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Dr. Michael Iwersen vom Zentrum für Systemtransformation und Nachhaltigkeit in der Veterinärmedizin an der Vetmeduni arbeitet an einem KI-basierten Videosystem zur Geburtsüberwachung, das Komplikationen bei der Geburt von Kälbern oder Ferkeln verhindern soll.

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Warum kommt es bei Nutztieren zu Geburtskomplikationen?
Michael Iwersen: Diese Frage ist nicht in einem Satz zu beantworten, da viele Faktoren dazu beitragen können. Manche liegen in der Natur des Geburtsvorgangs, manche sind aber auch hausgemacht. Wenn Landwirt*innen etwa übervorsichtig sind und zu oft kontrollieren, in den Stall gehen und sogar in die Geburt eingreifen, kann das beim Muttertier Stress auslösen. Und das wiederum kann zu Problemen bei der Geburt führen. Das soll aber nicht bedeuten, dass Kontrollen vor der Geburt unterlassen werden sollten. 

Wir wollen die klassische Videoüberwachung, die schon seit etwa 30 Jahren eingesetzt wird, so weiterentwickeln, dass eine arbeitseffiziente und bestmögliche Kontrolle der Tiere möglich ist, ohne sie zu stressen.

Priv.-Doz. Dr.med.vet. Michael Iwersen

Vetmeduni Wien

Da setzt Ihr Forschungsprojekt ein ...
Genau. Es gilt Schwergeburten zu vermeiden, denn dabei kommen oftmals das Jung- und das Muttertier zu Schaden. Die Bandbreite reicht von Erschöpfung bis hin zu Verletzungen im weichen Geburtskanal, die Folgen auf die weitere Gesundheit sowie die künftige Leistung des Tieres haben können. Totgeburten sind ein finanzieller Verlust, aber sie sind auch eine große psychische Belastung für die Landwirt*innen. All das gilt es zu vermeiden. Wir wollen daher die klassische Videoüberwachung, die schon seit etwa 30 Jahren eingesetzt wird, so weiterentwickeln, dass eine arbeitseffiziente und bestmögliche Kontrolle der Tiere möglich ist, ohne sie zu stressen.

Wie kann man sich das System vorstellen?
Bei bisherigen Systemen mussten die Landwirt*innen die übertragenen Bilder aktiv auf einem Bildschirm beobachten. Das bedeutet unter anderem wiederholtes Aufstehen in der Nacht. Wir koppeln die Videosysteme mit KI und Algorithmen, die die Bilder automatisch klassifizieren. Sie suchen nach Verhaltensmustern, die für den Beginn einer Geburt spezifisch sind, und schicken dann eine Meldung auf das Handy der Landwirt*innen. 

Sind diese Verhaltensmuster bei allen Nutztieren ident?
Es gibt tierspezifische Unterschiede. Neben klassischen Anzeichen einer Geburt suchen wir in den Videos gezielt nach einem Muster, das man mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Das kontinuierliche Monitoring, die feine Auflösung und die Möglichkeit, dass wir nahezu unendlich viele Werte pro Minute erhalten können, machen es möglich, immer feinere Signale der Tiere, die auf die Geburt hinweisen, zu identifizieren. Dabei sind wir auf eine Idee gestoßen, die ein spezifisches Merkmal für Rinder sein könnte. Bevor wir darüber reden, müssen wir sie allerdings genauer überprüfen.

Priv.-Doz. Dr.med.vet. Michael Iwersen

Michael Iwersen vom Zentrum für Systemtransformation und Nachhaltigkeit in der Veterinärmedizin an der Vetmeduni arbeitet an einem KI-basierten Videosystem zur Geburtsüberwachung, das Komplikationen bei der Geburt von Kälbern oder Ferkeln verhindern soll.

Wo stehen Sie mit Ihrem Projekt?
Wir sind beim Trainieren der Algorithmen. Zunächst ging es darum, dass die KI erkennt, um welche Tierart es sich handelt, wo etwa die Beine, das Maul und der Schwanz sind. Nachdem die einzelnen Körperpunkte verlässlich identifiziert werden konnten, ging es darum, der KI klassische Verhaltensmuster beizubringen. Sie muss erkennen, ob die Kuh steht, frisst oder liegt, um später Verhaltensmuster der Geburt klassifizieren zu können. 

In jedem Stall finden sich unterschiedliche Gegebenheiten. Das System kann das alles ausgleichen?
Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Wir sind mit verschiedenen Stalltypen konfrontiert, auch Licht und Schatten spielen eine Rolle. Wir arbeiten an Lösungen auf Fragen wie: Wie viele Kameras sind notwendig? In welchem Winkel müssen sie aufgehängt werden? Wie kann das System die richtige Kuh identifizieren, wenn sich mehrere Tiere im Abkalbebereich befinden? Doch auch ein ausgereiftes, funktionierendes System ist nur gut, wenn es gewartet wird. Über Nacht kann eine Spinne ein Netz vor der Kamera bauen und dadurch einen Fehlalarm auslösen. Die Eigeninitiative der Landwirt*innen wird also immer gefragt sein. 

Woher bekommen Sie die für Ihr Projekt benötigten Daten?
Die Vetmeduni betreibt in Niederösterreich einen Lehr- und Forschungsbetrieb mit ca. 80 Milchkühen. Auf der VetFarm setzen wir Videokameras ein, zusätzlich werden die Tiere von Mitarbeiter*innen aus der Ferne beobachtet ,und die Daten der Abkalbung werden notiert. Diese Informationen reichen aber nicht aus. Daher kooperieren wir mit kommerziellen Betrieben, in denen wir Videokameras aufgehängt haben, um zu testen, ob die entwickelten Algorithmen praxistauglich sind. 

Ketzerisch gefragt: Warum kann man bei Nutztieren die Geburt nicht einfach ohne Überwachung passieren lassen?
Zunächst ist eine Geburt ein natürlicher Vorgang. Aus meiner Sicht ist es auch eine ethische Frage: Wenn ich Nutztiere halte, stehen sie unter meiner Obhut. Somit ist es meine Pflicht, mich bestmöglich um sie zu kümmern und sie vor Gefahren, Schmerzen oder Verletzungen zu bewahren – und dazu zählt auch ,Geburtsprobleme frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden, wenn möglich.