„Es gibt auf jeden Fall Verlierer“
Heiße Sommer, milde Winter – was bedeutet das für die heimische Flora?
Stefan Dullinger: Im Wesentlichen bedeutet es, dass sich die Vegetation in Österreich in eine Richtung entwickeln wird, wie sie heute südlich der Alpen, in Norditalien oder im nördlichen Kroatien, aussieht. Pflanzen, die an Kälte adaptiert sind, werden die Verlierer sein, Arten, die an wärmere Temperaturen angepasst sind und gut mit Trockenheit umgehen können, die Gewinner. Darunter werden auch Pflanzen sein, die bisher nicht in Österreich vorkommen, aber aus dem Süden zuwandern.
Wie kann man sich Wanderungen von Pflanzen
vorstellen?
Pflanzen wandern mit ihren Samen und Früchten. Das passiert häufig durch den Wind, aber auch durch Tiere. Diese fressen die Samen und scheiden sie wieder aus oder verstecken und finden sie nicht wieder und tragen dadurch auch zur Ausbreitung bei. Das geht aber nicht in einem Schritt. Die Verbreitung von Samen ist ein räumlich begrenzter Prozess, das sind ein paar Hundert Meter. Wenn es ein sehr mobiler Vogel ist, dann sind es vielleicht auch zwei, drei Kilometer auf einmal. Und dann muss der Samen keimen, die Pflanze muss wachsen, wieder Samen bringen, und dann muss der Prozess von Neuem beginnen. Daher werden wir nicht von Pflanzen aus wärmeren Gebieten überschwemmt, obwohl sich das Klima schon seit Jahrzehnten erwärmt. Der Prozess wird wahrscheinlich 100 oder Hunderte Jahre dauern.
Und doch gibt es bereits Verlierer?
Ja. Dabei handelt es sich um die Pflanzen, die am warmen Rand ihrer Verbreitung zurückgehen und verschwinden. Das kann man besonders gut in den Bergen beobachten, weil sich dort das Klima auf kurzer Distanz stark verändert. Man sieht schon jetzt, wie sich die kälteadaptierten Pflanzen nach oben zurückziehen und der zunehmenden Erwärmung ausweichen.
Damit beschäftigt sich meine Forschung: Das eine ist die Beobachtung dessen, was passiert oder schon passiert ist. Dazu verwenden wir Dauerbeobachtungsflächen, die teils in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhoben worden sind. Durch Stichproben, die genau den historischen entsprechen, vergleichen wir, wie sich im Mittel die Höhenverbreitung von Pflanzen verändert hat. Zugleich unterhalten wir fix verortete Dauerflächen. Wir suchen sie regelmäßig auf und erfassen, welche Arten wir in welcher Häufigkeit finden. So wissen wir genau, was sich auf dieser Fläche verändert.
Mein aktuelles Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der zukünftigen Entwicklung auf den untersuchten Flächen mithilfe von selbst entwickelten Computerprogrammen. Natürlich gibt es schon einige Zukunftssimulationen, die im Wesentlichen ganz gut mit den Daten übereinstimmen und aussagen, dass Gebirgspflanzen nach oben wandern werden und aufgrund der Tatsache, dass ihnen dort weniger Platz zur Verfügung steht, massiv an Populationsgröße verlieren und eventuell aussterben werden. Es gibt aber eine Gegenmeinung in der Ökologie. Sie sagt, dass diese Modelle übersehen, dass der Gebirgsraum für Pflanzen ein klimatisch sehr variabler ist. Es gibt Süd-, Ost-, West- und Nordhänge, Vorsprünge, Mulden, Senken oder exponierte Kanten, sodass Pflanzen eine hohe klimatische Variabilität auf kleinem Raum vorfinden. Mein Gegenargument ist, dass auch Kleinstandorte ihr Klima ändern. Die Zahl der kalten Standorte wird sinken, und damit werden die Populationen der Arten, die diese Standorte brauchen, so klein werden, dass sie auf die Dauer nicht überlebensfähig sind. Richtig ist allerdings, dass bisherige Computermodelle die kleinräumige Variabilität des Klimas im Gebirge nicht ausreichend berücksichtigen. An diesem Punkt setzt unser Projekt an. Wir wollen diese Variabilität integrieren, um bessere Voraussagen über das tatsächliche Aussterberisiko von Alpenpflanzen machen zu können.
Es wird Menschen geben, die sagen: „Dann gibt es ein paar Pflanzen weniger.“ Was halten Sie diesen entgegen?
Ein intaktes Ökosystem benötigt eine intakte Artengemeinschaft, weil diese Arten komplex miteinander interagieren. Wir wissen nicht, was passiert, wenn eine Art rausfällt – außer bei ein paar Schlüsselarten. Kommt der Tannenhäher im Ökosystem Bergwald nicht mehr vor, der wesentliche Verbreiter von Zirben, die wiederum die dominante Baumart im Bergwald sind, dann wird sich das Ökosystem sehr wahrscheinlich verändern. Ich kann als Wissenschafter aber nicht seriös sagen, welche Folgen das Aussterben des Gletscher-Hahnenfußes für das alpine Ökosystem haben wird. Für mich persönlich ist das vor allem eine ethische Frage: Mit welchem Recht ordnen wir Menschen das Existenzrecht anderer Arten unseren Interessen unter? Wir müssen so viel Respekt vor anderen Lebewesen haben, dass wir die Erhaltung anderer Arten nicht gefährden.