Thomas Meinl: „Eine Kaffeebohne, die hervorragendes erlebt hat, schmeckt auch in der Tasse hervorragend.”
Herr Meinl, die Kaffeemarke Julius Meinl ist seit fünf Generationen in Familienhand. Trinken Sie Kaffee noch aus Leidenschaft, oder ist Kaffeetrinken mehr ein Teil Ihres Berufslebens?
Meinl
Beides. Bei Gesprächen wie diesem trinke ich ihn zum Genuss. Bei den internen Qualitätskontrollen sind es dann meistens zehn oder 12 Tassen – das ist bei uns ein sehr traditionelles und ernsthaftes Prozedere. Aber letzten Endes ist für mich jede getrunkene Tasse ein Test, ob wir unser Premium-Versprechen erfüllen, da haben Sie schon recht.
Julius Meinl röstet seit über 160 Jahren Kaffeebohnen. Die Branche hat sich seither stark gewandelt, kann man als Traditionsmarke mit den großen amerikanischen Franchise-Konzepten mithalten, die Bohnen in Massen rösten?
Meinl
Wir tragen die Wiener Kaffeehauskultur in die Welt. Unsere patentierten Röstverfahren waren ein Meilenstein in der Geschichte der Kaffeekultur und haben das industrielle Röstverfahren wesentlich mitgeprägt. Früher haben wir hier in Ottakring unsere eigenen Röster gebaut, heute kaufen wir die weltbesten Maschinen zu und optimieren sie. Das heißt, unser ureigenes Know-How und unsere Anforderungen fließen direkt in die Konstruktion der Röstanlagen mit ein. Ein Unterschied, den man in jeder Tasse Meinlkaffee schmeckt. Die Wiener Melange ist so gesehen konkurrenzlos, könnte man sagen.
Kann Kaffee als Sinnbild für ein globalisiertes Produkt überhaupt nachhaltig sein?
Meinl
Lassen Sie mich Ihnen ein ganz konkretes Beispiel geben: Dr. Jane Goodall, die berühmte Primatenforscherin und Umweltikone, sagt über unseren „Wounda Tanzania Gombe“, ich zitiere, dass dieser der vielleicht nachhaltigste Kaffee der Welt wäre. Für dieses Produkt haben wir sogar eigens eine neuartige, CO2-neutrale Verpackungsfolie aus erneuerbaren mitteleuropäischen Rohstoffen entwickelt. Und damit beginnt erst die Geschichte unseres Engagements für Janes weltweite Projekte. Unsere Kooperation hat Jane bisher drei Mal für vielbeachtete Vorträge in unserer Eventlocation, die Meinl Rösthalle, geführt und die Zusammenarbeit mit Ihrem Institut und die aktive Mitarbeit im Europavorstand durch unsere Familie vertiefen sich jedes Jahr aufs Neue.
Bezüglich Klimaschutz modernisieren wir so schnell es uns technisch möglich ist und all das passt nahtlos in unsere Firmengeschichte. Als erstes Unternehmen in Österreich hat Julius Meinl zum Beispiel die Fünf-Tage Woche und Hinterbliebenenpensionen eingeführt, das modernste Lehrlingskonvikt der Monarchie gegründet oder eine Mitarbeiterbibliothek und ein Arbeiterstrandbad an der Alten Donau errichtet.
Im heutigen Verständnis sind das zurecht alles Fragen der Nachhaltigkeit und wir haben diese Dinge schon immer gemacht. Darüber gesprochen haben wir vielleicht nicht immer, vermutlich, weil es für uns selbstverständlich war. Schließlich denkt man als Familienbetrieb immer generationsübergreifend. Es freut mich umso mehr, zu sehen, wie erfolgreich wir das geändert haben. Unser aktueller ESG-Report setzt in der Branche neue Standards und wird in den höchsten Tönen gelobt.
Wie engagiert sich Julius Meinl heute sonst noch im Bereich Nachhaltigkeit?
Meinl
Da gäbe es noch viel zu erzählen. Der Standort Wien zum Beispiel wurde Anfang 2023 komplett auf Flüssiggas umgestellt. Im Unterschied zu den meisten anderen Röstereien in Europa wird dadurch nicht nur viel sauberer und sparsamer, sondern auch international sanktionskonform produziert. Wir bemühen uns, so schnell wie möglich von fossilen Brennstoffen wegzukommen: Seit letzten Jahr heizen wir unsere Gebäude in Wien mit Holzpellets statt mit Erdgas.
Eine unserer jüngsten Innovationen sind heimkompostierbare (sie dürfen also in die Biotonne) Kaffeekapseln, die Julius Meinl als erster Produzent angeboten hat. Hinter der Rösthalle befindet sich ein Komposthaufen, auf dem man zusehen kann, wie aus unseren Kapseln wertvoller Humus wird. Und nicht zuletzt betreiben wir einen der allerersten elektrischen Röster, mit dem wir die Bohnen so klimafreundlich wie nie zuvor rösten können. Der Strom kommt zu 100% aus heimischer Wasserkraft, und die Veredelung des Kaffees passiert ganz ohne Abgase.
Und die Photovoltaik steht auch schon?
Meinl
Daran arbeiten wir. In Wien ist es leider nicht so einfach im Vergleich zu Ländern wie Italien oder der Schweiz. Wir wissen, wie wir unser elektrisches Konzept umsetzen werden, aber wir wissen nicht, wie schnell wir alle Komponenten beisammen haben.
Mit der Elektro-Röstung kommen Sie auf die benötigte Vorlauftemperatur?
Meinl
Ja. Aber Elektro ist leider nicht unendlich skalierbar. Wir können bis zu einer gewissen Größe elektrisch rösten - das machen wir auch schon. Aber in kürze werden wir mit Wasserstoff rösten, wo es keine Größenrestriktionen der Chargen gibt. Das ist eine echte Weltneuheit.
Kaffeetradition seit 160 Jahren
In Wien-Ottakring werden seit fünf Generationen Kaffeebohnen geröstet.
Das Produkt Kaffee geriet in den letzten Jahren immer wieder in Kritik rund um Anbaumethoden und Ausbeutung in den Herkunftsgebieten, auch Qualitätssiegeln wird mangelnde Transparenz vorgeworfen. Ist es als Kaffeerösterei überhaupt möglich gegenüber Konsument:innen einen Durchblick zu verschaffen?
Meinl
Wir haben den Vorteil, dass wir hochqualitative Bohnen einkaufen, die wiederum sehr stark mit guten Anbaumethoden korrelieren. Eine Kaffeebohne, die hervorragendes erlebt hat, schmeckt auch in der Tasse hervorragend.
Wenn man im Premiumsegment vertreten ist, kann man auch höchste Ansprüche an die Anbaubedingungen stellen. Wir haben enorm viel in unser neues SAP investiert (Anm.: Software zur Abbildung interner Unternehmensprozesse) Das heißt: Bei uns kommt nicht nur der physische 20 Tonnen Rohkaffee-Container an, sondern auch ein großes Datenpaket vom Ursprungsort mit. Unser Investment erlaubt uns, dass wir unsere Wertschöpfungskette selbst im Unternehmen überwachen und nicht an dritte Beratungsunternehmen auslagern müssen. Glücklicherweise haben wir die finanziellen Ressourcen und die Größe dafür. Alle Daten von der Farm, zu den herrschenden Arbeitsbedingungen und zur Co2 Bilanz, werden in unserem System aufbewahrt.
Das führt mich zu einer übergeordneten Frage: Wie kann ein Unternehmer aus Ihrer Sicht Vorbild sein und Verantwortung übernehmen?
Meinl
Für mich und uns bedeutet das, sich an zeitlosen Werten zu orientieren. Uns gibt es schon sehr lange und wir haben ein sehr umfangreiches Archiv, wo man nachsehen kann, wie die Vorgängergenerationen Krisen wie zum Beispiel die Weltkriege, Wirtschaftskrisen oder Teuerungswellen gemeistert hat. Friedrich August Hayek aus der österreichischen Schule der Nationalökonomie war ein Freund der Familie und wenn diese Denkrichtung auch zum Teil missverstanden wird, war es gerade in Mitteleuropa sehr wichtig, dass der Mittelstand arbeiten, reüssieren und Geld verdienen kann. Und ein gestärkter Mittelstand ist nicht nur die Kernsubstanz der Wirtschaft, sondern auch der Demokratie, davon bin ich zutiefst überzeugt.
Mein Urgroßvater hat 1918 subsumiert, dass ein Marshallplan für Europa nach dem Ersten Weltkrieg nicht erfolgreich war, weil der Mittelstand nicht stark genug war, um gegen die sogenannte Oberschicht Anerkennung zu finden. Wenn damals der Mittelstand in Form von Wirtschaft und Demokratie stärker gewesen wäre, dann wäre uns möglicherweise sehr viel Leid in Mitteleuropa erspart geblieben. Deshalb meinte mein Urgroßvater, dass man die sozialen Aspekte im Unternehmen nicht vernachlässigen darf, in der Hoffnung, dass auch andere Betriebe in Wien das gleiche machen würden. Was wiederum auch die Idee war, die Demokratie zu stärken. Unternehmertum heißt, ein stabiles Umfeld zu schaffen. Geld und Kapitalismus sind per se nichts Schlechtes, auch wenn ihre Begrifflichkeiten oft missbräuchlich verwendet werden. Es muss natürlich die Wertschöpfung, die generiert wird, auch fair geteilt werden. Aber meiner Ansicht nach muss ein Grundverständnis da sein, dass erst verfügbare Mittel geschaffen werden müssen, bevor man über Investitionen und Ausgaben nachdenken kann. Das Ziel muss sein, mit gemeinsamen Werten, miteinem Team, möglichst strukturiert, eine wirtschaftliche Leistung für die Zukunft zu erbringen.
Ihr Unternehmen ist in über 70 Ländern aktiv, was hält Julius Meinl noch in Wien? Sie könnten Ihre Zentrale ja auch nach Osteuropa oder Asien verlegen.
Meinl
Wir sind in Österreich verankert. Keine andere Kaffeemarke steht so sehr für die Wiener Kaffeehauskultur wie Julius Meinl. Und es ist Teil unserer DNA und unabdingbar, dass wir tagtäglich unsere Mittelstandswerte leben können. Damit bin ich aufgewachsen und so wurde es weitergegeben. Wir versuchen, auch ein Vorbild für andere Unternehmerfamilien zu sein und wir glauben, dass das langfristig unser Erfolgsmodell ist.
Letztlich scheint es eine Frage der Integrität zu sein, ob man aus Eigeninteresse oder Altruismus handelt. Der Familienbetrieb Julius Meinl teilt sich einen gemeinsamen Namen mit der Meinl Bank, die in der Vergangenheit immer wieder in negative Schlagzeilen geriet, auch durch die familiäre Verbindung.
Meinl
Für uns ist es wichtig, die positiven Aspekte, die die Familie ausmacht, hervorzuheben und in diesem Fall sind sicherlich Dinge passiert, die nicht optimal waren. Es gibt aber natürlich einen Grund, warum das Kaffeegeschäft heute in den Händen unseres Familienzweiges liegt. In jeder Familie können Situationen auftreten, wo man sich fragen muss, wofür man steht und wofür man nicht steht - und wie man damit nach vorne blickt. Rund um Meinl Bank und Financial Services gibt es viele, auch innerhalb der Familie, die Schaden genommen haben.
Wäre es nicht strategisch klug, sich als erfolgreicher Betrieb von dem Namen Julius Meinl zu trennen?
Meinl
Nein. Als Menschen sind wir zum Glück nicht nur mit einem Hirn, sondern auch mit einem Herzen geboren. Unsere Kaffeetradition ist durch jene gekommen, die zugepackt und nichts gegen schmutzige Fingernägel gehabt haben. Das Kaffeegeschäft geht zurück auf Julius Meinl I. und Julius Meinl II. Ein solches Erbe wird nie nur durch eine Einzelperson bestimmt, sondern durch unser Handwerk und das großartige Engagement unserer langjährigen Mitarbeiter, die sich tagtäglich unermüdlich um unsere treuen Kunden bemühen und stets ihr Bestes geben.
Zur Person
Thomas Meinl laut Eigendefinition „Kaffeebrenner“– so der amtliche Begriff für das Kerngeschäft des Familienunternehmens - ist Nachfahre des Firmengründers Julius Meinl I. in fünfter Generation. Dessen Innovation, Kaffee nicht, wie damals üblich, als grüne Bohnen zu verkaufen, sondern fertig geröstete Premium-Mischungen anzubieten, markierte 1862 den Startschuss zu einer der bemerkenswertesten Unternehmensgeschichten Österreichs.
Dieses Interview entstand in Kooperation mit der Julius Meinl Coffee Group.