Von links: Andrea Händler, Markus Hengstschläger und Juliane Winkler
Entgeltliche Kooperation

Schlafende Tumorzellen detektieren

Im Wissenschaftstalk „Spontan gefragt“ wird ein neues Licht auf die Metastasierung von Tumorzellen geworfen: Wie und warum sie entstehen, ist Mittelpunkt eines laufenden Forschungsprojekts an der Medizinischen Universität Wien.

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Die aktuelle Statistik spricht Bände: 2022 wurde in Österreich bei 20.683 Frauen und 24.081 Männern Krebs festgestellt. 

Die häufigsten Diagnosen waren dabei bei Frauen bösartige Tumore der Brust (6096 Fälle) und bei Männern bösartige Tumore der Prostata (7000 Fälle). An dritter Stelle liegt Lungenkrebs. Zwar werden die Behandlungsmethoden laufend besser, dennoch bleibt bei allen Tumorerkrankungen die Gefahr der Metastasierung. Im Wissenschaftstalk „Spontan gefragt“ begrüßt Moderator Markus Hengstschläger die Pharmazeutin Juliane Winkler, die an diesem Thema forscht, und die Schauspielerin und Kabarettistin Andrea Händler, die selbst schon die Diagnose Krebs erhalten hat. „In deinem Projekt widmest du dich der Metastasierung bei Brustkrebs, setzt dabei aber auch künstliche Intelligenz ein“, beginnt Markus Hengstschläger das Gespräch. „Wie kann man sich das vorstellen?“ 

Wenn Frauen die Diagnose Brustkrebs erhalten, könne man nicht davon ausgehen, dass sich alle Tumore gleich verhalten, entgegnet die Pharmazeutin. „Jeder Tumor ist unterschiedlich, selbst innerhalb des Tumors gibt es verschiedene Zellen, die auch verschiedene Funktionen ausüben und dadurch stärker oder schwächer zur Metastasierung neigen.“ In ihrer Forschung gehe es darum, was metastasierte Zellen von Zellen des Primärtumors unterscheidet und wie sie gesundes Gewebe verändern können. „Deshalb schauen wir uns alle Tumorzellen auf Einzelzellniveau an, welche Eigenschaften und Genprofile sie und auch ihre Umgebung haben“, so Winkler. „Dabei führen wir verschiedene Modalitäten zusammen – und da so sehr viele Informationen zusammenkommen, setzen wir KI ein, um diese auszuwerten.“

Andrea Händler will es genauer wissen: „Erforscht ihr das sozusagen am lebenden Objekt?“ Die Wissenschafterin verneint. „Wir haben eine Kooperation mit einer Pathologin, von der wir Gewebeproben der Primärtumore, aber auch der Metastasen zur Verfügung gestellt bekommen“, so Juliane Winkler. „Nur so sind wirklich Vergleiche möglich.“ Zeitgleich gebe es auch Versuche an Mäusen, denen ein Stück des Brusttumors implantiert werde, um den gesamten Prozess der Metastasierung abzubilden. Markus Hengstschläger fragt, ob die Forschung auf die Entwicklung von Medikamenten gegen Brustkrebs abzielt. „Es wird sehr schwierig, für die unterschiedlichen Eigenschaften des Krebses ein Medikament zu finden“, entgegnet die Pharmazeutin. „Aber wir hoffen, Gemeinsamkeiten zu finden, die die Tumorzellen als Strategien verwenden, um sich in bislang gesundem Gewebe wohlzufühlen.“

Krebsfrüherkennung hilft

Das bringt Andrea Händler zur nächsten Frage. Die Kabarettistin erzählt, dass sie ein Nierenzellenkarzinom diagnostiziert bekommen hatte. „Bei den anschließenden Kontrollterminen ist immer die Lunge untersucht worden“, sagt sie. „Warum genau die Lunge?“ Tatsächlich sei es so, dass manche Organe häufiger von Metastasen betroffen seien als andere, entgegnet Winkler. „Sie sind von ihrem Aufbau her dafür prädestinierter“, so die Forscherin. „Krebs ist eine systemische Erkrankung – die Tumore sind nicht lokalisiert auf den Ort, wo sie diagnostiziert werden. Sie haben Wege, in anderes Gewebe zu gelangen, dieses vorzubereiten und zu verändern, sodass vielleicht Metastasen entstehen.“ 

Ob darunter Streuen verstanden würde, will Händler wissen. Juliane Winkler bejaht. „Metastasieren, streuen oder auswandern bedeutet immer dasselbe: Der Primärtumor verlässt durch die Blutbahn oder das Lymph­system den Ort, wo er ursprünglich zu finden war, und siedelt sich irgendwo anders an.“ Daher sei es auch so wichtig, eine frühe Diagnose stellen zu können, denn beim Primärtumor sei die Behandlungsmöglichkeit ungleich größer. Bei einem gestreuten Tumor würde die Therapie meist nicht mehr greifen. „Sobald eine Metastasierung eingetreten ist, weiß man auch nicht mehr, wo überall im Körper Zellen betroffen sein können“, fasst die Pharmazeutin zusammen. „Es können ja auch nur winzige Zellverbände sein, da reicht die moderne Bildgebung nicht aus, um diese zu lokalisieren.“

 „Kann man selbst etwas dazu beitragen, dass es zu keinen Metastasen kommt?“, erkundigt sich Andrea Händler. „Alles, was man tun kann, um gesund zu leben, würde ich sagen“, antwortet Juliane Winkler. „Wir wissen, dass es Trigger gibt, die schlummernde Zellen wecken können, die sich früh vom Primärtumor gelöst haben – das können Entzündungen, aber auch Rauchen sein.“ Welche weiteren Mechanismen dazu führen, wird ebenfalls intensiv erforscht, so die Wissenschafterin. „Wenn ich also gesund esse, nicht rauche, keinen Alkohol trinke und Sport mache, kann ich vielleicht Metastasen verhindern?“, hakt Andrea Händler nach. Neuen Untersuchungen zufolge habe der Metabolismus, also der Stoffwechsel, viel mit der Entstehung von Tumoren zu tun, bestätigt Juliane Winkler. „Ich sage immer: Man kann alles in Maßen machen, nur nicht rauchen – das sollte man nicht einmal in Maßen.“ 

Juliane Winkler
Dr. Juliane Winkler ist approbierte Apothekerin und promovierte an der Universität Heidelberg. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), dem European Molecular Biology Lab (EMBL) sowie dem Institut für Pathologie des Universitätsklinikums Heidelberg forschte sie, wie veränderte Signaltransportwege innerhalb einer Krebszelle zu aggressivem Leberkrebs beitragen. Danach arbeitete Winkler für lange Zeit an der University of California San Francisco (UCSF) im Labor der renommierten Forscherin Zena Werb im Feld der Tumorheterogenität und Metastasierung. Vor zwei Jahren wurde sie an die Medizinische Universität Wien ans Zentrum für Krebsforschung als unabhängige Arbeitsgruppenleiterin rekrutiert. In einem vom WWTF geförderten Projekt untersucht sie mit ihren Kollaborationspartnern André Rendeiro (CeMM) und Zsuzsanna Bagó-Horváth (MedUni Wien), welche Faktoren maßgeblich an der Metastasierung von Brustkrebs verantwortlich sind, und entwickelt neue Methoden zur Untersuchung von Einzelzellen. Für ihre Forschung wurde Juliane Winkler mehrfach ausgezeichnet – unter anderem erhielt sie ein EMBO Long-Term Fellowship.

Andrea Händler 
Andrea Händler wurde in Wien geboren und wuchs in der Steiermark auf. Nach ihrer Ausbildung zur Schauspielerin bei Herwig Seeböck, Reinhard Tötschinger und Giora Seeliger war sie in verschiedenen Theaterproduktionen zu sehen. Zeitgleich entdeckte sie ihre Liebe zum Kabarett: Händler spielte als Mitglied der Gruppe Schlabarett unter anderem im Programm  „Atompilz von links“ mit. Im Kultfilm „Muttertag“ schlüpfte sie in verschiedene Rollen und sorgte so für Begeisterung. Auch als Solokünstlerin ist Händler erfolgreich – so gewann sie etwa für ihr Programm „Auszeit“ 1999 den Salzburger Stier, außerdem erhielt sie 2000 den Österreichischen Kleinkunstpreis. 

Markus Hengstschläger
Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger studierte Genetik, forschte auch an der Yale University in den USA und ist heute Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschafter forscht, unterrichtet Studierende und betreibt genetische Diagnostik. Er leitet den Thinktank Academia Superior, ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission, Kuratoriumsmitglied des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Stammzellforschung. Er war zehn Jahre lang Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung und Universitätsrat der Linzer Johannes Kepler Universität. Hengstschläger ist 
außerdem Unternehmensgründer, Wissenschaftsmoderator, Autor von vier Platz-1-Bestsellern sowie Leiter des Symposiums „Impact Lech“.