Lebensgeschichten von Vögeln aufzeichnen
Gibt es die klassische Feldforschung noch?
Petra Sumasgutner: Das Beobachten kann noch nicht ersetzt werden, vor allem, wenn es um das Brutvogelmonitoring geht. Da stehen wir Ornithologen immer noch mit dem Feldstecher draußen herum, um zu schauen, wo die Vögel ihre Nester haben. Der Ablauf danach hat sich allerdings durch moderne Techniken verändert – er ist effizienter geworden. Nestkontrollen etwa bedeuten nicht mehr stundenlanges Beobachten mit einem Spektiv, in der Hoffnung, irgendwann einen Kopf des Jungvogels zu erspähen. Heute fliegen wir die Nester einmal kurz mit einer Drohne an, um den Bruterfolg zu wissen und das Alter abschätzen zu können. Da kann ich eine stundenlange Beobachtung, die Stress für die Vögel darstellt, durch ein paar Minuten ersetzen. Ich möchte aber ganz klar festhalten: Mit Drohnen sollte niemand aus Jux und Tollerei herumfliegen, sondern nur, wenn es dafür einen wirklich wichtigen Grund gibt. Drohnen sind für Vögel ein Störfaktor – wir halten die Störung durch sogenannte Proximity Flights möglichst gering. Das bedeutet, dass wir die Drohne nie wie einen Beutegreifer aus dem freien Luftraum zum Nest lenken, sondern sie langsam am Baumstamm oder an der Felswand hochkrabbeln lassen. Oft müssen wir gar nicht mehr nahe an das Nest heran, weil die Drohnen schon so gute Zooms haben und wir ja keine qualitativ hochwertigen Bilder benötigen, sondern Daten zum Alter und zur Anzahl der Jungtiere erheben.
Gibt es noch andere Bereiche, wo sich die Technologie verändert hat?
Die Sender haben einen enormen Sprung gemacht. Früher enthielten sie einen GPS-Sensor. Man konnte nur feststellen, wo sich das Tier befindet. Heute messen Drucksensoren, wie hoch Vögel fliegen oder wie tief sie tauchen können. Temperatursensoren geben den Abfall der Körpertemperatur an – so kann ich Mortalitäten schnell erkennen. Die neuen Sender sind wie eine Smartwatch, die weiß, ob wir Menschen Rad fahren, zu Fuß gehen oder rudern. Dadurch wissen wir nicht nur, wann ein Vogel wo ist, sondern auch, was er dort tut.
Welche Erkenntnisse haben Sie dadurch gewonnen?
Nachdem ich auf Greifvögel spezialisiert bin, geht es in erster Linie um die Jagd. Das große Thema beim Steinadler ist etwa, wie er an seine Beute kommt und wie sein Jagdverhalten im Detail aussieht. Was viele nicht wissen: Steinadler sind sowohl Beutegreifer als auch Aasfresser. In den Jugendjahren, wenn er noch kein erfolgreicher Jäger ist, frisst er etwa Aas, aber auch im Winter, wenn viel Aas zur Verfügung steht. Durch diese Sensoren kann ich verschiedene Verhaltensweisen feststellen – und erkenne, wie das Verhalten mit menschlicher Infrastruktur in Verbindung steht, wie es sich über die Saison verändert und welchen Einfluss Freizeitaktivitäten der Menschen haben. Besonders eindrucksvoll hat sich das bei den Kolkraben gezeigt, die ich auch erforsche. Es sind hochintelligente Tiere, die sogar die Öffnungszeiten der Skigebiete kennen. Sobald die letzte Gondel vom Kaasberg hinunterfährt, fliegen die Kolkraben hinauf. Sie wissen ganz genau, dass die störenden Menschen dann weg sind, sie aber etwa bei den Restaurants Futter finden. Da kann man die Uhr danach stellen. Ich finde es enorm spannend, wie deutlich sie uns Menschen ausweichen und unsere zeitlichen Muster kennen.
Was würden Sie sich für die Ornithologie wünschen?
Gerade wenn man an Auswirkungen von Klimaveränderung oder Urbanisierung denkt, sind Langzeitdaten wichtig. Die gesamte Lebensgeschichte von Tieren zu kennen, ist eine unglaubliche Stärke. Aber bis man solche Daten aufgebaut hat, dauert es – vor allem, wenn man mit so langlebigen Arten arbeitet. Kolkraben und Steinadler werden in freier Wildbahn 20 Jahre, Kronenadler sogar 30 bis 35 Jahre alt – bis man also die Lebensgeschichte eines solchen Vogel hat, vergehen Jahrzehnte. Es ist leider fast unmöglich geworden, diese Forschung in unserer schnelllebigen Zeit voranzutreiben. Ich würde mir also wünschen, dass die Stärke von Langzeitdaten für mehr Menschen ersichtlich wird.