vlnr: Mari Lang, Markus Hengstschläger, Univ.-Prof. Eugenia Stamboliev, PhD
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Die Sache mit dem Misstrauen

Im ersten Wissenschaftstalk „Spontan gefragt“ in diesem Jahr dreht sich alles um neue Technologien und die Gefahren, die damit verbunden sein könnten.

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Das Smartphone übernimmt heute weit mehr Funktionen als die reine Telefonie. Wir bezahlen mit dem Handy, empfangen mit ihm E-Mails oder haben Eintrittskarten auf ihm gespeichert. Das European Digital Identity Wallet hält weitere Möglichkeiten parat. Es handelt sich dabei um eine persönliche digitale Brieftasche, in der die Bürger*innen der EU sowie Organisationen personenbezogene Daten und amtliche Dokumente speichern und verwalten können. „Neue Entwicklungen bergen immer Chancen, aber sie haben auch Auswirkungen auf unsere Gesellschaft“, sagt Moderator Markus Hengstschläger. „Wer verwendet digitale Identitätslösungen?“  Die Journalistin Mari Lang erwidert, dass sie etwa ID Austria nütze. „Digitale Technologien erleichtern vieles im Alltag“, sagt sie. „Ich sehe es allerdings nicht nur positiv, wenn wir jetzt alles, was uns als Menschen ausmacht, einfach in die digitale Welt transferieren.“ Gerade für Personen, die sich viel in der EU bewegen, würde das European Digital Identity Wallet Vorteile bringen, entgegnet Eugenia Stamboliev. „Jeder, der auf Reisen schon einmal seinen Ausweis verloren hat, weiß, wie schwierig es ist, einen neuen zu besorgen – das fällt damit weg“, sagt die Wissenschaftlerin. „Die Schattenseite ist, dass man so natürlich auch kontrollierbarer wird, abgesehen davon, dass auch Unternehmen dieses System nutzen werden und nicht geklärt ist, ob sie dann so zu Daten andere kommen können.“ Es sei schon seltsam, dass die Menschen bei der Nutzung sozialer Netzwerke so sorglos mit ihren Daten seien, diese aber etwa der Wissenschaft ungern zur Verfügung stellen, sagt Markus Hengstschläger: „Vertrauen wir Unternehmen mehr als staatlichen Institutionen?“ Das nenne man in der Psychologie Paradoxon, antwortet Eugenia Stamboliev. „Es ist kein Geheimnis mehr, dass große Plattformen unsere Daten verwenden, aber der Nutzen rechtfertigt das anscheinend“, betont die Medien- und Technikphilosophin. „Dafür sind wir bereit, alle Bedenken bezüglich Daten-, Klimaschutz oder Ethik auszublenden.“ Erst wenn irgendein Fehler auftrete, komme es zu Irritationen, fasst Stamboliev zusammen. 

Verschiebung der Realität

Das ist ein Punkt, der Mari Lang privat und beruflich sehr beschäftigt. „Ich sehe schon, dass sich das Vertrauen in Institutionen und Medien verschiebt und die Demokratie erschüttert wird“, sagt die Journalistin. „Durch das Internet kursieren so viele Wahrheiten, die verbreitet und geglaubt werden.“ Durch das Hinzukommen der künstlichen Intelligenz sei ihrer Meinung nach künftig nicht mehr unterscheidbar, was Realität und was Fake sei. „Es ist dann nicht mehr unterscheidbar, ob das Video von Donald Trump echt ist oder nicht“, fasst sie ihre Bedenken zusammen. Das sei auch ihre Sorge, bestätigt Eugenia Stamboliev. „Können wir nicht mehr nachvollziehen, was stimmt und was nicht, entsteht Chaos. Und im Chaos hat man kein Vertrauen“, sagt die Professorin. „Wir müssen daher Expertensysteme, die wissenschaftlich und fundiert arbeiten, stärken, damit wir den digitalen Technologien auch in Zukunft vertrauen können.“ Mari Lang stimmt zu und betont, dass man mehr auf die Ängste der Menschen eingehen müsse. „Es darf zu keiner Spaltung kommen“, fasst sie zusammen. „Wissenschaft und Gesellschaft gibt es einfach nicht getrennt. Wir müssen aufhören, alles in Schubladen einzuteilen, sondern viel mehr zu einem Miteinander kommen.“ Das sei die Idee des Digitalen Humanismus, sagt Markus Hengstschläger. „Wie sehen Sie als Philosophin die Strömung?“, fragt er Eugenia Stamboliev. „Die Idee des Humanismus, der in der Renaissance aufgekommen ist, war, den Menschen als denkendes, kritisches Wesen zu sehen und in der Bildung zu bestärken“, sagt sie. „Das spielt in den digitalen Humanismus hinein, aber es geht auch darum, was die Digitalisierung mit den Menschen, ihrem Verständnis, der Bildung, den Kommunikationsformen und der Wissenschaftlichkeit macht.“ Es sei wichtig, all diese Dinge zu diskutieren. Genauso essenziell wäre aber Wissenschaftskommunikation, um Erkenntnisse zu transportieren. „Denn KI ist nicht per se schlecht oder falsch“, betont die Wissenschaftlerin. „Es geht nur darum, was die Gesellschaft daraus macht.“ 

Eugenia Stamboliev

Die Medienwissenschafterin und Technikphilosophin erforscht den Einfluss moderner Technologien auf die Gesellschaft und deren Kommunikationsformen. Aktuell beschäftigt sie sich mit der Erklärbarkeit von Algorithmen und KI in demokratischen Strukturen und leitet ein Forschungsprojekt zu Vertrauen in Systeme wie das European Digital Identity Wallet an der Universität Wien. Eugenia Stamboliev studierte Rechtswissenschaften und Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation in Berlin. Danach promovierte sie kombinierend in Philosophy Art & Critical Theory in der Schweiz und in Medien und Technikphilosophie an der University of Plymouth in England. Sie ist Forschende und Lehrende am Institut für Philosophie an der Universität Wien sowie an der Prague University of Economics and Business und ist als Gastprofessorin an die Technische Universität in Cottbus berufen. Sie ist Teil des Vorstandes von Women in AI Austria.

Mari Lang

Die gebürtige Burgenländerin begann nach ihrem Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften beim Radiosender FM4 als Journalistin und Moderatorin zu arbeiten. Danach wechselte sie ins ORF-Fernsehen, wo sie das Talk-Format "Contra", die Reportagesendung "Mein Leben" sowie die Sportnachrichten präsentierte. Derzeit ist sie beim Radiosender Ö1 beschäftigt. Darüber hinaus ist Mari Lang auch als Moderatorin diverser Veranstaltungen tätig und hält regelmäßig Keynotes zu Themen rund um die Gleichstellung von Frauen und Männern. Dabei legt sie großen Wert auf einen humorvollen Zugang, der auch ihren preisgekrönten Podcast "Frauenfragen" und das gleichnamige Buch auszeichnet. Die glühende Feministin spricht darin mit bekannten Männern und stellt ihnen Fragen, die üblicherweise Frauen gestellt werden. Seit 2023 gibt es den Podcast auch als unterhaltsame Bühnenshow. Mari Lang arbeitet aktuell an einem neuen Podcast-Format, das sich u. a. mit dem Thema KI und deren Auswirkungen auf unser Menschsein beschäftigen wird. 

Markus Hengstschläger

Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger studierte Genetik, forschte auch an der Yale University in den USA und ist heute Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschafter forscht, unterrichtet Studierende und betreibt genetische Diagnostik. Er leitet den Thinktank Academia Superior, ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission, Kuratoriumsmitglied des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Stammzellforschung. Er war zehn Jahre lang Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung und Universitätsrat der Linzer Johannes Kepler Universität. Hengstschläger ist außerdem Unternehmensgründer, Wissenschaftsmoderator, Autor von vier Platz-1-Bestsellern sowie Leiter des Symposiums „Impact Lech“.