Präziser Austausch mit Lichtgeschwindigkeit
Basis jeder wissenschaftlichen Theorie ist eine Hypothese. Wie lautete Ihre?
Stefan Rotter: Unsere Hypothese war, dass man mit Konzepten aus der Optik auch Quantenphysik betreiben kann. Nehmen Sie als Beispiel einen Parabolspiegel: Er ist bei jeder Satellitenschüssel die Grundlage dafür, dass das von Satelliten ausgesandte Signal genau auf den Empfänger fokussiert wird. Unsere Idee war, an dem Platz des Empfängers ein Atom zu positionieren. Schickt man dann Licht auf so einen Parabolspiegel, müsste das Atom ein Photon, das in diesem Licht ist, einfangen können. Setzt man dann auf die andere Seite noch einen zweiten Parabolspiegel, ergibt sich daraus eine Ellipse. Wenn sich nun in den beiden Brennpunkten der Ellipse jeweils ein Atom befindet, müssten diese das Photon hin- und herspielen können – so wie beim Tischtennis.
Mit dieser Hypothese hat Oliver Diekmann seine Doktorarbeit begonnen, wobei wir im Zuge der Berechnungen draufgekommen sind, dass in einer speziellen Linse, der sogenannten Maxwell-Fischaugenlinse, der Austausch noch besser funktioniert.
Oliver Diekmann: In einer Ellipse müssten die Atome ganz präzise an den Brennpunkten positioniert sein, um den gewünschten Effekt zu erzielen. In der Maxwell-Fischaugenlinse werden die Lichtstrahlen gekrümmt. Auf diese Weise kann man erreichen, dass alle Strahlen, die von einem Atom ausgehen, auf einem krummen Pfad den Rand erreichen, dort reflektiert werden und dann auf einem zweiten krummen Pfad zum Zielatom gelangen. Der Effekt ist damit effizienter, und Abweichungen von der Idealposition der Atome fallen nicht so stark ins Gewicht.
Wie kann man sich die Überprüfung der Hypothese vorstellen?
Stefan Rotter: Als theoretische Physiker versuchen wir, konzeptionelle Grundideen immer rechnerisch zu überprüfen – also ob die zu erwartenden Ergebnisse tatsächlich herauskommen, wenn man die entsprechenden Gleichungen für so ein System löst. In der Praxis bedeutete dies, dass Oliver auf einem Großrechner aufwendige numerische Simulationen gestartet hat, um zu sehen, ob die Wechselwirkung von Atomen in so einer speziellen Linse funktioniert. Das Erfolgserlebnis war, dass wir das erhoffte Ergebnis tatsächlich in den Lösungen der Gleichungen sehen konnten.
Wenn man etwas berechnen will, das noch nie berechnet wurde, woher weiß man dann, welche Gleichungen verwendet werden müssen?
Stefan Rotter: Erwin Schrödinger, einer der bekanntesten österreichischen Physiker und Nobelpreisträger, hat mit seiner Gleichung die Grundlage dafür gelegt, wie sich die kleinsten Bauteile unserer Welt beschreiben lassen. Die nach ihm benannte Schrödinger-Gleichung war auch für uns der Ausgangspunkt für dieses Projekt. Diese Gleichung zu lösen, insbesondere wenn mehrere Atome beteiligt und in einer komplizierten Umgebung eingebettet sind, ist aber immer wieder eine große Herausforderung. Das erfordert nicht nur viel Hirnschmalz, sondern auch Großrechner, denn mit Bleistift und Papier allein ist das meistens nicht machbar.
Warum ist es von Interesse, zu wissen, wie Atome Photonen aufnehmen und punktgenau zu anderen Atomen abgeben?
Oliver Diekmann: Aus dem Projekt können verschiedene Sachen entstehen. Unsere Grundidee war, ein Photon von einem System auf ein anderes zu übertragen. Wenn etwa zwei Quantencomputer in einiger Distanz voneinander positioniert sind, würde man die Kommunikation zwischen ihnen gerne mit Photonen vornehmen, da diese schnell und wenig störanfällig sind. Deswegen sind Systeme, wo ein Photon zielgenau übertragen werden kann, von großem Interesse. Es können auch andere Dinge aus unserer Forschung entstehen: Die Quantenkommunikation beruht im Allgemeinen auf dem Austausch von Photonen, mit denen man Informationen verschlüsselt übermitteln kann. Eine Erweiterung unseres Konzepts in diese Richtung wäre definitiv interessant.
Durch die Maxwell-Fischaugenlinse fallen Abweichungen von der Idealposition der Atome nicht so stark ins Gewicht.
Wie geht es nun weiter?
Stefan Rotter: Wir haben unsere Ergebnisse publiziert und treten nun mit Kolleg*innen aus der Experimentalphysik in Kontakt, damit diese unsere Vorhersagen auch im Experiment umsetzen.
Das heißt, Sie geben Ihr geistiges Baby aus der Hand?
Stefan Rotter: Wer in der Grundlagenforschung arbeitet, stellt durch eine Publikation seine Ergebnisse der Weltöffentlichkeit zur Verfügung. Es kann also auch sein, dass wir selbst erst durch eine weitere Publikation erfahren, dass jemand unsere Ergebnisse im Experiment aufgegriffen hat.
Als Theoretiker können wir jedenfalls die Messungen nicht selbst machen – dazu fehlt uns sowohl die Expertise als auch die geeignete Ausstattung. Am Institut für Theoretische Physik finden Sie jede Menge kluge Menschen und Computer, aber kein Labor. (lacht) Daher versuchen wir eine experimentelle Umsetzung im Rahmen einer Kooperation zu realisieren, an der wir jedenfalls sehr interessiert wären.