Recycling

Einfall statt Abfall: Müll als Rohstoff

Was für andere Müll ist, ist für sieben heimische Unternehmen ein wertvoller Rohstoff. Best-Practice-Beispiele aus Österreich.

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Fernwärme aus Altspeiseöl

Jede:r Österreicher:in isst pro Jahr 30,6 Wiener Schnitzel. Das dabei anfallende Altspeiseöl ist ein wertvoller Rohstoff. Wie wertvoll, demonstriert das steirische Bioindustrie-Unternehmen Münzer in einem gemeinsamen Pilotprojekt mit der Stadt Weiz: Künftig sollen hier jährlich 50.000 bis 70.000 Liter Altspeiseöl aus Weizer Haushalten, der Gastronomie und Hotellerie in Fernwärme für rund 900 private, gewerbliche und industrielle Objekte in der Region umgewandelt werden. Münzer kümmert sich um die Sammlung und chemische Umwandlung in FAME-Bio-Öl, die Fernwärme Weiz um die emissionsarme Verbrennung in der innovativen Kesselanlage. „Unser Ziel ist es, die fossile Infrastruktur zu ökologisieren“, sagt Münzer-Sprecher Harald Sigl. „Denn das spart unseren Partner:innen Kosten und macht flexibel – bei Engpässen kann man notfalls mit fossiler Energie aushelfen.“ Das Konzept hat sich für Münzer auch schon in anderen Bereichen bewährt: Als Experte für Bioerdgas und als größter österreichischer Bio-Dieselhersteller produzieren die Sinabelkirchner pro Jahr über 200.000 Tonnen Kraftstoff und sparen damit bis zu 93 Prozent CO₂ gegenüber fossilem Diesel ein.

Kreditkarte aus Maisstärke

„Kommen Sie wieder, wenn Sie eine bessere Idee haben“, hörten Johann und Ute Zimmermann, als sie 1999 mit ihren Forschungsergebnissen Klinken putzen gingen. Kompostierbarer Biokunststoff, der fossile Rohstoffe spart – damit waren der Kunststofftechniker und die Marketing-Spezialistin damals ihrer Zeit voraus. „Doch die Idee, nachwachsenden Kunststoff zu produzieren, ließ uns nicht los“, sagt Johann Zimmermann, heute Geschäftsführer des Verpackungsunternehmens NaKu. Aus Zucker und Stärke stellt er jetzt unter anderem kompostierbare Flaschen und Bio-Sackerln her, die ihren fossilen Geschwistern Konkurrenz, ja etwas vor machen. Für Umwelt und Organismus schädliches Mikroplastik? Gehört damit der Vergangenheit an. „Kunststoff ist ja eigentlich eine tolle Sache“, sagt Zimmermann. „Wir müssen ihn nur natur- und menschengerechter produzieren.“ Ein besonders plakatives Anwendungsbeispiel: seine nachwachsende Plastikkarte. Doch ist die umweltfreundliche Alternative für Bankomat-, Tank- oder Mitgliedskarten nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Nicht, wenn man das Einsparpotenzial hochrechnet: Allein in Österreich werden pro Jahr 70  Millionen Kunststoffkarten in Umlauf gebracht.  

Dünger aus Fäkalien

„Könnte man aus den Abfällen, die wir Menschen produzieren, nicht auch etwas Sinnvolles machen?“ Diese Frage ist die Grundidee der Kreislaufwirtschaft. Und niemand nimmt sie so wörtlich wie Niko Bogianzidis. 2017 gründete er mit zwei Freunden das Mobiltoiletten-Start-up öKlo, eine hygienische und umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen WCs auf Zeit. Mittlerweile hat er in fünf Bundesländern 800 öKlos aufgestellt, rund um die Idee ein Unternehmen mit 50 Mitarbeiter:innen und 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz aufgebaut – und viel Geld in eine eigene Forschungsabteilung gesteckt. Denn eigentlich, so Bogianzidis, seien auch unsere ureigenen Abfälle wertvolle Rohstoffe: „Aus Urin lässt sich das Düngemittel Struvit herstellen, aus festen Stoffen Biogas, Holzfaserbeton oder Substrat für die Pilz- und Insektenzucht.“ Wenn der Gesetzgeber wie erhofft bis Jahresende die Kompostverordnung liberalisiert, will öKlo in die Offensive gehen: „Dann eröffnen wir nördlich von Wien das öKlo-Land, einen 12.000 Quadratmeter großen modularen Recyclingpark. Wenn wir dort unsere Ideen kostendeckend verwirklichen können, wäre das für uns die schönste Belohnung für die jahrelange Forschungsarbeit.“

Wiederverwendbare Gebäudeteile

Wie Lego, aber im ganz großen Stil: In der Baubranche hat zirkuläres Wirtschaften wie die Wiederverwertung von Gebäudeteilen besonders großen Impact. Dieser Sektor ist nämlich für 35 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs und für 40 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. Das vom Bundesministerium für Klimaschutz initiierte Leitprojekt KRAISBAU leistet dabei Pionierarbeit: 32 Bauunternehmen, Forschungseinrichtungen und Architekturbüros bündeln hier ihr Wissen. Gemeinsam sollen Ressourcen gespart, Einsparpotenziale identifiziert sowie Roh- und Baustoffe in Sachen Zerleg- und Rezyklierbarkeit optimiert werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei die (auch im Projektnamen eingebaute) AI, also Künstliche Intelligenz. Sie soll beim Vernetzen von Daten und beim Entdecken neuer Lösungswege helfen. Das dabei gewonnene Know-how wird der gesamten Branche über Factsheets, Roadmaps und Schulungen zugänglich gemacht. 

Kupfer aus Elektroschrott

Ohne Kupfer keine Energiewende: Das chemische Element mit der Ordnungszahl 29 ist für Solarzellen, Windkraftwerke und elektrische Geräte aller Art unverzichtbar. Sein weltweiter Bedarf wird von rund 28,3 Millionen Tonnen im Jahr 2020 bis 2040 auf rund 40 Millionen steigen. Dass davon auch die seit 560 Jahren bestehenden Montanwerke Brixlegg profitieren, verdanken sie einer Entscheidung von historischem Weitblick: Als vor 100 Jahren Österreichs Kupferminen versiegten, erfand man sich kurzerhand als Kupfer-Recycler neu. Nun haben die Brixlegger anderen Branchen ein Jahrhundert Erfahrung in Sachen Circular Economy voraus – und produzierten allein im Vorjahr 100.486 Tonnen Kupferkathoden. „Der Vorteil von Kupfer ist, dass es durch die Aufbereitung weder Reinheit noch Qualität einbüßt“, sagt der kaufmännische Vorstand Volker Pawlitzki. „Gleichzeitig spart der Recyclingprozess gegenüber dem Abbau von Kupfererzen 85 Prozent Energie.“ So erhält nicht nur Elektroschrott neue Aufgaben (in 1.000 Waschmaschinen stecken 1,75 Tonnen Kupfer), sondern auch der Abfall aus Bau, Industrie und Transportwesen. Was könnten Kreislauf-Einsteiger daraus lernen, Herr Pawlitzki? „Recycling schont Ressourcen und ist die perfekte Verbindung von Ökologie und Ökonomie."

Textilien aus Holz

Nachhaltigstes Unternehmen Österreichs: Diesen Titel nähte sich 2024 der Faser-Hersteller Lenzing im IMWF-Ranking der 498 größten Industrieunternehmen Österreichs ein. Die Fasern für Bekleidung, Heim- und technische Textilien werden hier nicht nur seit 80 Jahren aus einem nachwachsenden Rohstoff hergestellt – nämlich aus Holz. Die Oberösterreicher setzen auch in der Aufbereitung auf zirkuläres Wirtschaften. Beim selbst entwickelten Lyocell-Produktionsprozess kommt ein organisches Lösungsmittel mit dem einschüchternden Namen N-Methylmorpholin-N-Oxid (NMMO) zum Einsatz. Es wird in einem geschlossenen Kreislauf zu mehr als 99 Prozent zurückgewonnen und dem Produktionsprozess immer wieder zugeführt. Für die Eigenmarke Refibra werden zusätzlich Baumwoll-Zuschnittreste und Alttextilien als Rohstoffe verwendet, die eine selbst entwickelte Recycling-Technologie ressourcenschonend aufbereitet. 

KI als Recycling Manager

60 Niederlassungen in Europa und Asien, 1.000 Fahrzeuge und Arbeitsmaschinen, 1.000 Gemeinden und Städte als Auftraggeber: Die in Krems an der Donau beheimatete Brantner Gruppe ist nicht nur ÖGV-Unternehmen des Jahres, sondern auch ein technischer Vorreiter in der Abfallwirtschaft. Beim Recyceln von Asphalt und Kunststoff, Metallschlacke und Ziegelsplitt übernimmt Künstliche Intelligenz die „Drecksarbeit“. Besonders stolz sind die Niederösterreicher auf ihren KI-gesteuerten Störstoffscanner: Im LKW erkennt er direkt bei der Schüttung 32 verschiedene Störstoffe in Echtzeit und versieht sie mit Schulnoten von eins bis fünf, in der Kunststoffsortieranlage misst er die Sortiertiefe und verfeinert die Arbeit der Separatoren.