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Der Kenner der tRNA

Der renommierte Genetiker und Molekularbiologe Sebastian Glatt übernahm mit Oktober die Professur für Systemgenetik an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Er will hier die Forschung im Bereich der RNA-Diagnostik und Therapie vorantreiben.

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Man darf Ihnen gratulieren: Sie haben den FNP-Preis gewonnen, der auch als polnischer Nobelpreis bezeichnet wird. Was empfindet man da als Wissenschaftler?
Sebastian Glatt: Stolz und vor allem Dankbarkeit. Denn man erhält Preise wie diesen zwar als Individuum, möglich ist das aber nur durch das Team, das einen bei der Arbeit maßgeblich unterstützt. Ohne mein Forschungsteam von PostDocs und Doktoranden wären die Ergebnisse, die zur Auszeichnung geführt haben, nicht möglich gewesen.

Welche Ergebnisse konnten Sie aufzeigen?
Wir wurden für die Erforschung des sogenannten Elongator-Komplexes ausgezeichnet, der für spezifische RNA-Modifikationen zuständig ist. Als Strukturbiologe versuche ich, die dreidimensionalen atomaren Strukturen von Biomolekülen abzubilden und zu verstehen – also aus ihrer Struktur Funktionen abzuleiten. In unserem Fall haben wir an einem wichtigen menschlichen Proteinkomplex gearbeitet, der die tRNA modifiziert und dadurch die korrekte Synthese aller unserer Proteine garantiert. Alle Baupläne für unsere Proteine sind im Genom abgespeichert. Zwar hat jede Zelle dieselbe DNA, aber wir haben über 200 verschiedene Zelltypen. Diese entstehen dadurch, dass in jeder einzelnen Zelle nur gewisse Genbereiche aktiviert und so nur die zelltypspezifischen Enzyme produziert werden. Als Beispiel: Die Alkoholdehydrogenase, die Alkohol abbaut, benötigen wir hauptsächlich in der Leber. In allen anderen Zellen findet sich dieselbe Bauanleitung, aber nur in denen, die dieses Protein benötigen, wird das Gen aktiviert, das daraus eine mRNA macht. Diese wird wiederum mithilfe von tRNA in Proteine oder Enzyme übersetzt. Chemische Modifikationen der tRNA sind wichtig, um den Prozess der Übersetzung von einer mRNA in ein Protein fehlerfrei ablaufen zu     lassen. Wir konnten den Link herstellen, wie die tRNA-Modifikationen garantieren, dass die Proteine in der Zelle ihre Funktion erfüllen können.

Wie untersucht man so etwas?
Wir arbeiten an menschlichen Proteinen, die wir aber nicht aus Menschenzellen isolieren, sondern in Hilfszellenmodellen herstellen. Die Proteinkomplexe müssen gereinigt und gefroren werden, damit wir sie im Elektronenmikroskop anschauen können. Wir analysieren Millionen Kopien der Proteine einzeln. So können wir im Computer die dreidimensionale Struktur rekonstruieren, die uns auf atomarem Level zeigt, wie die Proteine ausschauen. Da wir Strukturen der Proteine zusammen mit tRNA ablichten, können wir verstehen, wie der Komplex die Modifikationsreaktion vorbereitet und wie die tRNA von ihnen erkannt und positioniert wird. Das Wissen, das wir durch die Strukturstudien erhalten, testen wir wiederum in den humanen Zellen, um zu überprüfen, ob das, was wir im Mikroskop sehen, auch tatsächlich etwas mit der Realität zu tun hat.

Sebastian Glatt, Veterinärmedizinische Universität Wien

Jede Forschung geht von einer Idee aus – was war Ihre?
Ich würde sagen, jeder Forschung liegt eine Motivation zugrunde. Bei mir war es diese: Wir wissen, dass bei gewissen neurodegenerativen Erkrankungen, etwa Epilepsie, oder bestimmten Krebsarten diese Prozesse schieflaufen. Wenn wir also verstehen, was genau dieser Proteinkomplex in den Zellen macht, dann können wir verstehen, wieso eine bestimmte Mutation ein bestimmtes Krankheitsbild auslöst. Wenn wir wissen, dass diesen Patient*innen eine gewisse tRNA-Modifikation fehlt, ist die langfristige Idee für eine Therapie, diese humanen tRNAs im Reagenzglas herzustellen, zu modifizieren und den Menschen zurückzugeben, damit es ihren Zellen wieder besser geht. Das ist keine utopische Vision: In der Molekularbiologie hat sich so viel getan, und es wird sich noch sehr viel tun. Molekulare Therapien werden mehr und mehr kommen, aber natürlich müssen sie getestet werden und sicher sein, da lassen sich keine Abkürzungen nehmen.

Sie forschen in der Humanmedizin, haben aber jetzt eine Professur an der Vetmeduni in Wien angenommen. Wie passt das zusammen?
Das One-Health-Konzept ist das Grundprinzip auf der Vetmeduni. Es sagt aus, dass wir Menschen nur gesund sein können, wenn auch die Tiere und die Umwelt gesund sind. So gesehen hat die Vetmeduni auch die Humanmedizin in ihrem Konzeptpapier. Außerdem kommen in der Tiermedizin meist Medikamente, die für die Humanmedizin entwickelt wurden, zum Einsatz. Wir müssen also auch die Wirkung zukünftiger RNA-basierter Therapien bei Tieren verstehen. Das ist ein spannender Bereich, um den sich auf der Welt noch niemand so richtig gekümmert hat, der mich aber sehr interessiert. Was mir auch wichtig ist: Ich möchte dazu beitragen, die Bedenken, die es gegen RNA-Therapien gibt, zu verringern. Sie dürfen nicht kategorisch abgelehnt werden, nur weil es während der Pandemie zu viele Fehlinformationen gegeben hat. Und das hoffe ich, mit meiner Forschung zu tun.