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Tonspuren von großer Bedeutung

Das Phonogrammarchiv (PhA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften feiert seinen 125. Geburtstag. Die Leiterin Kerstin Klenke erzählt, was die Sammlung von Tonaufnahmen weltweit einzigartig macht.

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Mit welchem Ziel wurde das Phonogrammarchiv gegründet?
Kerstin Klenke: Die Akademie der Wissenschaften wollte wissenschaftliche Tondokumente zur Nachnutzung für die Forschung produzieren. Im Grunde war das ein früher Open-Science-Ansatz und zu damaliger Zeit etwas völlig Neues, was erst nach der Erfindung der Tonaufzeichnung durch Thomas Edison im Jahr 1877 möglich wurde. Dabei verfolgte man einen breiten Sammlungsauftrag. Man wollte sämtliche europäische Sprachen und Dialekte und in Folge auch alle Sprachen der Welt aufnehmen. Zum anderen wollte man westliche Kunstmusik, aber auch – und das ist jetzt ein Zitat – „Musikvorträge wilder Völker“ dokumentieren. Der dritte Punkt waren Stimmporträts berühmter Persönlichkeiten.

Wie kam es zu den heutigen Beständen?
Die Grundidee war die der eigenen Produktion. Die erste Sprachaufnahme war ein Stimmporträt vom Physiker Ludwig Boltzmann, direkt bei der Gründung 1899. In der offiziellen Zählung stammen die ersten Aufnahmen aber von Kaiser Franz Josef und Erzherzog Rainer, obwohl sie erst später entstanden sind. 1901 gab es die ersten Forschungsreisen: Mit einem vom PhA selbst entwickelten Gerät, dem Archivphonographen, fuhr man nach Kroatien, auf die Insel Lesbos und nach Brasilien.
Grundsätzlich wurden die Bestände immer durch drei Aktivitäten erweitert. Das eine waren Forschungs- und Dokumentationsprojekte. Hinzu kam die Unterstützung externer Forscher*innen, denn Aufnahmegeräte waren lange eine Rarität. Die Wissenschafter*innen gingen mit Geräten des PhA auf Forschungsreisen und stellten dem Archiv danach die Aufnahmen zur Verfügung. Diese Art der Unterstützung bieten wir auch heute noch an, sie hat vor allem durch die technische Entwicklung aber an Bedeutung verloren. Wichtiger geworden ist die Übernahme bereits existierender Sammlungen. Viele Forscher*innen besitzen noch analoge Aufnahmen, die durch natürlichen Verfall gefährdet sind. Hier gilt es für uns, österreichisches Wissenschaftserbe zu bewahren. Wir haben den Gerätepark, um eine Vielfalt historischer Tonträger digitalisieren zu können. Am PhA hat es immer auch Technikforschung gegeben. Zuerst war es die Entwicklung von Aufnahmegeräten, jetzt ist es mehr Materialforschung: wie man Träger erhalten, restaurieren und wieder spielbar machen kann. Parallel dazu findet kontinuierlich die Digitalisierung unseres physischen Bestands an Platten, Tonbändern, Kassetten und selteneren Formaten statt.

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Das PhA ist also nicht nur Anlaufstelle für Forschende, sondern betreibt auch selbst Forschung?
Wir sind grundsätzlich an der Schnittstelle von Forschung und Service, Wissenschaft und Öffentlichkeit angesiedelt und seit jeher breit interdisziplinär aufgestellt. Zum einen gibt es am PhA Forschung, die zu einem besseren Verständnis der Bestände führt, zu ihrer Materialität und ihren Entstehungskontexten. Diese waren durchaus auch problematisch, wenn man zum Beispiel an die Kolonialzeit, Kriegsgefangene oder den Nationalsozialismus denkt. Hier kommt die Wissenschafts- und Institutionsgeschichte ins Spiel, und es geht um die kritische Aufarbeitung dieser sensiblen Sammlungen in Kollaborationen mit den Nachfahren der Aufgenommenen. Zum anderen hat das PhA eine lange Forschungstradition in den Disziplinen Sprachwissenschaft, Ethnomusikologie und Kultur- und Sozialanthropologie, aus denen der größte Teil unserer Bestände stammt. Hier geht es unter anderem um audio-visuelle Methodik in der Feldforschung. Generell ist es uns ein Anliegen, dass mehr Forscher*innen am PhA andocken, weil das immer einen Mehrwert bringt. Wir stellen unsere Bestände zur Verfügung und erhalten dadurch Informationen, die wiederum in die Erschließung und damit den Katalog einfließen. In der Aufarbeitung von Sammlungen kooperieren wir aber nicht nur mit Forscher*innen, sondern auch die Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen ist wichtig.

Gibt es Aufnahmen im PhA, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Würden mir nicht alle Aufnahmen am Herzen liegen, wäre ich als Leiterin des PhA fehl am Platze. (lacht) Aber natürlich gibt es Bestände, zu denen ich durch meine Forschung in Zentralasien und dem Kaukasus mehr Bezug habe. Aktuell arbeiten wir zum Beispiel an einer Edition von Sprachaufnahmen aus dem Kaukasus vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Im PhA liegen teilweise die frühesten Aufnahmen, die es von diesen Sprachen gibt. Das ist es, was unser Archiv insgesamt so besonders macht: Hier finden sich die ersten Aufnahmen von Sprachen oder Traditionen überhaupt – und auch aus späterer Zeit Aufnahmen, die sonst nirgendwo existieren: Weil die Traditionen selbst verschwunden sind oder einfach nicht dokumentiert wurden. Daher sind wir auch Anlaufstelle für Wissenschafter*innen aus der ganzen Welt, und nicht umsonst sind Bestände von uns in das UNESCO Memory of the World oder Memory of Austria aufgenommen worden.