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Zwischen Freiheit und Machtverlust

Michael Stampfer, Geschäftsführer des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF), über die Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftsmodells.

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Was macht den Digitalen Humanismus unabdingbar? 

Michael Stampfer: Die Digitalisierung hat unser Leben grundlegend verändert – wir können mit Menschen auf der ganzen Welt kommunizieren, unsere Konsum- und Informationsmöglichkeiten sind nahezu grenzenlos geworden, wir können in virtuelle Welten eintauchen. Unsere Arbeits- und Produktionsbedingungen sind andere geworden. Die Digitalisierung verspricht Freiheit. In meinen Augen aber können Menschen ihre Freiheit nur dann gut leben, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Und damit meine ich nicht nur materielle und bildungsmäßige Voraussetzungen, sondern funktionierende Institutionen. Unser Wohlfahrts- und Rechtsstaat gilt aber nur im analogen Bereich, noch nicht ausreichend im digitalen. Werte wie Gleichheit, Demokratie und Teilhabe als Voraussetzungen der Freiheit müssen daher geschützt und verteidigt werden, denn mit der Digitalisierung geht auch ein Unterwandern von Staatlichkeit einher. 

Inwiefern? 

Nun, die Digitalisierung liegt in den Händen großer Firmen, die jedes Jahr ihre Marktanteile steigern, weil die Menschen für deren Produkte ihr Geld ausgeben. Selbst wenn die USA jetzt eine 180-Grad-Wende vollführen und anfangen würden, diese Konzerne zu regulieren, könnten diese – wie in einem alten Raymond-Chandler-Krimi – ihre Headquarter auf einem Schiff elf Meilen vor der Küste aufbauen. Es ist dieser Verlust von Territorialität, der vielen klugen Menschen Sorgen bereitet. Dazu kommt, dass diese Konzerne bereits zum Teil ihre eigenen Gerichte unterhalten und kaum Steuern zahlen. All das schwächt Staaten und unterminiert sie. Parallel wird uns von Freiheit erzählt, die größer wird. Blöd ist es halt für all jene, für die es nicht so gut läuft, wenn es keine Instanz mehr gibt, die ihnen zur Seite steht. Das haben demokratisch regierte Länder erkannt, und sie versuchen, auf unterschiedliche Art damit umzugehen. 

Wie soll der Digitale Humanismus da eingreifen? 

Wir leben in einer fundamental umwälzenden Zeit, wie zu den großen Revolutionen – es kann vieles nicht bleiben wie früher. Wie sich unsere demokratischen und rechtsstaatlichen Prozesse, die Meinungsfreiheit und Wahrheitsfindungsprozesse gestalten können und sollen, darauf gibt es noch keine Antwort. Aber wir müssen sie aktiv weiterentwickeln und dürfen nicht sagen, wir nehmen alles hin, wie die großen Unternehmen es gerne hätten. An alle, die es ganz praktisch haben wollen: Mir geht es nicht nur um Tools, Anwendungen oder Dienstleistungen, die wir entwickeln und deren Nutzen wir sofort sehen. Ich hätte gerne, dass eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Digitalisierung Impulse für eine neue Gesellschaftstheorie und ein Modell liefert, das all diesen Herausforderungen gewachsen ist. 

Ist die erste „Digital Humanism Conference“, die vom 26. bis 28. Mai in Wien stattfindet, ein Schritt in diese Richtung? 

Auf dieser Konferenz werden führende Denker*innen, Forscher*innen, aber auch Mitglieder von wichtigen NGOs und internationalen Organisationen zusammenkommen, um die Entwicklung digitaler Technologie kritisch zu hinterfragen und Vorschläge für ihre Gestaltung im Einklang mit menschlichen Werten, demokratischen Prinzipien sowie sozialer Gerechtigkeit zu entwickeln. Es ist keine enge Fachtagung – also ja, ich bin überzeugt, dass viele interessante Ideen entstehen werden. 

Was ist für Sie persönlich der wichtigste Punkt für einen Digitalen Humanismus? 

Die Menschen müssen verstehen, was für eine ungeheure Errungenschaft der demokratische Rechtsstaat ist. Man kann ihn jedoch mit Venedig vergleichen: wunderschön, aber auf hölzernen Pfählen gebaut. Und wenn diese vermorschen, dann fällt das ganze Gebilde zusammen. Das gilt es zu verhindern.

Dr. Michael Stampfer,

Michael Stampfer, Geschäftsführer des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF)