Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) will budgetär wieder auf den EU-Zielpfad zurück. Ein eigenes Sparpaket brauche es nicht, aber neue Hilfen seien auch keine geplant.
Interview

Brunner: „Ich habe 80 Cent in der Hosentasche“

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) verspricht: Es kommt kein Sparpaket. Er will aber den Nanny-Staat zurückfahren, Luxuspensionen beschneiden und überlegt, wie Mieterhöhungen gebremst werden sollen.

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Wie viel Bargeld haben Sie dabei?
Brunner:
Ich habe 80 Cent in der Hosentasche. Dazu heute in der Geldbörse 110 Euro.
Wie oft zahlen Sie bar?
Brunner:
Ich zahle überwiegend mit Karte, meine Frau hingegen zu mehr als 50 Prozent bar. Genau um diese Wahlfreiheit geht es: Alle sollen selbst entscheiden, ob sie lieber bar oder mit Karte zahlen.
Niemand will Bargeld abschaffen.
Brunner:
Abschaffen will es aktuell niemand. Aber wir sehen auf europäischer Ebene, dass Bargeldgrenzen niedrig angesetzt werden, in Griechenland etwa bei 500 Euro. Daher wollen wir rechtlich Möglichkeiten schaffen, Bargeld zu schützen. Damit sind wir nicht allein, in der Slowakei etwa steht Bargeld sogar bereits in der Verfassung. In Österreich ist Bargeld ein emotionales Thema.
Bei allen, die Schwarzgeld beziehen?
Brunner:
Das war jetzt polemisch. Vor allem älteren Menschen ist Bargeld wichtig, das muss man ernst nehmen.
EU-Vertreter Martin Selmayr sagt, Bargeld sei auf EU-Ebene ohnehin geschützt, zudem fallen Euro-Fragen unter EU-Recht. Es gebe also keinen Grund, Bargeld in der Verfassung zu verankern.
Brunner:
Da muss ich widersprechen: Derzeit wird über den digitalen Euro diskutiert, wie ist dann Bargeld geschützt? Gibt es eine Annahmeverpflichtung? Derartige Unsicherheiten muss man klären, dafür gibt es die Taskforce Bargeld, um seriös zu diskutieren: Wenn ein Geschäft ein Schild „no cash“ in der Auslage hängen hat, muss es trotzdem Bargeld annehmen?
Viel häufiger nehmen Geschäfte oder Lokale keine Karten. Müssen sie künftig Zahlung mit Karte anbieten?
Brunner:
Das ist genau die Frage. Beide Zahlungsarten müssen möglich sein.
Bargeld, Schnitzel, normal: Verstehen Sie, wenn viele sich angesichts dieser Debatten fragen, ob die Politik keine wichtigeren Themen kennt?
Brunner:
Das kann man der Bundesregierung wirklich nicht vorwerfen. Wir kümmern uns jeden Tag um Herausforderungen wie Teuerung, Gesundheitsversorgung und Klimaschutz. Mir als Finanzminister ist besonders wichtig, die Bevölkerung massiv zu entlasten.
Denken Sie oft darüber nach, was normal ist?
Brunner:
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat in seiner Rede in Bregenz etwas Richtiges gesagt: Wir sollen nicht extrem Linke und die extrem Rechte polarisieren lassen. Vielleicht hätte er dazusagen sollen, dass man auch in der Wortwahl vorsichtig sein soll: Der Ausdruck „präfaschistoid“ von Vizekanzler Werner Kogler war nicht wahnsinnig hilfreich. Denn wichtig ist, dass die Mitte der Gesellschaft in den Fokus rückt und wir nicht nur über die Ränder sprechen.
Ist Gendern ein Randthema? Sie haben mit Justizministerin Alma Zadić einen in rein weiblicher Form geschriebenen Gesetzesentwurf zu flexiblen Kapitalgesellschaften präsentiert.
Brunner:
Mir ist es um das Inhaltliche gegangen – und das hat super gepasst. Daher habe ich am Ende mit Kollegin Zadić den Entwurf präsentiert.
Gendern Sie?
Brunner:
Ja, ich sage zum Beispiel: Wir entlasten die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Die sind stark von der Teuerung belastet, die bei sieben Prozent liegt. Sind weitere Anti-Teuerungshilfen notwendig?
Brunner:
Manche Hilfen wirken nach, zusätzliche halte ich derzeit für nicht notwendig. Denn die positive Nachricht lautet: Der Abstand zu Deutschland wird geringer, die Inflation ist auf sieben Prozent zurückgegangen.
In Belgien liegt sie bei 1,6, in Spanien bei 2,1 Prozent.
Brunner:
Ja, wir sind heuer leicht über dem europäischen Schnitt. Aber: In Österreich sind Kaufkraft und reale Haushaltseinkommen deutlich höher als in Spanien. Dort ist die Inflation niedrig, aber die Kaufkraft sank um sechs Prozent. In Österreich haben wir mit den Anti-Teuerungsmaßnahmen die Bevölkerung entlastet, damit die Kaufkraft hoch bleibt. Das haben wir geschafft. Dennoch werden wir uns weiter bemühen, die Inflation nach unten zu drücken. Denn ja, die Inflation ist immer noch zu hoch.
Weil viele Anti-Teuerungsmaßnahmen mit der Gießkanne verteilt wurden und es wenig Markteingriffe gab?
Brunner:
Es liegt eher an der Zusammensetzung unseres Warenkorbs: Dienstleistungen und Tourismus sind dort stark vertreten. Vor einem Jahr waren die Energiepreise Inflationstreiber, jetzt sind es Dienstleistungen. Das treibt im Tourismusland Österreich die Inflation an. Zweitens hat Österreich als Ausnahmefall in der EU langfristige Energielieferverträge. Das erleichtert in Friedenszeiten die Kalkulation für Haushalte und Unternehmen. Aber in Zeiten von volatilen Energiepreisen ist das ein Nachteil, weil es dauert, die Verträge zu ändern. Darum hat der Verbund jetzt flexiblere Verträge abgeschlossen, das hilft bei der Inflationsdämpfung. Der dritte Inflationstreiber sind hohe Lohnabschlüsse.
Sie haben zu Zurückhaltung bei Lohnabschlüssen aufgerufen – und Protest geerntet.
Brunner:
Ich mische mich nicht in Kollektivvertrags-verhandlungen ein. Aber klar ist: Hohe Lohnabschlüsse sind gut für die Kaufkraft, treiben aber die Inflation an. Gemeinsam mit Belgien haben wir die höchsten Lohnabschlüsse in Europa. Daher appelliere ich zur Zurückhaltung: Mit der Abschaffung der kalten Progression, die seit heuer wirkt, wird die Bevölkerung entlastet.
Viele Preise steigen automatisch, die Kategoriemieten wurden vier Mal in 15 Monaten erhöht. Gehört der Mietpreisindex geändert?
Brunner:
Das ist eine gute Frage. Dafür bin ich sehr offen. Selbstverständlich können wir über diesen Index reden – oder den Zeitraum strecken, in dem die Mieten steigen.
Kommt der Mietpreisdeckel noch?
Brunner:
Nicht alles, was populär klingt, ist auch sinnvoll. Das Thema muss größer gesehen werden: Der Bereich Eigentum gehört zum Wohnen dazu. Ich habe daher vorgeschlagen, die Grunderwerbssteuer für das erste Eigentum abzuschaffen. Leider war das mit den Grünen nicht möglich.
Kommt das Thema noch einmal auf den Koalitionstisch?
Brunner:
Von mir aus jederzeit, Eigentum ist wichtig. Aber die Regierung hat beim Thema Wohnen gehandelt: Nachdem wir uns über das Wohngesamtpaket nicht einigen konnten, haben wir den Bundesländern Mittel zur Verfügung gestellt, die sie nach ihren Bedürfnissen für Wohnbeihilfen einsetzen können. Das ist sinnvoll, zweckgewidmet und treffsicher.
Wirkt aber nicht inflationsdämpfend.
Brunner:
Das stimmt, nicht jede Maßnahme ist zu 100 Prozent inflationsdämpfend. Wir müssen immer abwägen: Wirkt die Maßnahme inflationsdämpfend, ist sie treffsicher, stärkt sie die Kaufkraft? Und wir müssen ehrlich sein: Wer kann im großen Stil etwas gegen Inflation tun? Nur die Europäische Zentralbank, indem sie den Leitzins erhöht.
Bei der Stromkostenbremse kritisierten Ökonomen, dass diese nicht treffsicher ist, weil sie auf einem Durchschnittsverbrauch für alle Haushalte basiert.
Brunner:
Insgesamt lagen wir bei der Treffsicherheit im OECD-Vergleich im besten Drittel. Wir haben uns bei allen Maßnahmen, die im Juni ausgelaufen wären, überlegt, ob eine Verlängerung sinnvoll ist. Die Pendlerpauschale lassen wir auslaufen. Sie ist nicht mehr notwendig, weil die Treibstoffpreise sanken. Die Stromkostenbremse läuft aber weiter.

"Ich habe nie gesagt: Koste es was es wolle."

Finanzminister Magnus Brunner

über die Kosten der vergangenen Krisen.

Die Strom- und Gaspreise sind im Großhandel auch deutlich gesunken. Haben die Energiegesellschaften überhaupt einen Anreiz, die Strompreise rasch zu senken, wenn ohnehin der Staat die hohen Kosten kompensiert?
Brunner:
Da müssen wir dringend hinschauen! Wenn die Energieversorger ihre Preise nicht gebührend senken, weil die Bundesregierung Steuergeld zuschießt, dann haben wir ein Problem. Das muss die Bundeswettbewerbsbehörde ganz genau prüfen.
Sehen Sie Anzeichen dafür?
Brunner:
Derzeit nicht. Es ist auch Aufgabe der Eigentümer, hier genau hinzuschauen. Bei den Landesenergieversorgern die Bundesländer, der Bund hält eine Mehrheit am Verbund.
Corona-Hilfen, Milliarden fürs Bundesheer, Anti-Teuerungsmaßnahmen: Die Regierung gab Unsummen aus. Wie lange kann sich Österreich das Motto „Koste es, was es wolle“ noch leisten?
Brunner:
Ich habe nie gesagt: Koste es, was es wolle.
Aber Ihr Vorgänger Gernot Blümel.
Brunner:
Mein Ansatz war: das zur Verfügung stellen, was notwendig ist.
Sind jetzt Sparpakete notwendig?
Brunner:
Nein, Sparpakete brauchen wir nicht, immerhin fallen die Kosten für die Pandemie weg. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir das Budgetziel von drei Prozent Neuverschuldung bald unterschreiten. Wichtig ist aber: Wir müssen das Anspruchsdenken an den Staat, das in den letzten Jahren eingerissen ist, wieder zurückfahren.
Hat die Politik einen Nanny-Staat gezüchtet?
Brunner:
Wir als Politik tragen hier Mitschuld. Am Ende des Tages muss der Staat Rahmenbedingungen setzen, er kann aber nicht alle Krisen dieser Welt kompensieren.
Was bedeutet das für Pensionen? Vorgeschlagen ist eine Erhöhung um 9,7 Prozent. Sollen niedrige Pensionen stärker steigen?
Brunner:
Die 9,7 Prozent sind sehr hoch, aber durchaus nachvollziehbar und notwendig. Eine stärkere Erhöhung halte ich für nicht notwendig – und es wäre auch teuer.
Müssen die 90.000-Euro-Jahrespensionen von Notenbankern genauso stark steigen wie Mindestpensionen?
Brunner:
Über die Luxuspensionen müssen wir sprechen. Ich kann mir vorstellen, sehr hohe Pensionen in geringerem Ausmaß zu erhöhen. Außerdem gehören diese Sonderpensionen ohnehin beschnitten. Über beide Themen müssen wir in der Koalition diskutieren.
Sie sitzen in der Arbeitsgruppe „Länger arbeiten“. Was ist geplant?
Brunner:
Wir müssen das faktische an das gesetzliche Pensionsantrittsalter heranführen. Dazu ist wichtig: Längeres Arbeiten muss attraktiver werden. Auch steuerlich, indem wir zum Beispiel Pensionsbeiträge reduzieren oder steuerliche Entlastungen anbieten.
Unternehmen schicken ältere Arbeitnehmer gern so schnell wie möglich in Pension.
Brunner:
Ich glaube, diese Situation ändert sich gerade, weil der Bedarf an zusätzlichen Beschäftigten enorm ist. Wir brauchen dringend zusätzliche Arbeitskräfte und müssen versuchen, Menschen länger in Beschäftigung zu halten und zu mehr Arbeit zu motivieren.
Ist es da sinnvoll, wenn Bundesländer wie Salzburg Eltern Prämien zahlen, wenn sie ihre Kinder zu Hause betreuen und nicht in den Kindergarten schicken?
Brunner:
Wir brauchen am Arbeitsmarkt alle verfügbaren Arbeitskräfte. Man wird dann prüfen müssen, ob diese Prämie kontraproduktiv wirkt.

Herbert Kickl und Andreas Babler sind für mich keine Bundeskanzler.

Magnus Brunner

auf die Frage, ob er einer Regierung unter einem FPÖ-Kanzler Herbert Kickl angehören würde.

Was halten Sie von einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung?
Brunner:
Beim Rechtsanspruch bin ich zurückhaltend. Was nicht heißt, dass wir nicht alles versuchen sollten, um die Betreuungssituation zu verbessern. Das ist jetzt auch Verhandlungsthema beim Finanzausgleich. Wir sind als Bund bereit, mehr Geld für den Ausbau zur Verfügung zu stellen.
Österreich drohen hohe Strafzahlungen, weil es die Klimaziele nicht erreicht. Was machen Sie, um diese Strafen abzuwenden?
Brunner:
Wir haben bis 2026 fünf Milliarden Euro für Dekarbonisierungsmaßnahmen in der Industrie budgetiert. Das Erneuerbaren-Ausbaugesetz sieht eine Milliarde Euro pro Jahr für den Umbau vor. Der Klimawandel ist die größte Herausforderung unserer Zeit, da sind wir uns in der Koalition einig – nur über den Weg nicht immer. Wir glauben, dass wir mehr auf Innovation setzen müssen, weil wir mit den vorhandenen technologischen Mitteln die Ziele nur schwer erreichen. Und wir können keine Maßnahmen gegen die Bevölkerung und die Unternehmen beschließen.
Passiert das denn?
Brunner:
Nur mit Verboten zu agieren, ist zu wenig. Wir müssen mehr Rücksicht auf die Lebensrealität der Menschen nehmen und den Hausverstand einschalten.
Kommt das Klimaschutzgesetz noch?
Brunner:
Niemand wehrt sich gegen das Klimaschutzgesetz. Wir sind auch der Meinung, dass der Staat nicht alles selbst finanzieren kann. Wir begeben im Finanzministerium zum Beispiel grüne Staatsanleihen, die sehr erfolgreich waren und mit vier Milliarden Euro siebenfach überzeichnet wurden.
Zum Schluss die Frage, die derzeit jeder ÖVP-Politiker beantworten muss: Würden Sie auch einer Regierung mit der FPÖ angehören?
Brunner:
Ich werde alles daransetzen, dass Karl Nehammer Bundeskanzler bleibt. Herbert Kickl und Andreas Babler sind für mich keine Bundeskanzler.

Zur Person

Magnus Brunner, 51, ist seit Dezember 2021 ÖVP-Finanzminister. Davor war der studierte Jurist im Kabinett Kurz II Staatssekretär im Infrastruktur- und Umweltministerium. Von 2007 bis 2020 war Brunner Vorstand der OeMAG, der  Ökostromabwicklungsstelle. Er ist Vorarlberger und hat drei Söhne.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin