Ernährung

Geht Klimaschutz durch den Magen, Herr Ebenfeld?

Von Bioprodukten über plastikfreie Verpackungen bis hin zu Zero Waste: Taugt der Nachhaltigkeitstrend in der Lebensmittelindustrie als Blaupause für andere Wirtschaftssektoren?

Drucken

Schriftgröße

Allein in Österreichs Haushalten landen jedes Jahr rund 157.000 Tonnen Lebensmittel im Restmüll. Das entspricht einem Wert von über einer Milliarde Euro. Die „Wegwerfmania“ findet aber international und entlang der ganzen Wertschöpfungskette statt. Laut WWF werden 40 Prozent der weltweit produzierten Nahrungsmittel verschwendet, auf etwa einem Drittel der Agrarflächen werden Produkte angebaut, die es nicht mal bis auf unsere Teller schaffen. 

Alarmierende Zahlen, die den Druck zu mehr Nachhaltigkeit erhöht haben. Um Ressourcen zu schonen und Abfälle zu vermeiden, setzt die Branche daher auf Kreislaufwirtschaftsstrategien und -geschäftsmodelle, Initiativen wie „Too good to go“ sind ein Beispiel dafür. Letztere hat eigenen Angaben zufolge durch Programme zur Verwertung überschüssiger Lebensmittel im Einzel- und Großhandel seit 2016 über 300 Millionen Mahlzeiten „gerettet“, fast 122 Millionen davon allein im vergangenen Jahr.

Die Lebensmittelindustrie präsentiert sich überhaupt als intensiv bewirtschaftetes Feld einer Bewegung hin zu mehr Nachhaltigkeit. Zwischen Super- und Bauernmarkt, Tiefkühlregal und Hochbeet widmet man sich massentauglich der Maximierung der Minimierung von negativen Konsumfolgen – angefangen bei Bio-, Fairtrade- und veganen Produkten über plant-based, circular und regenerative food, plastikfreie Verpackungen oder überhaupt Zero Waste bis hin zu Recycling und Re-Use. In Verbindung mit Urban Gardening wird zudem die Flagge der Selbstversorgung gehisst und das Gemeinschaftliche betont. Shared Economy also, wo Eigentum nicht mehr das höchste Ziel ist, sondern das Teilen im Fokus steht.

Haben diese Bemühungen das Potenzial, die gesamte Wirtschaft zu beeinflussen und zukunftsweisende Trends für andere Industrien zu setzen? „Durchaus“, sagt Thomas Ebenfeld. Der Experte für tiefenpsychologische Marketingforschung bei „Concept m research“ in Köln traut der Lebensmittelbranche diese Seismographen-Rolle zu.

profil Extra: Im Food-Kontext bewegt sich was – und die Konsument:innen machen mit. Warum gerade hier?

Thomas Ebenfeld: Wir leben in Zeiten, die durchzogen sind von Paradoxien und unterschiedlichsten An- und Herausforderungen. Viele stehen dem ohnmächtig, ratlos und verunsichert gegenüber. Als Konsument:in sucht man nach Handlungsspielräumen, um etwas und vor allem etwas Richtiges zu tun. Bei Lebensmitteln bietet sich eine Möglichkeit, weil man bei jedem einzelnen Produkt eine Kaufentscheidung im Sinne eines ethisch bewussten, nachhaltigen Konsums vollziehen kann. Man fühlt sich nicht wie ein Konsumäffchen, das nur Angst hat, alles kauft und sammelt und jedem Trend hinterherhechelt, sondern kann eine bewusste Entscheidung treffen – und hat damit etwas auf der Habenseite zu verbuchen.

Lebensmittelindustrie und -handel reagieren darauf angebotsseitig. Auch weil es ein gutes Geschäft ist …?

Ebenfeld: … und weil den Konsument:innen bei jedem Einkauf das Gefühl vermittelt wird, selbstwirksam und autark zu sein und etwas zu einer positiven Entwicklung beigetragen zu haben. Im Großen entfaltet man im Gegensatz dazu ja als Einzelner gefühlt wenig Wirkkraft – und dann kommt noch der Whataboutism dazu: Was sollen wir hier bei uns denn noch alles machen, wenn man sich in anderen Erdteilen gar nicht darum kümmert? Wenn man die Menschen dennoch zu Nachhaltigkeit bringen will, muss man eine starke emotionale Qualität mitvermitteln – etwa dass das entsprechende Produkt besser, genussvoller oder gesünder ist. Oder das Gefühl transportieren, dass man etwas machen kann – gerade in einer Zeit, die von Krisen, Komplexität und Volatilität geprägt ist. Das ist den Leuten einiges wert.

Kann dieses Modell auch branchenübergreifend Vorbildwirkung erzeugen?

Ebenfeld: Konsumgüter im Lebensmittelbereich können durch den täglichen Kontakt am Regal und die damit verbundene hohe Aufmerksamkeit, die ihnen Konsument:innen widmen, schon ein Vorbild und Innovationstreiber sein, weil man unmittelbare Wirksamkeiten erlebt.

Was hat sich im Konsumverhalten insgesamt schon geändert?

Ebenfeld: Konsum steht unter Hochspannung, bedeutet er doch, nicht mehr zu verbrauchen, sondern nur noch zu gebrauchen. Bei jeder Kaufentscheidung weiß man heute, dass sie irgendeine negative Kehrseite hat, weil etwas entsteht, was der Natur nicht zuträglich ist. Dieses Bewusstsein war vor zehn, fünfzehn Jahren noch nicht so ausgeprägt. Da konnte man gefühlt noch freier und lustvoller konsumieren. Heute muss man immer das Gute, Nachhaltige mitdenken. 

Was braucht es, damit das entsprechende Bewusstsein dafür entsteht?

Ebenfeld: Je konkreter, nachvollziehbarer und anschaulicher die Beispiele sind, mit denen man diesen Anforderungen nachkommen kann, desto mehr verfängt es und desto eher wird es eine positive Kaufentscheidung geben. Zahlen wie x Tonnen CO₂ bleiben abstrakt. Die kann man wegschieben. Aber Themen wie Tierwohl oder Regionalität, kurze Wege, Re-Use haben viel Potenzial – auch in anderen Branchen. 

In der Sportbekleidungsindustrie zum Beispiel gibt es bereits Initiativen, nicht verkaufte oder beschädigte Produkte zu reparieren und erneut zu verkaufen ... 

Ebenfeld: Ja, es gibt diese aufmerksamkeitsstarken Initiativen und Produkte in einem Segment, wo die hippe „Lifestyligkeit“ mit einem Nachhaltigkeitsversprechen verknüpft wird. Das ist aber mehr ein Modestatement und funktioniert in einer dafür sensibilisierten Zielgruppe, die es sich auch leisten kann. Dazu gehören auch die Solaranlagen am Dach, die Lastenfahrräder, die E-Fahrzeuge. Es gibt in diesem Zusammenhang Marker und Signalbegriffe wie CO₂-Footprint, Mikroplastik, Feinstaub, etc. – und auch wenn Verbraucher:innen diesbezüglich teilweise absurde Fehlschätzungen haben, bewirken sie doch eine Änderung hin zu einem bewussteren Verhalten. Bei Verpackungen beispielsweise.

Jute statt Plastik?

Ebenfeld: Ja, gerade die Verpackung ist etwas Elementares, weil sie bewusst auf Müllvermeidung und -trennen anspielt. Alles, was eine Papp- oder Juteästhetik hat, verkauft sich in diesem Zusammenhang besser. Es gibt den Konsument:innen konkret etwas in die Hand und vermittelt zudem pars pro toto das gute Gefühl, etwas Positives zu bewirken. Es ist aber erschreckend, dass das Thema Nachhaltigkeit insgesamt in der gesellschaftlichen Relevanz derzeit nicht an erster, zweiter oder dritter Stelle steht. Die Krisen überlagern da alles. 

Text: Klaus Höfler

ZUR PERSON

Thomas Ebenfeld ist Experte für tiefenpsychologische Marketingforschung. Er ist u. a. Mitbegründer der Global Research Boutique Concept M, die gesellschaftliche Strömungen und Trendthemen analysiert.