Kultur

Die Spurensuche nach der Liebe in der Kultur

Die Liebe ist der unzerstörbare Turbotreibstoff der Populärkultur. In Romanen, Filmen, Gemälden, Arien und Schlagern werden, wie Stefan Grissemann zeigt, der romantische Weltgeist und seine Abgründe gefeiert.

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Bekanntlich brechen nicht nur Marmor, Stein und Eisen, sondern auch Herzen unter Druck verhältnismäßig leicht, wenngleich der Schlagersänger Drafi Deutscher einst anderes behauptet hat („… aber unsere Liebe nicht!“). Denn in den pochenden Hohlmuskeln spielt sich, den herrschenden Auffassungen zufolge, Brisantes ab, das in kräftigen Sprachbildern visualisiert wird: Herzen schmerzen, schmelzen und schmachten, sie werden erobert und verschenkt, können zerreißen oder an jemanden verloren gehen. In den Metaphern der Liebesliteratur und in den Texten von Chansons und Gassenhauern geht man von einer erstaunlich hohen Zahl an kardialen Aggregatzuständen aus: Ein Herz kann dramatisch zerspringen, erst brennen, dann tragisch erkalten, gar gefrieren – es kann stechen, stolpern, flimmern und am Ende auch entnommen und verpflanzt werden. Aber das ist eine andere, physischere Geschichte. Hier soll es um Körperloses, Immaterielles gehen: um das kulturelle Erbe des romantischen Transzendenzversprechens.

Unsterblich verliebt

Die populäre Kultur ist von der Liebe nachhaltig fasziniert, um nicht zu sagen: seit Jahrtausenden unsterblich in sie verliebt. Die Form des Liebesromans ist bis in die griechische Antike zurückzuverfolgen, die Geschichte der Liebeslyrik reicht noch weiter ins Grau der Vorzeit. Seit Menschengedenken wird romantisch geschwelgt, seit Erfindung der Schrift eloquent sentimentalisiert. Das liegt auch daran, dass das kulturell bearbeitbare Phänomen der intensiven zwischenmenschlichen Zuneigung exakt dem entspricht, was man in Kunstproduktionskreisen so schwungvoll „High Concept“ nennt. Mit diesem Begriff werden Werke umschrieben, die sich mit einer prägnant formulierten Prämisse besonders leicht darlegen, auf den Punkt bringen lassen: Ein Satz genügt, um zu verstehen, was gemeint ist und geliefert wird. Die mehrheitsfähige Idee der Liebe muss, als menschliches Grunderlebnis, glücklicherweise nicht erst erklärt werden.

Boy meets girl darf spätestens seit William Shakespeares Luxustragödie „Romeo und Julia“, die ihre Ursprünge im frühen 16. Jahrhundert hat, als besonders „hohes“ Konzept gelten, als prototypisches Erzählmodell und klassischer Basisplot; denn auch wenn man der dominanten Hetero-Logik der simplen Bub-Mädchen-Konstellation nicht rückhaltlos folgen mag: Mit den Fiktionsfunken, die zwischen zwei Individuen im Moment ihrer Begegnung geschlagen werden, kann jede und jeder ad hoc etwas anfangen. Es erfordert weder Vorwissen noch Nachdenken, um jene Reisen der Empfindsamkeit nachvollziehen zu können, in denen beispielsweise ein unsicherer Student zwei sehr unterschiedlichen Frauen, einer schwermütigen und einer leichtlebigen, verfällt (wie in Haruki Murakamis Roman „Norwegian Wood / Naokos Lächeln“, 1987) oder ein schwerreicher Geschäftsmann eine schöne Prostituierte aus ihrem Milieu zu „befreien“ versucht („Pretty Woman“, 1990).

Das Filmgenre der romantic comedy, von Fans zärtlich romcom genannt, basiert auf einer schlichten Grundlage: Sie fügt dem Trivialkonzept boy meets girl die anschließenden Dramaturgiestufen boy loses girl und boy regains girl hinzu. Die chauvinistische Grundstruktur des Mainstream-Kinos macht dabei den Boy zum Handelnden und das Girl in aller Regel bloß zum Spielball der Ereignisse. Die füreinander Bestimmten drohen aufgrund komplizierender Drehbuchhindernisse aneinander zu scheitern, bis eine finale Handlungskurve sie in das erwartete Happy End abbiegen lässt, wo ihre aufrichtige Liebe märchenhaft institutionalisiert wird. Wer melodramatische Zuspitzung statt Feelgood-Eskapismus sucht, ersetzt das Happy End kurzerhand durch die schicksalshafte Tragik der sprichwörtlichen, zueinander nicht findenden Königskinder: Hollywood hat dies perfektioniert, von Humphrey Bogarts Opfergang in „Casablanca“ (Antifaschismus geht vor Privatglück) bis zum Doppeldesaster von Liebestod und Luxuslinerfiasko in „Titanic“.

Untergangspaar

Szene aus Wagners "Tristan und Isolde" als Neuproduktion an der Wiener Staatsoper im Frühling 2022.

Mit einem Bein im Jenseits

So zwiespältig ist die Liebe also im Widerschein der populären Kunst: nicht ganz oder, im Gegenteil, bitter ernst zu nehmen. Sie ist, je nach Pop-Informationsquelle, eine Himmelsmacht (in der Strauß-Operette „Der Zigeunerbaron“, 1885), ein seltsames Spiel (Connie Francis & Ralph Siegel, 1960), die Droge (Roxy Music, 1975), wie Sauerstoff (The Sweet, 1978), ein Hospital (Peter Weibel, 1982) oder bloß eine Schimäre, „eine bourgeoise Konstruktion“ (Pet Shop Boys, 2013), jedenfalls etwas Vielgestaltiges, Polymorphes, bisweilen gar Perverses. „Love is a Many Splendored Thing“, das intonierte schon Nat King Cole 1966 mit zart schmelzendem Timbre.

In der Oper dagegen stehen die Romantiker des Morbiden stets mit einem Bein im Jenseits: Isoldes finale Verklärungs-Arie in Richard Wagners „Tristan“ (1856) schraubt sich beherzt in die dramatischen Sturmhöhen eines nekrophilen Wahns („ertrinken, versinken / unbewusst, höchste Lust“).

Die im Duden vermittelte Definition des Begriffs „Liebe“ gibt es ein wenig bodenständiger: „starke, im Gefühl begründete Zuneigung zu einem [nahestehenden] Menschen“. Und: Liebe sei eine „auf starker körperlicher, geistiger, seelischer Anziehung beruhende Bindung an einen bestimmten Menschen, verbunden mit dem Wunsch nach Zusammensein, Hingabe o. Ä.“. Die Varianten inniger seelischer Zuwendung sind tatsächlich zahlreich: Wir sprechen von mütterlicher, kindlicher, ehelicher und platonischer Liebe, von Objekt- und Nächstenliebe, manche vertrauen auf Gottes Liebe (siehe dazu auch den Heftteil „Glaube“) oder die nicht exklusive Beziehungsarbeit in der Polyamorie.

Die Kunst schwankt ebenfalls zwischen Affirmation und Kritik: Robert Indianas ikonischer „LOVE“-Schriftzug mit dem kokett gekippten O zelebriert die Liebesleidenschaft durch Sixties-Farbrausch. Die New Yorker No-Wave-Rockband Sonic Youth las den Begriff lieber satanisch rückwärts: „Evol“, so nannte die Gruppe 1986 ihr viertes Album, und das lag nahe genug an „evil“, an der Niedertracht der Liebe. In einem Post-Nobelpreis-profil-Interview schlug die Schriftstellerin Elfriede Jelinek 2004 in dieselbe Kerbe: „Ich bin ein sehr warmherziger und liebesfähiger Mensch, aber darüber schreibe ich nicht. Ich schreibe über das Zerstörerische, das kann ich nur, weil ich auch das andere kenne. Die Leute sülzen über ihre romantischen Erlebnisse, wenn die Sonne untergeht auf Mallorca. Ich muss die Drecksarbeit machen. Ich räume den Gefühlsdreck weg. Ich bin die Liebesmüllabfuhr.“ Wertvolles verfrachtet auch der anonyme Street-Artist Banksy in den Abfalleimer: Für sein aktionistisches Werk „Love is in the Bin“ ließ er 2018 eines seiner millionenteuren Gemälde während einer laufenden Sotheby’s-Auktion schreddern, Doppelte Ironie: „BIN“ kennzeichnet im Online-Kunsthandel oft den anzuklickenden Button neben feilgebotenen Kunstwerken – als Abkürzung für „Buy it now“.

Die Liebe in der Malerei ist ein Lippenbekenntnis. Während in Gustav Klimts goldstrahlendem Wiener „Kuss“ (1909) zwei Körper, eng umschlungen, malerisch ineinander verschmelzen, geht es in dem befremdlichen Gemälde „Les amants“ (1928) des belgischen Surrealisten René Magritte subversiver zu: Es zeigt einen Kuss in Nahaufnahme, der dem voyeuristischen Zugriff der Blicke dennoch radikal entzogen ist durch die Komplettverhüllung der Köpfe, die – wie Entführungsopfer oder Hinzurichtende – von weißen Stofftüchern umhüllt sind.

Überschattete Liebe

Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in Michael Curtiz' antifaschistischem Liebesmelodrama "Casablanca" (1942)

Das Private ist hochpolitisch

Als Erzählung sei die Liebe „eine Geschichte, die, im geistlichen Sinne, in Erfüllung gehen muss“; sie sei „ein Programm, das durchlaufen werden muss“, schrieb der Philosoph Roland

Barthes 1977 in seinen „Fragmenten einer Sprache der Liebe“ – und konstruierte einen mosaik- und bruchstückhaften Diskurs, dessen Sprunghaftigkeit die Struktur enttäuschter romantischer Verstrickung nachbildet. Goethes tragischer Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) wird von Barthes mit feinem Skalpell seziert, der Befund ist deutlich: Das Private der Liebe ist, einem feministischen Wahlspruch der Post-68er gemäß, unweigerlich auch hochpolitisch.

Dabei sei die Liebe „so unproblematisch wie ein Fahrzeug“, soll Franz Kafka einst gesagt haben: „Problematisch sind nur die Lenker, die Fahrgäste und die Straße.“ Die ausgeprägte Bindungsangst, die den Prager Schriftsteller zeitlebens in Schach hielt, hallt in diesem Nachsatz wider.

Das organisierte Liebesgetöse der Musik-Avantgarde wurde indes bald sehr viel lauter als ein Herzens-Crash am Wenzelsplatz. Mit brachialen Mitteln lärmte und grunzte sich das slowenische Kunstkollektiv Laibach Mitte der 1980er-Jahre durch die Wirrungen des Gemüts: „Die Liebe ist die größte Kraft / Die Liebe, die alles schafft“. Die in jener Ära weithin blühende Industrial-Szene kokettierte überall mit dem Gegensatz von Maschinenlärm und Herzenszartheit. Sogar die Berliner Altmetall-Punks um Blixa Bargeld, die sich seit 1980 Einstürzende Neubauten nennen und ihre allerersten Einspielungen noch mit „Gier“ und „Kristallines Eisen“ betitelten – auch einen „Atomaren Walzer“ hatte man im Programm –, entdeckten bald den Zauber der Sehnsucht. In „Die Interimsliebenden“ (1993) charakterisiert Neubauten-Poet Bargeld seine Titelhelden so: „Es gibt sie gestern nicht mehr / und morgen noch nicht.“ Da ist sie wieder, die Liebe als reinste Gegenwart, als Euphorie des Hier und Jetzt, die sich jederzeit verflüchtigen kann, die zu verlöschen droht.

Mit den dunkelsten Aspekten der unauslöschlichen Verbundenheit hat sich Regisseur Michael Haneke in seinem 2012 erschienenen Kinomeisterwerk befasst, das er programmatisch „Amour“ genannt hat: Es verfolgt die letzten Routinen eines alten Pariser Ehepaars, das sich auf Gedeih und Verderb, in Liebe und schwerer Krankheit gegenseitig ausgeliefert ist. „Liebevoll aneinander handeln“, was könnte das heißen unter den Vorzeichen des hohen Alters, einer Phase des quälenden Siechens und des kommenden Todes? Es bedeutet auch, schwere Entscheidungen zu treffen und Unaussprechliches ins Auge zu fassen. Alles, alles geht vorbei, doch wir sind uns treu.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.