branche.

Gerald Loacker

Und aus Nettigkeit den Mund zu halten gehört nicht zu meinen Qualitäten.

Max Miller

Besonders schweigsam sind Sie nicht, das lässt sich quantifizieren: Sie haben sich in dieser Legislaturperiode bisher 299 Reden gehalten, mehr als jede:r andere Abgeordnete. Wird Ihnen diese Bühne in der Privatwirtschaft nicht fehlen?

Gerald Loacker

2013 wurde ich ganz überraschend gewählt. Da habe ich mir gesagt: "Alles, was Du anbringen willst, musst Du jetzt anbringen. Das kann schnell vorbei sein." Niemand hätte darauf gewettet, dass ich 11 Jahre in dieser Position sein würde. Jetzt merke ich, dass ich die Geduld nicht mehr in vollem Ausmaß habe, dasselbe Thema zum x-ten Mal von vorne zu diskutieren. Da entsteht die Gefahr, zum Zyniker zu werden oder zu verbittern. Daher ist es gut, einen Schlussstrich zu ziehen.

Max Miller

Für Rede 300 werden Sie aber dennoch etwas Besonderes vorbereiten, oder?

Gerald Loacker

Da zähle ich nicht mit. Die Tagesordnung gibt das Thema vor. Das kann also auch etwas sehr Trockenes oder ein ganz unspektakuläres Thema sein, vielleicht die Umsetzung der DORA-Verordnung oder etwas dergleichen.

Max Miller

Realistischerweise wird es auch Ihre letzte Rede sein.

Gerald Loacker

Es sind wenige Sitzungen, an denen ich nur einen Redebeitrag habe. Wir haben jedenfalls noch mindestens drei Plenartage. Wohl näher bei 305 als bei 300.

Max Miller

Viele andere hätten wohl auf die runde Zahl gezielt, aber tatsächlich liegt auch noch viel im Parlament: ÖVP und Grüne haben zuletzt rund 50 Vorhaben eingebracht, die vor Herbst noch beschlossen werden sollen. Kann man der Koalition da wirklich Untätigkeit vorwerfen?

Gerald Loacker

Die Umsetzung von EU-Richtlinien ist keine großartige Leistung, für die ich eine Regierung loben würde - da handelt es sich um eine österreichische Verpflichtung. Meine Musiklehrerin hätte gesagt: "Das ist ja wohl das Mindeste, was Du tun kannst!"

Gerald Loacker

Das, was wirklich nötig wäre, nämlich steuerliche Entlastung und Reduktion der Staatsausgaben, zählt nicht zu den Feldern, in denen noch Regierungsvorhaben im Parlament liegen.

Max Miller

Letzte Frage: Das Mindeste, was Sie im Herbst politisch tun könnten, wäre, auf den Straßen für die Nationalratswahl und Vorarlberger Landtagswahl Stimmen für die Neos zu sammeln. Machen Sie das noch oder ist das Kapitel Politik wirklich ganz vorüber?

Gerald Loacker

Das mache ich auf jeden Fall noch. Ich bleibe natürlich NEOS verbunden und freue mich über weitere Erfolge unserer Organisation. Dazu zählt, dass wir wieder ein Mandat aus Vorarlberg für den Nationalrat 2024 beisteuern und auch im Oktober ein Plus bei der Landtagswahl erzielen, um liberalen Ideen in Vorarlberg eine starke Stimme zu verleihen.

Gerald Loacker

Und daher werde ich überall, wo mein Einsatz im Wahlkampf gefragt ist, noch gerne etwas beitragen.

Max Miller

Herr Loacker, bei uns ertönt gerade der Feueralarm. Ich danke für den Chat!

Gerald Loacker

Oh, dann hoffen wir, dass es eine Übung ist.
Schöne Grüße und einen sicheren und erfolgreichen Tag!

Zur Beruhigung: Es handelte sich tatsächlich um einen Probe-Feueralarm in der profil-Redaktion.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.