Den Stress von Zuckerrüben ergründen
Warum sind Sie gerade an der Zuckerrübe interessiert?
Heinz Himmelbauer: Sie ist eine wichtige Kulturpflanze für Österreich, für die der Klimawandel eine große Herausforderung darstellt. Wir sehen, dass sie unter Trockenstress leidet und neue Schädlinge aus wärmeren Gebieten einwandern, gegen die sie keine Resistenzen hat. Natürlich könnte man auf künstliche Bewässerung umsteigen und mehr Schädlingsbekämpfungsmittel einsetzen, aber das ist kontraproduktiv für die Umwelt. Viel besser wäre es, wenn man die Anpassungsfähigkeit der Kulturpflanze verändert, indem man in den Wildpflanzen gezielt nach Resistenzen sucht und diese dann in die Kulturpflanze einkreuzt.
Wie kann man sich das vorstellen?
Himmelbauer: Kulturpflanzen wurden über Jahrhunderte, zum Teil Jahrtausende von den Menschen auf wünschenswerte Merkmale hin selektiert. Daher variieren sie stark zu ihren wilden Vorfahren. Wir sind daran interessiert, welche Unterschiede es im Genom gibt, die durch den Züchtungsvorgang verschwunden sind. In der bioinformatischen Genomforschung werden die Genome von einer großen Anzahl unterschiedlicher Linien von kultivierten Pflanzen sowie wilden Akzessionen, also Sammlungen, sequenziert. Diese liegen dann in kurzen DNA-Fragmenten vor, es handelt sich um Millionen solcher Sequenzen. Im nächsten Schritt ermitteln wir die Unterschiede für mehrere tausend Genome und gruppieren die Pflanzen nach ihren Genotypen – wenn wir beispielsweise wissen, dass bei bestimmten Wildrüben eine erwünschte Eigenschaft vorliegt, fällt diese in eine Gruppe. Wildrüben, die sie nicht aufweisen, sind eine andere Gruppe. So wollen wir die Varianten herausfiltern, für die diese Eigenschaften charakteristisch sind. Wissen wir das, gehen wir zurück auf das Genom und schauen, welche Gene an diesen Stellen lokalisiert sind. Kann man schließlich die Funktion des Gens beurteilen, hat man einen guten Kandidaten, mit dem man weiterarbeiten kann. Allerdings macht auch der Standort viel aus: Wildrüben derselben Art unterscheiden sich genetisch und auch in ihren Eigenschaften, wenn sie aus unterschiedlichen Ländern kommen. Deshalb versuchen wir, viele Genome von derselben Art zu sequenzieren, jedes Genom mit jedem anderen zu vergleichen und einen Wert für die genetische Distanz zu errechnen. Daraus erstellen wir einen sogenannten phylogenetischen Baum, der zeigt, inwiefern unterschiedliche Rüben miteinander korrelieren, wenn sie aus demselben Ursprungsland stammen.
Woher bekommen Sie die Wildpflanzen und müssen Sie diese anbauen?
Himmelbauer: Es gibt sehr gut organisierte Saatgutbanken, die oft Jahrzehnte zurückgehen. Dort erhält man etwa Samen von Wildrüben, die auf Forschungsreisen gesammelt wurden. Wir arbeiten mit einer Gruppe an der BOKU University in Tulln zusammen, deren Glashaus wir für das Anbauen des Saatguts nützen können. Nach ein paar Wochen können wir aus den Blättern der jungen Pflanzen die DNA extrahieren. Zur Genom-Sequenzierung schicken wir die Proben an die Sequenzierungseinheit der Vienna Biocenter Core Facilities, anschließend können wir mit den Daten arbeiten.
Univ.-Prof. Heinz Himmelbauer, Leiter des Instituts für Computergestützte Biologie an der BOKU University
Wo kommt dann KI ins Spiel?
Himmelbauer: Machine Learning hilft uns bei der Auswertung: Es geht ja um enorm viele Datensätze, die bearbeitet und analysiert werden müssen. Durch diese neuartigen Methoden kommen wir schneller zu aussagekräftigen Ergebnissen. Wir können mit Machine Learning Zusammenhänge aufdecken, die mit anderen Methoden nicht gefunden werden, beispielsweise, wenn zahlreiche Varianten im Genom zusammenwirken müssen, damit eine bestimmte Eigenschaft ausgeprägt wird. Die Analysen, die wir durchführen, werden erst durch die enorme Leistung moderner Großrechner ermöglicht. Wir wenden Machine Learning nicht nur auf unsere eigenen Daten an, sondern untersuchen auch weitere Kulturpflanzen, für die es öffentlich verfügbare Daten zu Genomsequenzen und Merkmalen gibt. Aufgrund der von uns genutzten Methodik können wir über das bereits Bekannte hinausgehende Ergebnisse erzielen, die wir anschließend ebenfalls veröffentlichen
Wo stehen Sie mit Ihrer Forschung?
Himmelbauer: Wir haben bereits Genvarianten entdeckt, die Zuckerrüben resistenter gegen Stress machen könnten. Das Schöne an unserer Forschung ist: Sobald man eine Sache geklärt hat, tun sich neue Fragen auf. Daher glaube ich, dass sie immer weitergehen wird, da es stets neue Herausforderungen gibt.