Gesellschaft

Wie die Jünger des Tesla- und Twitter-Chefs Elon Musk ihrem Herrn dienen

Jede Epoche hat ihre Propheten: Dem Tesla- und Twitter-Chef wird eine Verehrung zuteil, die den meisten Unternehmern verwehrt bleibt. Wie die Jünger des Elon Musk ihrem Herrn dienen – zwischen Technologiegläubigkeit und Superheldentum.

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Ein Mann, zehn Finger, 280 Zeichen und eine starke Meinung: „Die wirkliche Tragödie der @NYTimes ist, dass ihre Propaganda nicht einmal interessant ist“, twitterte Elon Musk unlängst. „Außerdem ist ihr Feed das Twitter-Äquivalent von Durchfall. Er ist unlesbar“, schob er nach. 16,9 Millionen Follower sahen bis Redaktionsschluss die Äußerung, 208.000 gefiel sie, 27.600 haben sie retweetet. Und immerhin 10.300 fühlten sich bemüßigt, darauf zu antworten: „Love it“, „Thank you, Elon“, „Keep it up legend“. Auch wenn sich unter die Beifallsbekundungen durchaus kritische Stimmen mischen; Musk kann auf die Unterstützung seiner Jünger – tatsächlich sind es vorwiegend Männer – zählen. Egal ob er sich mit der „New York Times“ oder der US-Börsenaufsicht anlegt, sich in den russisch-ukrainischen Krieg einmischt oder einfach nur ein Scheißhaufen-Emoji schickt.

Elon Musk erfährt damit, was den meisten Unternehmern verwehrt bleibt: eine fast kultische Verehrung. Er wird abwechselnd als Universalgenie, Tech-Guru, Wirtschafts-Popstar, ja sogar als Heiland und Erlöser tituliert. Doch wie schafft es der 51-jährige Südafrikaner, eine Schar begeisterter Fans anzuziehen? Was fasziniert die Leute an dem Milliardär, der rüde, laut und – seien wir ehrlich – oft ziemlich durchgeknallt agiert?

„Wir alle haben Idole und Heroen. Ob das nun Künstler, Schauspieler, Religionsführer oder andere Personen mit besonderer Strahlkraft sind. Dass wir uns Vorbilder suchen, die ein bestimmtes Versprechen verkörpern, ist typisch menschlich“, sagt Ulrike Schiesser von der österreichischen Bundesstelle für Sektenfragen. Die Psychologin hat von Berufs wegen recht häufig mit Führerfiguren unterschiedlichster Provenienz zu tun.

133,5 Millionen Menschen folgen Musk auf Twitter. Kein Account hat mehr Follower als der des Firmenchefs. Er nutzt den Kurznachrichtendienst als Verlautbarungsplattform und für persönliche Attacken. Mag sein, dass die Followerzahl nicht für bare Münze zu nehmen ist. Gut möglich, dass sie technisch in die Höhe gejazzt wurde. Unzweifelhaft jedoch: Der Mann bewegt die Massen. „Du bist der Held, den Gotham braucht“, schrieb ein Firmenchef, der ihn offenbar für den Superhelden Batman hält. Und der Investor Jason Calacanis bot an, er würde für Musk „auf eine Granate springen“. Mehr Loyalität geht nicht.

Musk spricht fast ununterbrochen zu einem Weltpublikum, ist omnipräsent und scheint zum Angreifen nah. Ganz anders etwa als der verstorbene – und nicht minder kultisch verehrte – Apple-Chef Steve Jobs, ein Mann der wenigen Worte, asketisch und mit einer stets geheimnisumwitterten Aura.

Retter der Meinungsfreiheit

Es ist nur ein Quäntchen Küchenpsychologie nötig, um zu erkennen: Wenn seine Fans ihm zujubeln, dann feuern sie in Wirklichkeit das an, was sie selbst gern darstellen würden – „Masters of the Universe“, Gewinner in jeder Hinsicht. Die Begeisterung seiner Anhänger resultiert zum einen aus dem Glauben heraus, er würde ihren Anliegen weiterhelfen, und zum anderen aus dem Gefühl, dass er ohne negative Konsequenzen sagen oder tun kann, was er will. Als selbst ernannter Retter der Meinungsfreiheit im Internet versteht sich Musk als „free speech absolutist“. Jeder kann seine Meinung frei äußern – egal wie kontrovers oder beleidigend sie ist.

Damit wird für die „Musketiere“ ein Traum wahr, auch wenn sie ihn selbst wahrscheinlich nie leben werden. Tatsächlich hätten seine oft rabiaten Aktionen wohl jeden anderen Firmenchef schon längst zu Fall gebracht. Es sei auch der Frust über ein demokratisches und wirtschaftliches System, das zunehmend als zu komplex und undurchschaubar wahrgenommen wird, welches die Menschen ihm zugetan werden lässt, meint Schiesser. „Er ist eine Projektionsfläche für Hoffnungen und Wünsche und scheint zudem als Retterfigur eine einfache Antwort auf jegliches Problem zu haben.“

Besser noch, seine Unternehmen haben die Lösungen: Tesla, um mit Elektroautos die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden. SolarCity, um den Strom dafür aus Solarzellen zu gewinnen. Tesla Energy, um ebendiesen in Batterien zu speichern. Starlink, um die Menschen im Internet via Satelliten zu verbinden. Hyperloop, um sie per Luftröhren-High-Speed-Transportsystem von Stadt zu Stadt zu bewegen. The Boring Company, um Metropolen bei Bedarf zu untertunneln. Neuralink, um mithilfe von Computerchips im Gehirn die drohende Überlegenheit der Maschinen abzuwehren. Und SpaceX, um auf den Mars zu flüchten, wenn die Erde unbewohnbar wird. Damit macht Musk die ultimative Bubenfantasie wahr: Astronaut zu werden. Die existenziellen Probleme, von denen sich eine ganze Generation bedroht sieht, sind lösbar mithilfe von Technik, so seine Botschaft. Nicht umsonst sind es gerade technikaffine Männer, die sich davon angesprochen fühlen.

„Elon unser“

Um Tesla hat Musk einen Kult geschaffen, der fast schon religiöse Züge trägt. In Deutschland wurde ihm die „Church of Tesla“ gewidmet. Eine „in Gründung befindliche Religionsgemeinschaft mit der göttlichen Aufgabe, die Lehren unseres Erlösers zu verbreiten und ihm und all seinen weltlichen Projekten unsere Unterstützung zukommen zu lassen“, wie es auf der Website heißt. Mitglieder sind aufgerufen, täglich das „Elon unser“ zu beten und ihr Leben nach den zehn Geboten („1. Ich bin Elon Musk, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“) auszurichten. Satire? Ja – aber mit mehr als einem Funken Ernsthaftigkeit.

In den USA wiederum ließen ihm Kryptounternehmer ein riesiges Denkmal errichten, das Musks Kopf auf den Körper einer Ziege zeigt, die auf einer Rakete reitet. Der Geißenleib wurde deshalb gewählt, weil das Akronym GOAT im Englischen für „Greatest of all Time“ steht. Wenn das keine Verehrung ist, dann zumindest ein cleverer Marketing-Schachzug.

Die lautstärksten seiner Fans haben jedenfalls ordentlich Wirkmacht: Sie sind wie eine Armee von Freischärlern, die darauf wartet, per Tweet auf den digitalen Kriegspfad gegen alles geschickt zu werden, was Musk nicht gefällt. Sie sind dafür bekannt, dass sie Leute, von denen sie glauben, dass sie ihm in die Quere kommen, mit unerbittlicher Inbrunst angreifen. Ein Tweet von Musk reicht, um Kryptowährungen, Börsenkurse und Unternehmen ins Wanken zu bringen.

Wer sich mit dem Social-Media-Schwergewicht anlegt, hat selbst als Großbank einen schweren Stand. Diese Erfahrung musste im Herbst 2021 J.P. Morgan machen. Das US-Finanzinstitut hatte Klage gegen Tesla eingebracht. Musk drohte daraufhin in einem Interview, er werde J.P. Morgan auf der Rezensionsplattform Yelp eine Ein-Stern-Bewertung geben, sollte die Klage nicht zurückgezogen werden. Seine Anhänger setzten sich in Marsch, binnen kürzester Zeit schnellten die negativen Kommentare derart in die Höhe, dass sich Yelp gezwungen sah, die Seite offline zu nehmen.

Sein virtueller Einfluss reicht bis ins kleine Österreich: Als die frühere oberösterreichische SPÖ-Landesrätin Birgit Gerstorfer vergangenes Jahr angesichts Musks Reichtum eine Vermögenssteuer forderte, sah sie sich einem veritablen Shitstorm ausgesetzt. Das Verhalten der Musk-Fans sei psychologisch leicht erklärbar: „Jede Kritik an ihm oder seinen Unternehmungen stößt auf starke Emotionen, weil damit etwas kritisiert wird, was seinen Anhängern wichtig ist“, sagt Schiesser.

Ein charismatischer Führer, dem von seinen Anhängern eine gewisse Autorität zugeschrieben wird; der spezielle Kräfte oder eine besondere Gabe haben soll; für den man sich einsetzt und dem man folgt, auch wenn man ihn gar nicht kennt – man könnte sich fast an eine Sekte erinnert fühlen. Gefährlich findet Psychologin Schiesser den Musk-Kult aber nicht: „Mit einem Sektenführer ist er nicht vergleichbar. In solchen Gruppierungen geht es um Kontrolle, um einen starken Zugriff auf die Menschen in der Umgebung, um das Erzeugen von Abhängigkeit. Das ist hier nicht der Fall“, sagt Schiesser. Bei der Bundesstelle für Sektenfragen habe sich bezüglich Musk jedenfalls noch niemand gemeldet.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.