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Bildung als Schlüssel zur Chancengleichheit

Um der Diskriminierung der Roma, der größten ethnischen Minderheit in der EU, entgegenzuwirken, hat die Central European University (CEU) vor 20 Jahren ein Bildungsprogramm ins Leben gerufen. Angéla Kóczé, akademische Leiterin des Roma-Graduiertenvorbereitungsprogramms an der CEU, im Gespräch.

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Wie ist die aktuelle Situation der Roma in Europa? 
Angéla Kóczé: Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) hat im Jahr 2022 einen Bericht dazu erstellt. Das Ergebnis ist ernüchternd: Vier von fünf Roma sind von Armut bedroht. Sie leben in Haushalten mit einem Äquivalenzeinkommen nach Sozialtransfers, das weniger als 60 % des mittleren Einkommens in ihrem Land beträgt. 

Historisch gewachsene Benachteiligungen können am effektivsten durch Bildung angegangen werden.

Angéla Kóczé, PhD

Vorsitzende des Programms für Romanische Studien und akademische Leiterin des Roma-Graduiertenvorbereitungsprogramms an der CEU

Wie kann diese Situation verändert werden?
Historisch gewachsene Benachteiligungen können am effektivsten durch Bildung angegangen werden, die eine entscheidende Rolle beim Abbau von Marginalisierung, struktureller Diskriminierung und rassistischen Vorurteilen spielt. In vielen europäischen Ländern haben Roma-Kinder und -Jugendliche jedoch überwiegend Zugang zu einer segregierten, oft minderwertigen Bildung, was sie davon abhält, weitere Studien zu absolvieren oder sie zu Berufswahlmöglichkeiten mit niedrigem Prestige und geringer Qualität führt. Das allerdings hält ihre Ausgrenzung von der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Teilhabe aufrecht. Darüber hinaus zeigt die weltweite akademische Forschung, dass die Möglichkeiten zur Entwicklung von Englischkenntnissen stark mit dem sozioökonomischen Status der Schüler korrelieren – folglich werden Roma-Schüler von den prestigeträchtigeren Bildungs- und Berufsoptionen, die gute Englischkenntnisse erfordern, ausgeschlossen. Während das Bildungsniveau der Roma-Bevölkerung in den meisten Ländern langsam ansteigt, ist ihr Zugang zu hochwertiger Hochschulbildung deutlich geringer als der anderer Gesellschaftsgruppen.

Wie hält das Roma Graduate Preparation Program der CEU dagegen?
Es begann 2004 als Roma Access Program. Name und Struktur haben sich im Laufe der 20 Jahre geändert, nicht aber die Hauptziele: Das akkreditierte Programm bietet jungen Roma eine intensive und qualitativ hochwertige akademische und sprachliche Weiterbildung, damit sie sich erfolgreich für Masterstudiengänge an der CEU oder anderen renommierten Universitäten bewerben und ihr Studium erfolgreich abschließen können. Es dauert zehn Monate und bietet den Roma-Studenten eine vollständige Finanzierung. Der Lehrplan besteht aus drei Hauptkomponenten: akademische, fachbezogene Kurse, akademischer Englischunterricht und Roma-bezogene Kurse und Veranstaltungen. In den letzten 20 Jahren haben fast 400 Studierende das RGPP absolviert, 85 % wurden in MA-Studiengänge und fast 5 % in PhD-Studiengänge aufgenommen, was ein bemerkenswerter Indikator für die Qualität des Programms ist.

Im Mai organisierte die CEU in Wien eine Konferenz zu diesem Thema. Haben sich dabei neue Aspekte ergeben?
Die auf der Konferenz vorgestellten Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass individuelle Anstrengungen, Ehrgeiz und Fähigkeiten wichtig sind, aber nicht ausreichen, um generationenübergreifende Rassenunterschiede und sozioökonomische Ungleichheiten zu überwinden. Das steht im Einklang mit dem OECD-Bericht „A Broken Social Elevator? How to Promote Social Mobility“. Dieser zeigt, dass die Einkommensungleichheit seit den 1990er-
Jahren deutlich zugenommen hat: Weniger Menschen am unteren Ende der Gesellschaft sind aufgestiegen, wohingegen die Reichsten ihr Vermögen vergrößert und Wohlstand sowie Chancen an ihre Kinder weitergegeben haben. Der Bericht verwendet eine ausdrucksstarke Sprache, um die Reproduktion der Ungleichheit zu erklären, indem er von „klebrigen Böden am unteren Ende“ schreibt, die sich auf den Mangel an Mobilität beziehen, und von „klebrigen Decken an der Spitze“, die jenen Personen Vorteile garantieren, deren Eltern einen hohen sozioökonomischen Status haben und hoch gebildet sind. Es wird erläutert, dass es mindestens vier bis fünf Generationen oder etwa 150 Jahre dauern könnte, bis das Kind einer armen Familie das OECD-Durchschnittseinkommen erreicht. Der Bericht verwendet keine nach ethnischer Zugehörigkeit und Geschlecht aufgeschlüsselten Daten, doch der bereits erwähnte Roma Survey der FRA liefert vergleichbare Daten als Referenz, die einen Eindruck der sozialen Mobilität von Roma-Kindern und -Jugendlichen zwischen den Generationen vermitteln. Die Konferenz kam zu dem Schluss, dass der wirksamste Weg zur Förderung der sozialen Mobilität von historisch diskriminierten Gruppen die Investition in ein sorgfältig konzipiertes Bildungsprogramm von der Grundschule bis zur Hochschule ist.