Entgeltliche Kooperation

Belastungsprobe für Buntbarsche

Ein Forschungsprojekt geht der Frage nach der Auswirkung von positivem Stress auf die kognitive Leistung auf den Grund. Dadurch könnten sich auch Verbesserungen in der Nutztierhaltung ergeben.

Drucken

Schriftgröße

Kaum ein Wort wird heute mehr verwendet – und meist in negativem Zusammenhang. Dabei ist Stress etwas Positives. „Um Herausforderungen zu meistern, benötigen Menschen und Tiere mehr Energie und Aufmerksamkeit“, erklärt Dr. Sabine Tebbich, Dozentin am Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie an der Universität Wien. „Durch die Ausschüttung von Stresshormonen wird dem Körper mehr Energie zur Verfügung gestellt, und die Aufmerksamkeit wird erhöht, wodurch die Individuen auf herausfordernde Situationen besser vorbereitet sind.“ Diese Form, wissenschaftlich als Eustress bezeichnet, steigert die Konzentration und Leistungsfähigkeit. Hält Stress allerdings lange an, kann er schädliche Auswirkungen haben. „Eine erhöhte Stressantwort führt zu nicht angepassten Verhaltensformen“, präzisiert Dr. Stefan Fischer vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien. „Bei Eustress steigt der Kortisolspiegel an, fährt aber danach wieder herunter. Bei Dauerstress bleibt er erhöht.“ Warum der Kortisolspiegel in manchen Fällen auf hohem Niveau bleibt, ist wissenschaftlich nicht vollständig geklärt. Eine Annahme ist, dass besonders überernährte Individuen schlechter mit Stressoren umgehen können. 

Weitreichende Forschung

In dem vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds geförderten Projekt „Coping with Change“ untersuchen Sabine Tebbich und Stefan Fischer, inwiefern der Ernährungszustand Stressbelastungen beeinflusst. Im Mittelpunkt dabei stand Prinzessin vom Tanganjikasee aus der Familie der Buntbarsche. „Bei Menschen und Fischen wird bei Stress Kortisol ausgeschüttet“, so Fischer. „Wir haben die Buntbarsche verschiedenen Stresssituationen ausgesetzt und konnten über sie hinaus Schlussfolgerungen ziehen, weil die physiologische Reaktion bei allen Wirbeltieren inklusive des Menschen ähnlich ist.“ Die Fische wurden in Gruppen geteilt: Eine wurde besser gefüttert, eine weniger. Über einen gewissen Zeitraum hinweg wurden ihnen Videos von natürlichen Feinden gezeigt. „Aus Vorstudien wissen wir, dass Fische auf Videos ähnlich reagieren wir auf reale Räuber“,  erklärt Tebbich. „Die Schwierigkeit ist, dass Tiere schnell merken, dass es keine Konsequenz gibt, wenn ihnen ein Räuber präsentiert wird. Man muss sie also immer auf den Zehenspitzen – oder besser: Flossenspitzen – halten.“ Im Forschungsprojekt wurden die Videos daher zu unterschiedlichen Zeiten abgespielt und im Anschluss der Kortisolspiegel der Buntbarsche gemessen. „Fische geben Hormone über die Kiemen ins Wasser ab“, sagt dazu Stefan Fischer. „Wir haben eine Methode entwickelt, wie man die Hormone wiederholt messen kann, ohne die Fische fangen zu müssen, und wie wir einen zeitlichen Verlauf der Stressantwort bekommen.“ Die Ergebnisse überraschten: Die Annahme, dass gut ernährte Tiere länger einen erhöhten Kortisolspiegel aufweisen, bestätigte sich nicht. „Im Gegenteil: Diese Fische können gut mit Stressoren umgehen“, fasst Sabine Tebbich zusammen. „In einem zweiten Versuch haben wir die Buntbarsche an ein kleines Labyrinth gewöhnt und dann den kürzesten Weg zu ihrem Versteck verbaut. Bei einigen Tieren haben wir das Kortisol chemisch blockiert: Diese konnten mit der Veränderung nicht gut umgehen.“ Die Ergebnisse zeigen den hohen adaptiven Wert von Eustress auf die kognitive Leistung. „Man darf also Stress nicht nur negativ sehen, nur Langzeitstress sollte man verhindern“, ist Sabine Tebbich überzeugt. Von Relevanz ist das Forschungsprojekt für die kommerzielle Nutztierhaltung. „Das sind für Tiere ja herausfordernde Bedingungen“, betont Tebbich. In einem Folgeprojekt wird Stefan Fischer mit einer Aquakultur in Schweden zusammenarbeiten, in der Atlantische Lachse gezüchtet werden. „Wir wollen herausfinden, wie sich Überfütterung bei diesem kommerziell wichtigen Fisch auswirkt“, erklärt er. „Dabei gibt es einen wichtigen Punkt: Aquakulturen produzieren nicht nur Fleisch, sondern züchten Lachse auch, um sie wieder auszusetzen, da die Populationen immer wieder aufgefrischt werden müssen.“ Für die Auswilderung ist es wichtig, dass die Lachse natürliche Verhaltensweisen aufweisen, da ihr Überleben auch von ihrer Flexibilität im Verhalten abhängig ist.