Othmar Karas (ÖVP)
Ballhausplatz 39

Othmar Karas: „Debatten habe ich immer gerne geführt“

Othmar Karas, Erster Vizepräsident im EU-Parlament a. D., chattet über Meinungsunterschiede mit der ÖVP und den europäischen Spirit.

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Es gibt wenige Politiker, die ihre eigene Partei so offen kritisieren, wie Othmar Karas. „Unverantwortlich und unsäglich“ nannte der ÖVP-ler die Blockade von Rumänien und Bulgarien in den Schengen-Raum. Während Parteichef und Bundeskanzler Karl Nehammer „Ja zum Auto“ sagt, war Karas im Frühjahr der einzige ÖVP-Abgeordnete, der das Aus von Verbrennungsmotoren ab 2035 befürwortete. Die Debatte um die Abschaffung des Bargeldes vergangenes Jahr rügte er ebenfalls, denn: „Das stärkt am Ende nur jene, die keine Lösungen wollen, namentlich die FPÖ.“

Von 2022 bis zum Sommer hielt Karas als Erster Vizepräsident im europäischen Parlament einen einflussreichen Posten inne – bis er nach 25 Jahren nicht mehr zur EU-Wahl antrat und sein Büro in Brüssel räumte. Er war Anwärter für die Position als EU-Kommissar, Grüne und Neos galten als seine Befürworter. Geeinigt hat sich die Regierung dennoch auf ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner.

Mit profil chattet der 66-jährige Karas darüber, was sich Österreich vom EU-Parlament abschauen kann, und warum er weiterhin politische Verantwortung übernehmen will.

profil-Redakteurin Elena Crisan
Elena Crisan

Es sind noch sieben Wochen bis zur Nationalratswahl: Werden Sie die ÖVP wählen?

Othmar Karas

In diesen sieben Wochen erwarte ich mir von allen Beteiligten vor allem einen anderen Wahlkampf, als er sich momentan abzeichnet. Wir brauchen einen Wettbewerb der besten Ideen, um Österreich in Europa zu stärken. Ich bin ÖVP-Mitglied, habe aber auch immer klargestellt, in welchen Punkten ich anderer Meinung bin.

profil-Redakteurin Elena Crisan
Elena Crisan

Heuer treten besonders viele Kleinparteien an – teilweise mit ähnlichen Programmen. Sind neun Parteien am Stimmzettel zu viel?

Othmar Karas

Nein. Wer die Voraussetzungen erfüllt, kann antreten – das ist das Gute an einer liberalen Demokratie. Worum es mir geht ist, dass es zu einer Zusammenarbeit ohne Extreme kommt. Wir haben einen hohen Reformbedarf und müssen die Herausforderungen mutig angehen.

profil-Redakteurin Elena Crisan
Elena Crisan

Vor etwa einem Monat hatten Sie Ihren letzten Arbeitstag. Ist das erleichternd, Debatten über den Klimaschutz oder Ukraine-Hilfen nicht mehr beruflich führen zu müssen?

Othmar Karas

Nein, Debatten habe ich immer gerne geführt. Das war immer eine große Stärke des Europäischen Parlaments. Wir haben debattiert und gemeinsam den Kompromiss gesucht und damit Lösungen erarbeitet. Diese politischen Debatten werde und möchte ich auch in Zukunft weiter führen.

profil-Redakteurin Elena Crisan
Elena Crisan

Das klingt aber weniger nach einer ruhigen Pension. Verraten Sie uns Ihre Pläne?

Othmar Karas

Ich habe noch einige zivilgesellschaftliche Funktionen, wie etwa als Präsident des Hilfswerk Österreich. Und ich möchte auch weiterhin die überparteiliche Zusammenarbeit stärken. Für mich war Politik immer mehr als Parteipolitik. Auch wenn ich kein Mandat mehr habe, werde ich meine politische Verantwortung wahrnehmen.

profil-Redakteurin Elena Crisan
Elena Crisan

Was kann sich dahingehend das österreichische Parlament vom europäischen abschauen?

Othmar Karas

Einiges! Die Abgeordneten im Europäischen Parlament nehmen mehrheitlich ihre individuelle Verantwortung stärker wahr. Das EP ist auch viel mehr ein Arbeitsparlament. 90% der Vorlagen der EU-Kommission werden im EU-Parlament abgeändert. Im Nationalrat werden die meisten Regierungsvorlagen einfach beschlossen.

profil-Redakteurin Elena Crisan
Elena Crisan

Welchen Sitznachbar im EU-Parlament werden Sie am meisten vermissen?

Othmar Karas

Ich habe mit so vielen Abgeordneten über die letzten Jahre zusammengearbeitet, das lässt sich schwer auf eine Person beschränken. Ich werde vor allem den Spirit vermissen: Über 700 Personen aus 27 Ländern, die gemeinsam an einem starken Europa arbeiten. Das ist einmalig.

profil-Redakteurin Elena Crisan
Elena Crisan

Eine letzte Frage zum Schluss: Wie schätzen Sie Magnus Brunners Chancen auf das Finanzressort ein?

Othmar Karas

Ich gratuliere Magnus Brunner zuallerst zu seiner Nominierung. Ich schätze den Austausch mit ihm. Es werden große Aufgaben auf die nächste Kommission und ihn zukommen. Die Ressortverteilung liegt jetzt in den Händen von Ursula von der Leyen und dem EU-Parlament. Aus meiner Sicht ist die Frage momentan völlig offen.

profil-Redakteurin Elena Crisan
Elena Crisan

Herr Karas, danke für den Chat!

Othmar Karas

Danke Ihnen für die Fragen! 💬

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.