Norbert Totschnig umgeben von Chatbubble
Ballhausplatz 21

Totschnig im Chat: "Riesige Industrie-Lobby" hinter Laborfleisch

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig warnt vor Laborfleisch und verteidigt das vielfach kritisierte AMA-Gütesiegel.

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Was beim Essen auf den Tisch kommt, sorgt für politische Diskussion. Am gestrigen Dienstag befasste sich laut einem Bericht der „Kleinen Zeitung“ der Agrarausschuss des Kärntner Landtages mit künstlichem Fleisch und befand einstimmig, dass Fleisch aus dem Labor in Kärnten nicht erlaubt sein soll. Nächste Woche stimmt der Landtag final darüber ab.

Laborfleisch wird aus Stammzellen von Tieren hergestellt, die wiederum aus Muskelgeweben etwa von Kälbern entzogen werden. In einem Behälter werden sie dann mit einer Nährlösung angereichert und vermehrt. Mit Produkten auf Basis von Soja- oder Erbsenprotein hat Laborfleisch  nichts gemein. 

Viele Experten sehen darin die Zukunft des Fleischkonsums, zumal hierzulande besonders viel Fleisch gegessen wird. Das sei schlecht für Gesundheit und Klima. Das Sozialministerium empfiehlt maximal 3 Portionen fettarmes Fleisch oder fettarme Wurstwaren (300 – 450 g pro Woche). Laut dem Tierschutz-Verein „Vier Pfoten“ verspeisen Österreicher:innen im Jahr knapp 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf – etwa vier Mal so viel. 

Dabei scheinen manche neugierig auf neue Ernährungsformen zu sein. Kürzlich veröffentlichte der Thinktank YouGov eine Umfrage (beauftragt von Good Food Institute Europe), die auf viel Empörung stieß: 63 Prozent der Menschen in Österreich seien demnach für eine Zulassung von Laborfleisch, sofern es für sicher befunden wurde. 42 Prozent der Befragten würden Laborfleisch zumindest einmal probieren. Der Bauernbund zweifelte allerdings an der Seriosität der Umfrage. 

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) gab zu bedenken, dass die Auswirkungen der Zutaten für diese Fleischalternative noch nicht erforscht seien. Im Chat-Interview erklärt der 49-Jährige, warum er lieber AMA-zertifizierten Produkten vertraut auch wenn das Siegel in der Vergangenheit nach Missständen in ausgezeichneten Betrieben unter Kritik geriet und warum er beim Essen trotzdem experimentierfreudig ist.

Elena Crisan

Worauf achten Sie, wenn Sie im Supermarkt tierische Lebensmittel wie Fleisch kaufen?

Norbert Totschnig

Ganz klar: Auf Österreich-Herkunft, AMA-Gütesiegel und wenn verfügbar Lebensmittel in Bio-Qualität.

Elena Crisan

Ihr Vertrauen in das AMA-Gütesiegel ist nicht erschüttert?

Norbert Totschnig

Österreich ist weltweit an der Spitze, wenn es um Tierwohl geht. Und das AMA-Gütesiegel ist wichtig, damit die Menschen erkennen, dass sie Qualitäts-Lebensmittel aus Österreich kaufen. Um das Vertrauen in das Gütesiegel zu stärken, hat die AMA die Kontrollen erhöht: Alle 30 Minuten wird ein Betrieb von unabhängigen Stellen kontrolliert. Tierwohl ist mir ein großes Anliegen!

Elena Crisan

Sie kaufen gerne Fleisch aus Österreich das sehen wohl die meisten Menschen so: Warum dürfen Konsument:innen in Gasthäusern nicht wissen, woher das Fleisch kommt, im Supermarkt aber schon?

Norbert Totschnig

Für mehr Regionalität tragen alle Verantwortung: Vom Hof bis zum Tisch. Darüber hinaus ist es mir als Landwirtschaftsminister wichtig, dass wir bei der Herkunftskennzeichnung vorankommen. In der Gemeinschaftsverpflegung haben wir schon erreicht, dass nun 2,2 Mio. Essensportionen täglich gekennzeichnet werden. Als nächster Schritt sollen verarbeitete Lebensmittel gekennzeichnet werden.

Elena Crisan

Wird die Herkunftskennzeichnung auch in der Gastro verpflichtend?

Norbert Totschnig

Es ist auch hier bereits einiges geschehen, auch wenn wir den Weg hin zu mehr Transparenz am Teller weiterverfolgen müssen. Kürzlich haben wir etwa beschlossen, dass Betriebe, die freiwillig mit Angaben zur Herkunft werben, sicherstellen müssen, dass die Angaben stimmen. Damit sichtbar wird, ob beim Wirt tatsächlich Österreich drin ist, wo Österreich draufsteht.

Norbert Totschnig

Was mich positiv stimmt: Bei immer mehr Wirten herrscht ein Umdenken. Viele kennzeichnen mittlerweile schon freiwillig. 🍽️

Elena Crisan

In Ländern wie Singapur oder Israel kann Fleisch auch aus dem Labor stammen. Soll In-Vitro-Fleisch auch in der EU erhältlich sein?

Norbert Totschnig

Hinter Laborfleisch steht eine riesige Industrie-Lobby. 🧫💉 Mir geht es um die Frage, ob wir uns künftig mit Kunstfleisch aus der Fabrik oder mit natürlichen, regionalen Lebensmitteln ernähren wollen. Gemeinsam mit Italien und Frankreich habe ich deshalb vor der drohenden EU-Marktzulassung eine breite Diskussion auf EU-Ebene gefordert.

Elena Crisan

Aber wenn ein Lebensmittel in der EU zugelassen wird, ist es doch gesundheitlich unbedenklich. Für wen sehen Sie die potenzielle Zulassung als Bedrohung?

Norbert Totschnig

Bei Laborfleisch kennt noch niemand gänzlich die Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt. Vor einer Zulassung braucht es deshalb eine Folgenabschätzung. Genau das haben wir in Brüssel gefordert.

Norbert Totschnig

Industrielles Laborfleisch steht im Widerspruch zu unseren bäuerlichen Familienbetrieben und unserer natürlichen Lebensmittelproduktion. Mit Laborfleisch begeben wir uns in die Abhängigkeit großer Konzerne.

Elena Crisan

Würden Sie Laborfleisch probieren?

Norbert Totschnig

Grundsätzlich bin ich ja beim Essen experimentierfreudig. 😁 Wenn es um Fleisch geht, verlasse ich mich dann aber doch lieber auf die natürlichen Lebensmittel unserer Bäuerinnen und Bauern!

Elena Crisan

Sie müssen uns jetzt schon erklären, was Sie mit experimentierfreudig meinen. Was ist das Ausgefallenste, was Sie in letzter Zeit auf dem Teller hatten?

Norbert Totschnig

Auf meiner Dienstreise in Japan habe ich ein Shabu Shabu (ein Feuertopf-Gericht) probiert.

Elena Crisan

Abschließend noch eine Frage zur Entwaldungsverordnung (EUDR): In Brüssel fordern Sie, dass Österreich von den Regeln ausgenommen werden soll. In Rumänien, wo illegale Abholzung die größten Urwälder Europas zerstört, dominieren österreichische Unternehmen das Geschäft. Müsste sich nicht gerade Österreich für eine strenge Entwaldungsverordnung einsetzen?

Norbert Totschnig

Der nötige Schutz des Regenwaldes im Amazonas darf nicht zu einer Schikane für unsere Bauern und Unternehmer werden darf. In Österreich wächst mehr Holz nach, als entnommen wird. Konkret sind es bei uns 330.000 Hektar Wald mehr seit 1961. Deshalb fordere ich Ausnahmebestimmungen.

Elena Crisan

Herr Totschnig, danke für den Chat!

Norbert Totschnig

Vielen Dank für das spannende Interview, hoffentlich beim nächsten Mal persönlich. 😊

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.