Von Empathie und Süchten
Hunde sind gut erforscht. Wo erkennen Sie noch „schwarze Flecken“?
Stefanie Riemer: Mich interessieren die Emotionen – was Hunde empfinden und wie sie ihre Emotionen ausdrücken. Das ist ein komplexes Thema, denn tatsächlich können wir nicht einmal bei anderen Menschen sagen, wie sich deren Emotionen anfühlen. Man kann aber anhand von Körpersprache, Gesichtsausdruck oder Verhalten wie Meiden, Annäherung sowie physiologischen Messungen, etwa Herzrate oder Kortisol im Speichel, bestmöglich Rückschlüsse darauf ziehen, was Tiere fühlen.
Welche Emotionen sind bekannt?
Wir wissen, dass alle Säugetiere sogenannte Basisemotionen haben, die für das Überleben wichtig sind. Dazu zählt etwa die Furcht, aber auch so etwas wie Zorn, der den Tieren ermöglicht, sich selbst oder Ressourcen zu verteidigen. Seeking treibt an. Auch ist es überlebenswichtig, damit sich Tiere ihre Ressourcen holen. Die sexuelle Lust sorgt für die Fortpflanzung und die Fürsorge dafür, dass sich die Tiere um ihren Nachwuchs kümmern. Komplexer wird es bei den sogenannten Sekundäremotionen wie Empathie, Eifersucht oder Schuldgefühlen. Etliche Studien deuten darauf hin, dass Hunde zu Empathie fähig sind. Sie zeigen Anzeichen emotionaler Ansteckung, wenn sie Weinen oder Winseln hören, sogar beim Geruch von Angst wurde nachgewiesen, dass Hunde selbst eine erhöhte Herzrate und vermehrte Stresssignale zeigen und die Tendenz haben, sich ihrer Bezugsperson zuzuwenden. Doch es gibt auch Hinweise auf sogenannte fürsorgliche Empathie: Das hat sich etwa in Versuchen gezeigt, wo in einem Raum entweder die Bezugsperson oder eine fremde Person vorgab zu weinen. Die Hunde haben sich in beiden Fällen dem weinenden Menschen zugewandt. Schuldbewusstsein hingegen gibt es bei Hunden nicht, selbst wenn die Halter es glauben. Alle Verhaltensweisen, die sie zeigen, wenn sie etwa den Mistkübel ausgeräumt haben, sind Beschwichtigungssignale – also das Blickabwenden, die Ohren anlegen oder sich kleinzumachen. Damit wollen Hunde sozialen Konflikten mit ihrer Bezugsperson vorbeugen, weil sie vielleicht in der Vergangenheit dafür geschimpft wurden.
Woran forschen Sie aktuell?
Ich beschäftige mich mit der Frage, ob Hunde so wie Menschen Verhaltenssüchte entwickeln können. Es gibt die sogenannten Balljunkies, Hunde, die scheinbar für ihr Spielzeug alles machen würden. Die Frage ist: Kann man es tatsächlich mit einem Suchtverhalten vergleichen? Weil nur eine hohe Ballmotivation ist noch keine Sucht. Süchte manifestieren sich vor allem, wenn das Objekt der Begierde nicht verfügbar ist. In unserer Studie hat die Bezugsperson etwa mit dem Hund gespielt, dann wurde das Spielzeug auf ein Regal oder in eine verschlossene Box gelegt, und wir haben dem Hund Alternativen angeboten – etwa Futter. Es hat sich gezeigt, dass es Hunde gibt, die tatsächlich drei Minuten lang, so lange dauerten unsere Tests, irgendwie versuchen, an das Spielzeug heranzukommen, und das Futter oder die soziale Interaktion mit der Bezugsperson ignorieren. In weiterer Folge kamen Spielsachen und Futter aus dem Raum, und 15 Minuten lang war gar nichts los. Die Frage war: Kommen die Hunde in dieser Zeit herunter, legen sie sich hin oder gehen sie zu ihrem Menschen kuscheln? Da konnten wir bei einigen wenigen Hunden Zeichen für das sogenannte Craving, also ein starkes Verlangen, feststellen. Sie können auch nicht auf ihr Spielzeug vergessen, wenn es nicht verfügbar ist. Diese scheinen Suchtkriterien zu erfüllen.
Was passiert nun mit dieser Erkenntnis?
Das war eine erste Studie, um zu überprüfen, ob es dieses Phänomen überhaupt gibt. In unserer Folgestudie interessiert uns, wie Hunde zum Balljunkie werden – Einflüsse von Genetik und Umwelt. Dabei wollen wir herausfinden, wie sehr das Spielen oder die Selbstkontrolle gefördert wurde und ob eine hohe Motivation für das Spielzeug oder die Beute sogar erwünscht ist. Denn bei vielen Arbeitshunden wird eine hohe Motivation begrüßt. Die nächste Frage, die man sich stellen muss, ist, ab wann führt suchtähnliches Verhalten zu Problemen für das Wohlergehen der Hunde. Und erst dann kommt der Ansatz: Was kann man dagegen tun? Ich habe mich schon in den letzten acht Jahren auf Studien konzentriert, die zum größten Teil einen angewandten Nutzen haben – etwa zum Thema Angst vor Feuerwerken oder Sozialisierung von Hundewelpen. Das kann ich nun durch meine Assistenzprofessur für „Companion Animal Management“ noch weiter ausbauen. Interessierte Hundehalter sind herzlich eingeladen, sich unter www.cleverdoglab.at zu registrieren, um an zukünftigen Studien teilzunehmen.