Kinderfacharzt an der Kinderklinik der MedUni Wien
Entgeltliche Kooperation

Beste Therapien für die Kleinsten

Das Projekt Kindermedika.at unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Christoph Male-Dressler soll die Medikamentensicherheit bei Kindern erhöhen.

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Erkrankt ein Kind, wird durch den behandelnden Arzt die bestmögliche Therapie eingeleitet. Was vielen nicht bekannt sein dürfte, ist, dass der Großteil der Medikamente nicht speziell für diese Altersgruppe zugelassen ist. Warum das so ist, was das für die Behandlung bedeutet und wie eine österreichische Datenbank in diesem Punkt für mehr Sicherheit sorgen will, erklärt Univ.-Prof. Dr. Christoph Male-Dressler, Kinderfacharzt an der Kinderklinik der MedUni Wien, im Interview.

Warum gibt es so wenige Medikamente, die für Kinder zugelassen sind?
Christoph Male-Dressler: Systematische Studien zur Zulassung von Medikamenten für Kinder sind eine große Herausforderung. Erstens umfasst das Kindesalter die 0- bis 18-Jährigen. Es macht einen großen Unterschied, ob ich ein Neugeborenes, einen Säugling oder einen Jugendlichen behandle. Selbst wenn es für ältere Kinder Daten gibt, kann die Wirksamkeit des Medikaments für die ganz Kleinen anders sein und muss extra evaluiert werden. Ein weiterer Punkt ist die Belastbarkeit: Die Wirksamkeit eines Medikaments systematisch zu testen, bedeutet mehr Untersuchungen, was man den kleinsten und kranken Kindern nicht zumuten kann. Zu guter Letzt kommt dazu, dass in der Vergangenheit Pharmaunternehmen kaum Studien an Kindern durchgeführt haben. Kinder sind insgesamt seltener krank, daher sind Medikamente für Kinder ein kleiner Markt, der für ein wirtschaftlich geführtes Unternehmen nicht so interessant ist. All diese Punkte führen dazu, dass der Großteil der Medikamente keine kinderspezifische Zulassung hat.
 

Warum ist eine altersspezifische Zulassung wichtig?
Eine Zulassung beinhaltet auch altersentsprechende Darreichungsformen. Nehmen wir etwa eine 10 mg Tablette, die für einen Erwachsenen geeignet ist. Nun wird diese in der Therapie bei einem Säugling eingesetzt, der vielleicht aber nur ½ mg benötigt. Beim Zerreiben oder Zerteilen der Tablette besteht die Gefahr, dass Verunreinigungen entstehen oder zu wenig oder zu viel verabreicht wird.  Es sind auch Darreichungsformen nötig, die für Kinder geeignet sind, z. B. Säfte oder Tropfen. Das größte Thema ist aber natürlich die richtige Dosierung. Die Verstoffwechslung von Medikamenten ist bei Kindern anders als bei Erwachsenen und ändert sich von Altersgruppe zu Altersgruppe. Es kann also sein, dass ein Medikament bei einem Säugling langsamer aus dem Körper ausgeschieden wird, sich dadurch im Organismus anhäuft und zu schweren Nebenwirkungen führen kann. Oder umgekehrt: Ist die Verstoffwechslung in einer Altersgruppe schneller, ist zu wenig Wirkung da. Die richtige, altersentsprechende Dosierung ist also für uns Kinderärzte der wichtigste Punkt, denn ohne sie kann keine adäquate Wirkung erzielt werden, und die Sicherheit ist gefährdet.

Die Verstoffwechslung von Medikamenten ist bei Kindern anders als bei Erwachsenen und ändert sich von Altersgruppe zu Altersgruppe. Es kann also sein, dass ein Medikament bei einem Säugling langsamer aus dem Körper ausgeschieden wird, sich dadurch im Organismus anhäuft und zu schweren Nebenwirkungen führen kann. 

Univ.-Prof. Dr. Christoph Male-Dressler

Kinderfacharzt an der Kinderklinik der MedUni Wien

Kam es dadurch zum Projekt Kindermedika.at?
Kindermedika.at ist eine webbasierte Informationsplattform für die Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugendlichen in Österreich. Dankenswerterweise wird das Projekt seit Jahren vom Dachverband der österreichischen Sozialversicherungen gefördert. Die Idee wurde in einer Arbeitsgruppe der Österreichischen Gesellschaft für Kinderheilkunde entwickelt. Wenn schon die meisten der Medikamente, die wir tagtäglich einsetzen, keine kinderspezifische Fachinformation haben, wollen wir die besten verfügbaren Daten aus wissenschaftlichen Studien und dem Erfahrungsschatz der Kinderärzte weltweit systematisch zusammentragen, evaluieren und daraus die bestmöglichen Dosierungsempfehlungen verfügbar machen. Das Kernstück von Kindermedika.at sind Dosierungsempfehlungen für den sogenannten Off-label-Bereich, also Medikamente, die außerhalb der Zulassung gegeben werden müssen. Hier ist die Datenbank die einzige zur Verfügung stehende Ressource. Auf Kindermedika.at bilden wir auch ab, wie verlässlich die Daten sind, die den Empfehlungen zugrunde liegen. Im Extremfall kann es sein, dass zu einem Medikament nie eine Studie bei Kindern gemacht wurde, und die Dosierungsempfehlungen stellen den besten Konsens aus der klinischen Praxis dar. Meist liegen aber in verschiedenem Ausmaß publizierte Fallberichte oder größere Untersuchungen als Grundlage vor. Am anderen Ende des Spektrums gibt es zumindest für manche Altersgruppe zugelassene Dosierungen. Zusätzliche Informationen betreffen kinderspezifische Nebenwirkungen, Vorsichtsmaßnahmen, Kontraindikationen oder Wechselwirkungen. Dazu geben wir für alle Darreichungsformen für in Österreich erhältliche Medikamente an, auch mit Hinweisen, welche Zusatzstoffe – etwa Stabilisatoren oder Konservierungsmittel, chemische Substanzen – für Kleinkinder problematisch sein können. 

Ist Kindermedika.at ein europaweit einzigartiges Projekt?
Wir arbeiten mit Projektgruppen aus den Niederlanden, Deutschland und Norwegen zusammen, mit denen wir eine gemeinsame englischsprachige Masterdatenbank betreiben, die von uns allen laufend mit Informationen und neuen Daten aktualisiert und um neue Medikamente erweitert wird. Die für Österreich angepassten Informationen finden sich auf Kindermedika.at auf Deutsch und für alle Betroffenen frei zugänglich. Unser gemeinsames langfristiges Ziel ist, die Arzneimitteltherapie für Kinder europaweit zu optimieren und zu harmonisieren.