Lilian Klebow und Kaan Boztug im Gespräch mit Markus Hengstschläger
Entgeltliche Kooperation

Keine Medizin für kleine Erwachsene

Kindermedizin folgt anderen Mechanismen als die Therapie von Erwachsenen. Der Wissenschaftstalk „Spontan gefragt“ geht der Frage nach, woran die Forschung in diesem Punkt arbeitet.

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Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie sind anders – auch in medizinischer Hinsicht. Ihr Körper ist nicht mit dem erwachsener Personen zu vergleichen, ihr Stoffwechsel, die Funktion ihrer Organe oder auch ihr Immunsystem unterscheiden sich grundlegend. Das erfordert eine andere Herangehensweise bei der Diagnose und Therapie. Auch in der Forschung nimmt die Kindermedizin eine spezielle Rolle ein. Daher beschäftigt sich die neue Ausgabe des Wissenschaftstalks, den der KURIER in Kooperation mit dem Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) präsentiert, mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Pädiatrie. 

Als Gäste begrüßt Moderator Markus Hengstschläger dieses Mal die Schauspielerin Lilian Klebow, die selbst Mutter zweier Kinder ist, und den international renommierten Forscher und Kinderarzt Kaan Boztug. „Was muss man als Kinderarzt mitbringen, um gut in dem Job zu sein“, will Hengstschläger gleich zu Beginn wissen. „Wie in den meisten anderen Berufen muss man mögen, was man macht“, antwortet Kaan Boztug. „Ich liebe Kinder, deshalb war für mich schnell klar, in welche Fachrichtung ich gehen werde.“ Das sei für Eltern auch wichtig bei der Wahl des Kinderarztes, wirft Lilian Klebow ein: „Man muss das Gefühl haben, er ist an den Kindern interessiert und nimmt sie wichtig. Gleichzeitig muss auch ein guter Austausch mit den Eltern stattfinden.“ Die Schauspielerin erzählt, dass ihre Nichte an einer schweren Krankheit gelitten hatte. „Sie wurde medizinisch hervorragend behandelt“, so Klebow. „Aber das Entscheidende für die Genesung war auch, dass ihre Eltern in jeden Schritt der Therapie einbezogen wurden und bei ihr sein konnten.“ Die Rolle der Eltern und Familie sei unendlich wichtig, stimmt der Wissenschafter zu. „Für uns Kinderärzte ist es aber auch eine Herausforderung: Jede Familie ist anders – was sie an sozialem Hintergrund mitbringt, aber ebenso, was sie zu leisten vermag. Auch wenn wir primär das Kind therapieren, müssen wir das immer im Blickfeld behalten.“

Zu wenig im Fokus
Das bringt Markus Hengstschläger zu einer wichtigen Frage. „Werden Medikamente für Kinder an Kindern getestet?“, will er wissen. Kaan Boztug verneint. „Es ist ein moralisches Dilemma, denn wir als Gesellschaft wollen keine Medikamente an Kindern testen“, sagt er. „Somit können wir aber nicht präzise sagen, ob diese bei Kindern genauso wirken und welche Dosierung wahrscheinlich adäquat ist.“ Es liege aber auch daran, dass es – glücklicherweise – in Summe weniger pädiatrische Patient*innen gebe und daher das Interesse der Industrie an Kindermedizin und ihrer Forschung geringer sei. Was denn sein Forschungsgebiet sei, will Lilian Klebow wissen. „Das eine ist die Erforschung von Kinderkrebs – ein wissenschaftlich spannendes Gebiet. Denn die Mechanismen, wie Krebs bei Kindern entsteht, sind grundlegend anders als die, wie Krebs bei Erwachsenen entsteht. Es gibt auch Sorten, die man bei Erwachsenen teilweise gar nicht sieht“, erzählt Boztug. „Und das Zweite sind die sogenannten seltenen Erkrankungen.“ Der Wissenschafter erklärt, dass diese per Definition höchstens einen von 2000 Mitbürgern treffen, gleichzeitig aber geschätzt 10.000 verschiedene seltene Erkrankungen existieren. „Ein von mir sehr geschätzter Professor hat immer gesagt: ,Vor die Therapie hat der liebe Gott die Diagnose gestellt.‘ Wenn man nicht weiß, welche genetische Ursache eine Erkrankung hat, fällt es schwer, eine gute Behandlung zu etablieren“, so Boztug. „Und vor dem Wissen, dass an den Universitätskliniken jedes zweite stationäre Bett von einem Kind mit seltener Erkrankung belegt wird, ist da enorm viel zu tun.“  
Markus Hengstschläger hakt nach: „Es wird viel von Präzisionsmedizin und personalisierter Medizin gesprochen. Wie sieht es da in der Pädiatrie aus?“ Das könne man gut an der Kinderkrebsforschung illustrieren, entgegnet Kaan Boztug, der auch wissenschaftlicher Direktor der St. Anna Kinderkrebsforschung in Wien ist. „Innerhalb der vergangenen 40 Jahre ist die Überlebensrate auf 80 Prozent gestiegen, das ist ein enormer medizinischer Erfolg“, so der Forscher. „Aber jetzt nähern wir uns vielleicht einem Plateau: Denn bei 20 Prozent spricht die Therapie nicht an, weil der Tumor offensichtlich anders ist. Wo der Unterschied liegt und wie man dennoch therapieren kann, ist ein Beispiel für Präzisionsmedizin.“ Lilian Klebow erzählt, dass sie durch ihre Rolle als Ehrenbotschafterin für das Jane Goodall-Institut Austria nach Uganda gereist sei. „Ich habe dort Kinderkrankheiten gesehen, die es hier gar nicht mehr gibt. Polio etwa“, so die Schauspielerin. „Das war eine Lehre in puncto Demut für mich. Dankbar zu sein, was wir hier haben. Ich finde es großartig, dass es bei uns Spezialisten gibt, denen wir vertrauen können.“ Kaan Boztug entgegnet: „Es heißt: ,Die Reife der Gesellschaft zeigt sich, wie sie mit ihren Kindern umgeht.‘ Das kann man auch auf die Forschung ummünzen: Hier zu investieren, dient allen. Die ausreichende Förderung der Forschung ist daher mein größter Wunsch an die Zukunft.“

Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger

Markus Hengstschläger studierte Genetik, forschte auch an der Yale University in den USA und ist heute Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschafter unterrichtet Studierende, betreibt genetische Diagnostik, ist Berater und Bestsellerautor. Er leitet den Thinktank Academia Superior, ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission, ist Kuratoriumsmitglied des Wiener Wissenschafts-, Forschungs-und Technologiefonds und war zehn Jahre lang Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung und Universitätsrat der Linzer Johannes Kepler Universität. Hengstschläger ist außerdem Wissenschaftsmoderator auf ORF Radio Ö1 und Autor von vier Platz-1-Bestsellern.

Lilian Klebow

Ihre Karriere begann mit acht Jahren beim „Kinderensemble“ der Bayerischen Staatsoper in München. Lilian Klebow absolvierte danach die Schauspielausbildung in München und Wien an der Universität für Musik und darstellende Kunst und schloss in den Fächern Schauspiel, Tanz und Gesang mit Auszeichnung ab. Ihr Theaterdebüt gab sie 1999 bei den Salzburger Festspielen im Jedermann-Ensemble. Durch die TV-Serien „Stadt, Land, Mord!“ und „SOKO Wien/SOKO Donau“ ist sie einem großen Publikum bekannt. Sie spielte in zahlreichen Film- und Theaterproduktionen und steht auch dieses und nächstes Jahr mit drei Gesangsabenden mit der Wiener Musiklegende Béla Korény auf der Bühne (am 31.12.2023 um 16.00 Uhr im Theater Akzent, danach mit Birgit Denk und Norbert Schneider). Neben ihrer Arbeit als Schauspielerin und Sängerin engagiert sich Klebow für den Naturschutz. Seit 2011 ist sie Ehrenbotschafterin des Jane Goodall-Instituts Austria. 2021 erschien ihr erstes Buch „Reise zurück zu mir“. 

Kaan Boztug

Univ.-Prof. Dr. Kaan Boztug studierte in Düsseldorf, Freiburg und London Medizin. Im Jahr 2011 wechselte er als Principal Investigator zum CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien und baute dort seine eigene Forschungsgruppe auf. Seit 2014 leitet Boztug das CeRUD Wiener Zentrum für Seltene und Undiagnostizierte Krankheiten und war zusätzlich von 2016 bis 2023 Direktor des Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases. Weiters ist er Professor für Pädiatrie und Entzündungsforschung an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien, Oberarzt in der Pädiatrischen Hämatologie/Onkologie am St. Anna Kinderspital sowie Wissenschaftlicher Direktor der St. Anna Kinderkrebsforschung.

Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds

2001 wurde der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) als gemeinnützige Wiener Förderorganisation mit dem Ziel gegründet, die Exzellenz und auch die Relevanz der Forschung in Wien kontinuierlich zu steigern. Seine Hauptaufgabe ist es, herausragende Forschungsarbeiten über kompetitive Forschungsförderung zu unterstützen sowie junge Forschende an den Standort Wien zu binden. Wer unterstützt wird, unterliegt strengen Kriterien: Eine international besetzte Jury entscheidet in einem Auswahlverfahren, welche Projekte  substanzielle finanzielle Unterstützung durch den WWTF erfahren. Anträge werden nur nach Ausschreibungen, sogenannten Calls, entgegengenommen, wobei nur zehn Prozent der Projekte erfolgreich sind. Seit seinem Bestehen hat der WWTF mehr als 230 Millionen Euro an Forscher ausgeschüttet. Unterstützt werden Projekte aus dem Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie, Kognitionswissenschaften, Life Science sowie Umweltsystemforschung. Mit der Informationskampagne „Wien will’s wissen“, von der „Spontan gefragt“ einen Teil bildet, will der WWTF die Forschung vor den Vorhang holen: In KURIER TV, profil und KURIER werden wichtige wissenschaftliche Themen unserer Zeit verständlich erörtert und zugleich Forschung, die uns alle betrifft, vorgestellt.