Nachhaltigkeit

Geometrie der Zukunft: 8 Gründe für die Kreislaufwirtschaft

Mit der Transformation vom linearen zum zirkulären Wirtschaften kriegen wir die Kurve – ökologisch, ökonomisch, sozial.

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„Österreich ist auf dem Weg zur Klimaneutralität 2040“, freute sich Klimaschutzministerin Leonore Gewessler Ende März.

Bei einer Pressekonferenz mit dem Umweltbundesamt sprach sie gar von einer „herausragenden Nachricht“. Der Grund für den Jubel: Nach einer vorläufigen Berechnung waren Österreichs Treibhausgasemissionen 2023 um rund 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Die Daten zeigten einen Ausstoß von umgerechnet 69  Millionen Tonnen CO₂ – der niedrigste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1990. „Wenn wir so weitermachen, können wir den Kampf gegen die Klimakrise gewinnen.“

Zu früh gejubelt

Nur wenig später, am 6. April nämlich, gab es jedoch keinen Grund mehr für Schulterklopfen. Da zeigte sich vielmehr, dass wir trotz dieses wichtigen Schritts in die richtige Richtung noch einen sehr langen Weg vor uns haben. Der nationale „Earth Overshoot Day“ jährte sich, jenes Datum, an dem die österreichische Bevölkerung bereits mehr natürliche Ressourcen verbraucht hatte, als der Planet im Jahr regenerieren kann. Seitdem leben wir quasi auf Pump und zu Lasten anderer Nationen. 

In der Global-Footprint-Network-Statistik schnitten wir sogar schlechter ab als China (nationaler Overshoot Day: 1.  Juni). Würde jede Nation so verschwenderisch konsumieren wie wir, müsste es drei blaue Planeten geben, um den aktuellen Ressourcenbedarf zu decken. Da hilft es dann auch kaum noch, dass viele andere zum Glück (noch) sparsamer sind. Gesamt betrachtet bräuchte die Menschheit immer noch 1,75 Erden. Bald werden es zwei, drei oder noch mehr sein. Denn die Weltbevölkerung wächst und mit ihr der Ressourcenbedarf.

Linearer Holzweg

Damit dürfte klar sein: Für lediglich kleine Schritte leben wir auf viel zu großem Fuß. Aus der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie des Klimaschutzministeriums geht hervor, dass Treibhausgasemissionen zu rund 50 Prozent und der Biodiversitätsverlust und der Wasserstress zu mehr als 90 Prozent auf die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen zurückzuführen sind. Allein die Produktion von Stahl, Zement, Kunststoffen, Papier und Aluminium verursacht 36   Prozent aller globalen Treibhausgasemissionen.

Um das Ziel der Vereinten Nationen zu erreichen, die Kohlenstoffemissionen bis 2030 weltweit um 43 Prozent gegenüber 2010 zu senken, müsste der globale Earth Overshoot Day (aktuell der 1. August) in den nächsten sieben Jahren jährlich um 19 Tage nach hinten verschoben werden. Stattdessen kommt er durch die Art und Weise, wie wir Wachstum und Wohlstand schaffen (wollen) – nämlich durch lineares Take-Make-Waste-Wirtschaften – jedes Jahr noch früher. Und er bringt nicht nur irreversible Umweltschäden und Verteilungskämpfe um die endlichen Ressourcen mit, die sich durch den Klimawandel noch verschärfen. Die derzeitige Entwicklung bedroht auch unsere Gesundheit, Gesellschaft und Ökonomie. 

Eierlegende Wollmilchsau

Wie in den letzten Jahrzehnten kann es also nicht weitergehen. Stattdessen gilt es die Kurve zu kriegen. Und zwar ohne die – zurecht wachsende – Besorgnis über die Situation zur Wachstumsbremse werden zu lassen. Dafür müsste man Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch möglichst entkoppeln. Gelingen soll das mit der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy). Sie ist ein Konzept, das darauf abzielt, Ressourcen effizienter zu nutzen und Abfall zu minimieren. Letzterer soll vielmehr in eine gewinnbringende Ressource umgewandelt werden, was den Bedarf an Primärrohstoffen reduziert. Damit steht die Circular Economy im Gegensatz zur linearen Take-Make-Waste-Wirtschaft, die Ressourcen entnimmt, Produkte herstellt und sie nach der Nutzung entsorgt. Die Kreislaufwirtschaft fördert vielmehr einen geschlossenen Kreislauf, bei dem Materialien und Produkte möglichst lange in der Nutzung gehalten und wiederverwendet werden. 

Doch kann die Kreislaufwirtschaft tatsächlich so etwas wie die berühmte eierlegende Wollmilchsau sein, die es schafft, Klima-, Umwelt- und Wirtschaftsprobleme gleichzeitig zu bekämpfen, und das auch noch sozial verträglich? Ja, sagen die Expert:innen – und sie können sich dabei auf beeindruckende Studien berufen. Studien, die zudem zeigen, warum die Circular Economy kein Nice-to-have, sondern ein Muss für die Zukunft ist. Hier die acht wichtigsten Fakten, die für eine Transformation sprechen:  

Kreislaufwirtschaft kann Klima- und Umweltschutz

Das wichtigste Zukunftsziel: den Klima-Kollaps vermeiden. Die Circular Economy kann uns zumindest in die Nähe bringen. Um die Erderwärmung gemäß dem Ziel des Pariser Klimaabkommens auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssten wir etwa die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2030 jährlich um 7,6 Prozent verringern. Laut einer Studie der Circle Economy Foundation (CEF) erreichen die national festgelegten Beiträge der Unterzeichner des Klimaabkommens das Ziel jedoch nur zu 15 Prozent. Die Circular Economy wäre in der Lage, die fehlenden 85  Prozent zu liefern, so die CEF. 

Mit einem zirkulären Ansatz könnte auch der Abfall drastisch reduziert werden, weil er zum Vermögenswert wird. Das würde nicht nur die Umwelt entlasten, sondern auch die Unternehmen. Durch Kreislaufwirtschaft können sie Kosten sparen, weil sie Materialien wieder in den Produktionsprozess einspeisen, statt sie teuer zu ent- und neu zu besorgen. 

Die Umstellung vom bisherigen linearen System auf eine kreislauforientierte Wirtschaft würde zudem den globalen Footprint hinsichtlich des Ressourcenverbrauchs verkleinern, der neben der Emissions- und Abfallreduktion der dritte Klima- und Umweltschutzhebel ist. Nach Schätzungen des International Resource Panel der Vereinten Nationen könnten durch eine vollständige Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft bis 2050 etwa 28 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs eingespart werden.

Kreislaufwirtschaft macht resilient

Apropos Ressourcenverbrauch: Lieferkettenstörungen, wie sie durch den Krieg in der Ukraine oder die COVID-19-Pandemie verursacht wurden, haben gezeigt, wie anfällig lineare Geschäftsmodelle sind. Die Kreislaufwirtschaft bietet Unternehmen die Möglichkeit, ihre Lieferketten widerstandsfähiger zu gestalten, indem sie auf lokale, recyclebare Materialien und erneuerbare Ressourcen setzen und so ihre Abhängigkeit von Rohstoffen, Materialien oder Komponenten aus anderen Ländern reduzieren. Dies gilt insbesondere für kritische Rohstoffe, die für die Herstellung von Technologien benötigt werden, ohne die es bei der Verwirklichung der Klimaziele nicht geht – wie Batterien und Elektromotoren.

Eine Untersuchung der Ellen Mac-Arthur Foundation zeigt, dass die Umstellung auf ein Kreislaufmodell in der EU bis 2030 zu Einsparungen bei Rohstoffkosten von bis zu 600 Milliarden Euro pro Jahr führen könnte. Dies entspricht rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Allein Deutschland würde durch eine Circular Economy im Jahr 2050 etwa 68 Prozent weniger Primärrohstoffe benötigen als heute. Auch die stark schwankenden Preise von Rohstoffen wie Öl oder Metallen am Weltmarkt, die für viele Unternehmen bisher ein erhebliches Risiko darstellen, ließen sich besser abfedern. 

Kreislaufwirtschaft ist Wachstum

Neben der Reduktion von Versorgungsrisiken und den Einsparungen bei Rohstoffkosten und Abfallentsorgung bringt die Kreislaufwirtschaft noch weitere wirtschaftliche Vorteile mit sich, weil sie neue Wege zu Wertschöpfung und Wachstum aufzeigt. Laut einem Bericht von McKinsey & Company könnte eine Kreislaufwirtschaft in Europa einen wirtschaftlichen Nettonutzen von 1,8 Billionen Euro bis zum Jahr 2030 erzielen, das Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozent bis 0,8 Prozent pro Jahr steigern und das BIP um bis zu sieben Prozentpunkte anheben. Der Marktwert der globalen Kreislaufwirtschaft bis 2030 wird weltweit auf über vier Billionen US-Dollar geschätzt. 

Die treibenden Kräfte hinter diesen Schätzungen? Laut der Ellen MacArthur Foundation wird sich das erwähnte Wirtschaftswachstum überwiegend aus einer Kombination aus höheren Einnahmen durch neu aufkommende Kreislaufaktivitäten und die Erschließung neuer Marktpotenziale sowie aus niedrigeren Produktionskosten durch eine produktivere Nutzung von Inputs ergeben.

Kreislaufwirtschaft hat politischen Rückenwind 

Oft scheitert Transformation ja an fehlenden politischen Rahmenbedingen. Die Kreislaufwirtschaft ist damit hingegen recht gut versorgt. Die EU setzt auf eine eigene, umfassende Kreislaufstrategie im Rahmen des „European Green Deal“ und des „Aktionsplans für Kreislaufwirtschaft“. Viele Länder haben zudem bereits nationale Kreislaufwirtschaftsstrategien verabschiedet. Auch Österreich ist mit dabei. Und selbst China hat sich dem Kreis angeschlossen. Die (inter-)nationalen Bemühungen zeigen, dass der Übergang zur Kreislaufwirtschaft politisch und ressortübergreifend als Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft gesehen wird. 

Die Kreislaufwirtschaft gewinnt also weltweit an politischem Rückhalt, mehr noch: Sie wird durch Regulatorien und eine entsprechende Gesetzgebung gefördert. Wenn ausnahmsweise mal so viel Einigkeit herrscht, sollte man – nicht nur als Unternehmen – mitmachen, sonst wird der wehende politische Rückenwind für einen zum Gegenwind.

Was in Österreich noch fehlt, sind derzeit positive Anreize für Konsument:innen und Unternehmen. Etwa stärkere Förderungen für Investitionen in Sekundärrohstoffe. Ein wichtiger Hebel wäre auch die öffentliche Beschaffung, die es in der Hand hat, bei Ausschreibungen Kriterien für den Einsatz recycelter Materialien festzulegen. Der von der ARA initiierte Senat der Kreislaufwirtschaft verlangt von der Bundesregierung zudem ein Paket zur Deregulierung und Entbürokratisierung. Und er fordert angesichts der komplexen Querschnittsmaterie eine zentrale interministerielle Koordinierungsstelle als Brücke in die europäische Politik.

Kreislaufwirtschaft ist F&E-Anreiz 

Keine Transformation ohne technologische Innovation. Allein die EU investiert daher im Rahmen des „European Green Deal“ bis 2027 etwa zehn Milliarden Euro in Projekte zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und schafft damit Anreize für Forschung und Entwicklung in den Bereichen Materialentwicklung, Produktdesign und Recycling. Neben biologisch abbaubaren Materialien stehen vor allem digitale Plattformen für die Optimierung von Wertschöpfungsketten im Fokus sowie Innovationen im Bereich der „Urban Mining“-Technologie, die die Rückgewinnung von Rohstoffen aus urbanen Abfällen ermöglicht. Eine Schätzung des World Resources Institute geht davon aus, dass allein durch die Nutzung von Sekundärrohstoffen aus Altgeräten und Gebäuden der Bedarf an neu abgebauten Ressourcen weltweit um 20 Prozent gesenkt werden könnte.

Die Kreislaufwirtschaft befeuert aber auch F&E im Bereich erneuerbare Energien, die eine wichtige Rolle in der nachhaltigen Produktionsinfrastruktur spielen. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) könnte der Anteil erneuerbarer Energien an der globalen Stromversorgung bis 2030 auf 50 Prozent steigen, wenn Kreislaufwirtschaftsmodelle vollständig implementiert werden. Der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien reduziert die Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und trägt zur Schaffung einer klimafreundlichen Infrastruktur bei.

Kreislaufwirtschaft schafft Jobs

Wo Automatisierung, KI und Krisen Jobs killen, hat die Kreislaufwirtschaft das Potenzial, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. In den heimischen Kreislaufwirtschaftsunternehmen waren 2021 insgesamt 48.605 Personen in Vollzeitäquivalenten beschäftigt, was 55.439 Menschen entspricht. In der EU waren es insgesamt rund vier Millionen. Es dürften bald deutlich mehr werden. Laut der International Labour Organization (ILO) könnten durch den Übergang zur Circular Economy bis 2030 weltweit 24 Millionen neue Jobs entstehen. Berechnungen der EU für denselben Zeitraum deuten auf einen jährlichen Anstieg der Beschäftigung in diesem Bereich um 0,3 Prozent hin. Besonders in Branchen, die in der linearen Wirtschaft bisher weniger im Fokus standen, wie Recycling, Reparatur und Aufbereitung, werden Arbeitskräfte gesucht sein, aber auch im digitalen Bereich, der (Aus-)Bildung oder im Leasing und Banking. 

Kreislaufwirtschaft bringt gesellschaftliche Chancen

Zirkuläre Wertschöpfung stärkt nicht nur die Wirtschaft und schützt die Umwelt. Wenn sie schon die Welt verbessert, dann richtig. Eine zentrale soziale Chance der Kreislaufwirtschaft besteht darin, die Lebensqualität in Regionen zu verbessern, die stark unter Umweltverschmutzung und Ressourcenabbau leiden. Laut der ILO sind heute rund 15 bis 20 Millionen Menschen weltweit im informellen Recyclingsektor tätig – oft unter prekären Bedingungen. Die formelle Einbindung ihrer Arbeit durch die Kreislaufwirtschaft könnte ihre Lebenssituation erheblich verbessern und ihnen zu besseren Arbeitsstandards und geregeltem Einkommen verhelfen.

Ein weiterer positiver gesellschaftlicher Aspekt: die Verringerung der Gesundheitsbelastungen durch Abfallentsorgung und Luftverschmutzung. Die Verbrennung und Deponierung von Abfällen erzeugt schädliche Emissionen, die direkt mit Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung stehen. Der EU-Bericht zur Kreislaufwirtschaft 2020 schätzt, dass die durch zirkuläre Abfallbewirtschaftung erzielte Reduktion der Luftverschmutzung die Gesundheitskosten in der EU um bis zu 550 Millionen Euro pro Jahr senken könnte.

Zusätzlich fördert die Kreislaufwirtschaft ein wachsendes Bewusstsein für nachhaltigen Konsum und die Wiederverwendung von Produkten. Der Ansatz des gemeinsamen Nutzens und Tauschens – zum Beispiel durch Plattformen wie Carsharing oder Kleidertausch – verändert die gesellschaftliche Einstellung zum Besitz und unterstützt den Übergang zu einer nachhaltigeren und gemeinschaftsorientierten Lebensweise. Diese kollektiven Konsumstrategien reduzieren zudem den individuellen Ressourcenverbrauch und tragen zur Entstehung einer bewussteren Gesellschaft bei. 

Kreislaufwirtschaft können wir 

Zu guter Letzt: Kreislaufwirtschaft ist keine Zukunftsmusik oder Rocket Science. Sie ist eine Lösung für eine nachhaltige Zukunft, die im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt. Im Jahr 2021 waren laut der PwC-Studie „Von linear zu zirkulär: Status quo der österreichischen Kreislaufwirtschaft“ schon mehr als 13.000 österreichische Firmen Teil der Kreislaufwirtschaft. Sie haben bereits erfolgreich bewiesen, dass zirkuläres Wirtschaften und eine entsprechende Transformation der Geschäftsmodelle möglich ist. Sie erwirtschafteten 2021 einen Umsatz von 15,6 Milliarden Euro und trugen 4,1 Milliarden Euro zur Bruttowertschöpfung bei – das übersteigt jene der Stahlindustrie um eine Milliarde. Im Vergleich zur österreichischen Gesamtwirtschaft ist die Bruttowertschöpfung in der Kreislaufwirtschaft von 2008 bis 2021 auch schneller gewachsen, mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von etwa 3,2 Prozent, im Gegensatz zu 2,5 Prozent der Gesamtwirtschaft. Das kann durchaus so weiter gehen. Österreich könnte mit stärkerer Kreislaufwirtschaft bis 2030 gut 35 Milliarden Euro an Wertschöpfung erzielen, so PwC. 

Nicht einfach, aber einfach richtig

Sicher, der Übergang zur Circular Economy ist kein einfacher Prozess. Doch die Chancen überwiegen bei Weitem die Herausforderungen. Sie könnte das Fundament für ein neues, zukunftsfähiges Wirtschaftssystem legen, das Wachstum und Wohlstand sichert und Lebensqualität und Lebensraum schützt. Und sie könnte die Basis werden für den Aufbau einer nachhaltigen, widerstandsfähigen Gesellschaft. 

 

Text: Daniela Schuster