Im Auftrag des guten Lebens
Wo entstehen Visionen? Und wo können sie diskutiert werden? Der zeig profil Award ist eine Spurensuche nach Ideen, die unser Leben von morgen verbessern können. Die Herausforderungen sind groß: Klimakrise, Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit – kein einzelnes Allheilmittel wird die Probleme unserer Zeit lösen. Doch viele kleine Projekte können ihren Beitrag leisten, um die Zukunft besser zu gestalten.
Die Akademie der bildenden Künste in Wien bietet Raum für diesen Diskurs. In Kooperation mit dem zeig profil Award werden am 27. November im Atelierhaus (ehemaliges Semperdepot) die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger geehrt. Diese Veranstaltung ist nicht nur eine Anerkennung der eingereichten Projekte, sondern auch ein Treffpunkt für Visionen und Diskussionen.
Traditionell wird Kunst oft mit Ästhetik und Schönheit assoziiert. Die international renommierte Kunstuniversität möchte jedoch darüber hinausgehen und sich den drängenden, existenziellen Fragen unserer Zeit stellen: Muss Kunst überhaupt produziert, gebaut oder verkauft werden? Wem dient die Wissenschaft? Wessen Erbe ist das kulturelle Erbe? Diese kritischen Fragen stellen bestehende Strukturen in Frage – denn die Zeit drängt.
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Am 27. November werden alle Preisträgerinnen und Preisträger des zeig profil Awards ausgezeichnet.
Während über individuelle Vorlieben oder gesellschaftliche Strukturen endlos debattiert werden kann, orientiert sich die Akademie am Leitprinzip der „planetarischen Lebensgrundlage”. Bevor das gute Leben gestaltet werden kann, muss das Überleben der Menschheit gesichert werden, das durch die Klimakrise unmittelbar bedroht ist. Die Universität bietet Raum, um diese Themen wissenschaftlich und künstlerisch zu erforschen, Kunstakademien können auf Ökologie und Nachhaltigkeit neue Perspektiven entwickeln – aber dazu später mehr. Nachhaltigkeit ist an der Adakedmie keine isolierte Disziplin, sondern fächerübergreifend verankert. Ob in der bildenden Kunst, Architektur, Restaurierung oder im Lehramt – im Wissenscluster der Universität stehen praktisches Materialwissen und ressourcenschonende Produktions- und Ausstellungstechniken im Fokus. Neue Ansätze zu ökologischen Systemen und nachhaltigen Technologien werden auf ihre Relevanz für die Kunst geprüft, weiterentwickelt und angewendet.
Doch die Universität setzt nicht nur auf akademischen Diskurs, sondern bekennt sich selbst zu ihrer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie. In Zusammenarbeit mit der Bundesimmobiliengesellschaft entwickelt die Kunstakademie klimafreundliche Energielösungen. Im Einklang mit Denkmal- und Klimaschutz beweist sie ihre Vorreiterrolle, wie historische Bausubstanz saniert werden kann. Durch mehr Energieeffizienz, Überwachung der eigenen CO2-Bilanz, den Verzicht auf Einwegmaterial oder die Begrünung von Gebäuden und Außenflächen soll die Akademie für die Zukunft selbst nachhaltiger gestaltet werden.
„Man kommt nur weiter, wenn man Dinge anders betrachtet”
Der renommierte und mehrfach ausgezeichnete Professor für Architektur Hannes Stiefel lehrt die Kunst des Bauens abseits der traditionellen Ziviltechnik an der Akademie der bildenden Künste. Im utopischen Stadtentwicklungsprojekt „Raumpark” diskutiert ein Forschungsteam im experimentellen Rahmen über die neue Stadt über der Stadt - ein Bruch mit flächenfressenden Paradigmen der Stadterweiterung. Aber darum gehe es letztlich, über die Grenzen der Stadtentwicklung hinauszudenken, Utopien anhand gesellschaftlichen Diskurses zu schaffen. Weiter wie bisher soll und kann es nicht weitergehen. Aber kann es überhaupt weitergehen? Ein Gespräch über Städte, Utopien und der Beziehung zwischen Mensch und Natur.
Herr Professor, in einem an der Akademie angesiedelten Forschungsprojekt wagen Sie sich an den Versuch, über Wien eine neue Stadt zu errichten, braucht es solche Utopien?
Stiefel
„Raumpark“ ist ein Versuch über eine ökologische Megastruktur zur Milderung von unabwendbaren Auswirkungen des Klimawandels und zur Adaptierung der Stadt an die neuen klimatischen Gegebenheiten. Das ist in erster Linie weniger Utopie als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem dringlichsten und allumfassenden Problem, das wir haben: der Klimakatastrophe. Jedes gegenwärtige Stadtentwicklungsprojekt formuliert diese Ambition schon im kleinen bis mittelgroßen Maßstab, aber wir sind der Meinung, dass man große Problemen nicht allein mit „kleinen“ Ansätzen begegnen kann, so wichtig diese auch sind. Es gilt gleichzeitig antizyklisch zu arbeiten und zumindest Denkmodelle auch groß zu bauen. Dass Großprojekte heute als „Top-Down”, nicht-partizipativ verschrien und teuer sind, damit ist zu arbeiten. Im ersten Semester, in welchem „Raumpark“ mit Studierenden am Institut für Kunst und Architektur behandelt wurde, haben sich Studierende hauptsächlich mit neuen, partizipativen Wohn- und Lebensformen beschäftigt, und mit der Entwicklung neuer Materialien.
Fast 40% der globalen CO2 Emissionen entfallen auf die Errichtung und (zum allergrößten Teil) den Betrieb von Gebäuden. Nun, nachhaltig ist, was anhaltend Wirkung zeigt. Das kann, gerade auch im Vergleich zum immer noch zunehmenden und ressourcenverschleißenden Einfamilienhaus-Wahnsinn mit all seinen Folgewirkungen auch eine konzentrierte ökologische Großstruktur sein, deren Tragwerk aus CO2-reduzierten Betonen besteht.
Raumpark ist ein Stadtentwicklungsprojekt, wo die Stadterweiterung nicht als Verdichtung der existierenden Stadt oder der Versiegelung an den Stadträndern passiert, sondern über der Stadt. Wir wollen über der Stadt eine neue Stadt als großmaßstäblichen Klimaapparat bauen, wobei die geplante Bewaldung des neuen Stadtteils die Klimaregulierung übernehmen wird.
Dass man die Stadt quasi im Wald wachsen lässt?
Stiefel
Ja, genau. Aber nicht irgendwo draußen an den Stadträndern, sondern, vereinfacht gesagt, über den Dächern. Das bringt natürlich eine Menge an großen Herausforderungen mit sich: Belichtung, Regenwassermanagement, Mobilität und Infrastrukturen müssen ganz neu gedacht werden. Und vor allem gilt es, das Verhältnis von Bestandsstadt und ihrer räumlichen Erweiterung sorgfältig zu gestalten, z.T. zu verschränken und das kulturelle Erbe weiterzuentwickeln. Wir verstehen Raumpark als urbanen Zwilling zur Donauinsel – auch eine ökologische Megastruktur.
Megabauprojekte in Städten stehen auch wegen der Zerstörung von Ökosystemen in der Kritik.
Stiefel
Die Stadt Wien hat gute Erfahrungen mit Megastrukturen gemacht, nennen wir die Donauinsel, die Stadtbahn von Otto Wagner, die U-Bahn oder der Donaukanal, gewissermaßen auch die Ringstraße. Das sind Projekte die anfangs nicht unbedingt ökologisch positiv waren. Die Donauinsel führte durch ihren Bau zu einem Verlust von Ökosystemen, aber es konnten sich über Jahrzehnte viele neue, oft einzigartige Ökosysteme etablieren. Und gleichzeitig funktioniert sie zum Nutzen der Stadt Wien und ihrer Bevölkerung als Hochwasserregulativ und Naherholungsgebiet.
Als Raumpark-Testprojekt haben wir Überlegungen angestellt, das Biosphären-Reservat Wienerwald im Westen mit dem Nationalpark Donau Auen im Osten über einen Korridor zu verbinden. Quasi eine Brücke die auch eine Stadt ist und gleichzeitig ein Wald. Damit würde die Wiener Lücke in einem Grüngürtelsystem geschlossen, das von Norddeutschland bis Süd-Rumänien führt.
Braucht es einen Paradigmenwechsel? Denn bisher hat sich der Mensch die Natur zu seinem Eigen gemacht.
Stiefel
Auf jeden Fall. Man muss verhandeln und schauen, wo man etwas stützen kann, um miteinander existieren und interagieren zu können. Wir werden einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel brauchen, ohne zu negieren, dass wir in Zukunft auch bauen werden müssen. Viele junge Leute, auch Architekturstudierende, die ihr eigenes Leben reflektieren, machen sich richtiger- und wichtigerweise Gedanken darum, ein nachhaltiges Leben zu führen. Für viele ist Bauen etwas Negatives. Wir werden aber, allein schon aufgrund der zunehmenden Klimamigration, weiter bauen müssen – in einer Art und Weise, die prozesshaft ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt zu etablieren vermag durch eine neue hybride Typologie von gebauter Umwelt.
Aber die Natur hat bisher die ganze Menschheitsgeschichte überstanden, warum soll der Mensch genau jetzt damit brechen?
Stiefel
Die Natur wird, wenn auch in veränderter Form, den Menschen immer überleben. Wir sehen es: Überschwemmungen, Hitzetage und Tropennächte nehmen dramatisch zu. Wir haben in der letzten Phase des Nationalratswahlkampfs von der Politik u.a. das Argument gehört, dass auch unversiegelte Böden die (noch) ungewöhnlich großen Wassermassen nicht aufnehmen konnten. Aber kein Wort davon, dass es einen Grund gibt, warum solche Extremwetterereignisse überhaupt entstehen.
Anstelle öffentlich zu streiten und wissenschaftliche Erkenntnisse abzustreiten, könnten wir alle denkbaren Optionen und Alternativen auch wirklich durchzudenken versuchen. Das ist der Blick, den die Kunst bieten kann: Thesen brauchen nicht zu stimmen, um Entwicklungen in Gang zu setzen.
Worin unterscheidet sich der Architekt zum Künstler?
Stiefel
Wir haben als Architekt_innen innerhalb der Akademie der bildenden Künste eine Sonderstellung hinsichtlich Bildung und Ausbildung. Absolvierende sollen in der Lage sein, den Beruf des/der Architekt_in auszuüben und werden später oft auch eine ziviltechnische Prüfung ablegen. Für uns ist es interessant, da wir uns ständig auf einem Grat zwischen angewandten Wissenschaften und den Künsten bewegen. Das ist großartig, denn wir haben die Freiheit, Statements zu machen, wo es beispielsweise noch nicht vorwiegend um Kosten geht. Das führt unweigerlich dazu, auch grundlegende Fragen durchstudieren zu können ohne eine Gewinnabsicht zu verfolgen. Man kommt nur weiter, wenn man Dinge anders betrachtet. Die Kunst hat die Möglichkeit des anderen Blicks. Das sehe ich als Auftrag, wir müssen Alternativen suchen, zeigen, uns auf sie einlassen und zur Diskussion stellen.
Das mag alles fantastisch klingen, aber wir zeigen auch (Teil-) Realisierungsmöglichkeiten auf. Zwar gibt es Pragmatiker die sagen, das sei doch alles Utopie, aber die Notwendigkeit, Utopien zu verwirklichen, wird dringlicher. Und Projekte wie etwa die Wiener Sargfabrik waren einst auch Utopie.
Aber die Pragmatiker haben nicht unrecht?
Stiefel
Versuchen wir, vorauszuschauen und zu antizipieren. Als Gesellschaft müssen wir umdenken. Es gibt jetzt die Chance, sich auf Umweltbedingungen und -notwendigkeiten tatsächlich einzulassen und daran zu arbeiten, dass sich ein neues Verhältnis von Mensch und Umwelt entfalten kann und muss.
Utopien für ein besseres Leben
Hannes Stiefel ist Architekt, Raumplaner und Professor an der Akademie der bildenden Künste. Der gebürtige Schweizer widmet sich mit seinem Forschungsteam über die Erichtung einer neuen Stadt über den Dächern Wiens.
Interview: Kevin Yang