Mit einem Avatar zu mehr Gesundheitskompetenz
Im Vier-Jahres-Rhythmus führt ein interdisziplinäres Forschungsnetzwerk die größte europäische Kinder- und Jugendgesundheitsstudie „Health Behaviour in Schoolaged Children“ durch. Bei ihrer Präsentation im März 2023 zeigte sich deutlich, dass sich die psychische Gesundheit junger Menschen durch die Corona-Pandemie verschlechtert hat. Umso wichtiger wird die Förderung der Gesundheitskompetenz, damit Kinder und Jugendliche Strategien im Umgang mit Stress und psychischen Belastungen zur Verfügung haben. Unter der Leitung von Mag. Dr. Michael Zeiler forscht ein interdisziplinäres Team der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien und der Ferdinand Porsche FernFH in einem vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds und der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich geförderten Projekt, ob eine Serious-Game-Intervention eine geeignete Präventionsmaßnahme sein könnte.
Mag. Dr. Michael Zeiler
Mag. Dr. Michael Zeiler von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien arbeitet mit einem Forschungsteam an einem Serious Game, das die psychische Gesundheitskompetenz von 10- bis 14-Jährigen stärken soll.
Wie sind Sie auf die Idee eines Lernspiels zur Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz gekommen?
Michael Zeiler: In den vergangenen Jahren vermerkten wir einen Anstieg von Depressionen oder depressiven Symptomen, Angstsymptomen bis hin zu Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig ist man auf eine Art Notfallprogramm umgestiegen: Man hat sich um diejenigen gekümmert, die mit schweren Symptomen oder dem klinischen Vollbild einer psychischen Erkrankung an die Kliniken gekommen sind. Meiner Meinung nach ist es enorm wichtig, bei der Prävention anzusetzen, damit es gar nicht erst so weit kommt.
Wir beschäftigen uns seit Jahren mit online- und internetbasierter Prävention von psychischen Erkrankungen im Kinder- und Jugendbereich. So haben wir im Rahmen eines EU-Projekts ein Online-Programm entwickelt, dessen Ziel es war, einen gesunden Lebensstil aufzubauen. Es war allerdings psycho-edukativ angelegt, und wir haben gesehen, dass solche Präventionsprogramme für Kinder und Jugendliche manchmal langweilig sind. Daher möchten wir einen anderen Ansatz ausprobieren – und zwar in Form eines Spiels für das Smartphone oder Tablet, das dabei hilft, die psychische Gesundheitskompetenz bei Kindern und Jugendlichen zu fördern.
Wie kann man sich so ein Spiel vorstellen?
Die Idee ist, dass die Kinder und Jugendlichen im Spiel einen Avatar durch eine virtuelle Welt bewegen und dabei in bestimmte Situationen kommen oder auf andere Figuren treffen, mit denen sie interagieren müssen. Die große Aufgabe, die wir in den kommenden zwei Jahren vor uns haben, wird sein, die psychischen Inhalte, die wichtig sind, spannend in das Spiel zu verpacken. Um das zu erreichen, arbeiten wir eng mit Kindern und Jugendlichen zusammen. In einem ersten Schritt haben wir sie befragt, was ein Serious Game können muss, um attraktiv zu sein. Genauso haben wir aber mit ihnen die wichtigsten psychischen Lernziele erarbeitet. Ich nenne ein Beispiel: Bei einem Lernziel wird es darum gehen, die eigenen Emotionen richtig einzuschätzen, sodass man in sich hineinhören und die Gefühle benennen kann. Das klingt völlig banal, ist aber für viele Menschen ein Problem. Wir wollen, dass die Kinder und Jugendlichen verstehen, wie ihre Gefühle mit ihren Gedanken zusammenhängen und welche Auswirkungen das auf ihr Verhalten haben kann. Ein anderes Lernziel wird sein, wie man mit Stress umgehen kann. Denn wir wissen aus Befragungen, dass das die häufigste psychische Belastung für Kinder und Jugendliche ist.
Wir möchten einen anderen Ansatz ausprobieren – und zwar in Form eines Spiels für das Smartphone oder Tablet, das dabei hilft, die psychische Gesundheitskompetenz bei Kindern und Jugendlichen zu fördern.
Wer arbeitet noch an dem Forschungsprojekt mit?
Wir sind ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Psycholog*innen, Mediziner*innen, aber auch Sozialwissenschafter*innen, Softwareentwickler*innen, Grafiker*innen und Spieleentwickler*innen. So decken wir alle nötigen Kompetenzen ab. Für mich ganz wichtig: Wir haben eine bekannte Fantasy-Autorin mit an Bord, die uns beim Schreiben der Rahmengeschichte unterstützt. Denn gerade diese muss so gestaltet sein, dass sie für Kinder und Jugendliche attraktiv ist. Und nicht zu vergessen sind die Kinder und Jugendlichen selbst. Sie werden immer wieder in den Entwicklungsprozess eingebunden, etwa um Teile, die schon entwickelt sind, zu testen und uns Feedback zu geben, was ihnen gefällt und was sie weniger gut finden.
Was erhoffen Sie sich bei Abschluss des Projekts?
Unser Ziel ist ein Prototyp eines Serious Games, der funktioniert und tatsächlich die psychische Gesundheitskompetenz stärken und den Umgang mit psychischen Belastungen verbessern kann. Wenn das der Fall ist, wäre es toll, wenn man Partner findet, die den Prototyp so weiterentwickeln, dass er für einen großen Markt attraktiv ist. Es wäre großartig, wenn so ein Spiel in den App Stores seinen Platz findet, denn aus Public-Health-Sicht ist es wünschenswert, dass ein funktionierendes Spiel zur Stärkung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen für alle leicht zugänglich ist.