Gesundheitsschutz ist Klimaschutz
China, USA, Indien, Russland, Gesundheitswesen. So würde sich das Ranking der größten Emittenten von Treibhausgasen lesen, wäre die Health-Care-Branche ein Land. „Der globale Klimafußabdruck des Gesundheitswesens entspricht dem jährlichen Ausstoß von 514 Kohlekraftwerken“, schreibt die NGO „Health Care Without Harm“ in ihrem Green Paper „Health Care’s Climate Footprint“. Insgesamt tragen Spitäler, Pflegeeinrichtungen, Pharmakonzerne, Hersteller von Medizintechnik und andere Gesundheitsdienstleister laut PwC-Healthcare-Barometer 2022 mit 4,4 Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen bei – mehr als die Schifffahrt oder der Flugverkehr.
Länder mit hohem Versorgungsgrad, darunter auch Österreich, liegen dabei noch weit über dem globalen Durchschnitt. Wissenschaftler der Wiener Universität für Bodenkultur, des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des nationalen Forschungsinstituts Gesundheit Österreich haben 2020 im Rahmen des Projekts „HealthFootprint“ berechnet, dass hierzulande sogar rund sieben Prozent des heimischen CO2-Fußabdrucks auf das Konto des Gesundheitswesens gehen. Ausgerechnet jene Einrichtungen, die unser Wohlergehen eigentlich schützen und fördern sollen und wollen, tragen also massiv zum Klimawandel bei, der größten Gesundheitsbedrohung des 21. Jahrhunderts.
And isn’t it ironic: Der Gesundheitssektor ist nicht nur einer der größten Treiber des Klimawandels. Er ist auch jener Bereich, der die höchsten Folgekosten der Krise zu schultern hat, so Karl Steininger, Leiter der Forschungsgruppe „Ökonomik des Klimawandels“ am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel. Heute sind es geschätzt bereits zwischen zwei und vier Milliarden Euro jährlich, die Österreich zu stemmen hat. Bis 2050 könnten es allein im Bereich Gesundheit 5,5 Milliarden Euro werden. Pessimistischere Zukunftsprojektionen rechnen gar mit bis zu zehn Milliarden Euro, insbesondere durch den Anstieg von Herz-Kreislauf-Belastungen in langen Hitzeperioden, Atemwegserkrankungen durch die Luftverschmutzung, die Zunahme von Allergien und Infektionskrankheiten durch veränderte Ökosysteme oder die psychosozialen Folgen der Klimakrise.
Eine mitverschuldete Krise
„Als Mitverursacher wie Betroffener der Klimakrise steht das Gesundheitswesen vor der Herausforderung, vom Teil des Problems zum Teil der Lösung zu werden“, sagt Ruperta Lichtenecker, Leiterin des Kompetenzzentrums Klima und Gesundheit der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). Die Ökonomin und Forscherin war und ist federführend daran beteiligt, dass sich Österreich 2022 mit den „Big Five“ (siehe auch nächste Seite) auf einen international viel beachteten Weg begeben hat. Fünf Säulen tragen dazu bei, das heimische Gesundheitswesen bis 2040 in die Zukunftsspur zu bringen: Es also klimaneutral und -resilient zu machen und gleichzeitig die medizinische Versorgung auf hohem Niveau zu sichern.
Ein großes Ziel. Um es zu erreichen, braucht es auch und vor allem einen übergeordneten Plan. Den gibt es seit Juli 2024. Im vergangenen Sommer erhielt Österreich als eines der ersten europäischen Länder neben England und Frankreich eine 300 Seite starke nationale „Strategie für ein klimaneutrales Gesundheitswesen“ – beauftragt vom Gesundheitsministerium unter Johannes Rauch, erarbeitet vom Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit in einem Stakeholder-Prozess und fachlich begleitet von namhaften Expert:innen wie der Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb.
Strategisch ans Ziel
„Die Strategie konzentriert sich darauf, wie die notwendigen Gesundheitsdienstleistungen möglichst klimafreundlich und nachhaltig erbracht werden können“, so Lichtenecker. Kernstück ist daher ein Fahrplan mit Maßnahmen für alle klimarelevanten Handlungsfelder im Health-Care-Sektor, angefangen bei der thermischen und energetischen Sanierung von Gebäuden und der Versorgung mit grünem Strom über die Förderung der E-Mobilität bis hin zum Abfallmanagement und zur Umstellung auf mehr pflanzenbasierte Ernährung. Eine tragende Rolle spielen zudem die Optimierung von Verpackungsgrößen bei Medikamenten, um den Arzneimittelverwurf zu reduzieren, und die Wiederverwendung von Medizinprodukten. Denn die Herstellung, Verwendung und Entsorgung von Medizinprodukten und Arzneien hat mit 38 Prozent der Emissionen den größten Anteil am CO2-Fußabdruck des österreichischen Gesundheitswesens.
Aber auch in anderen Bereichen ist viel Einspar-Luft nach oben: So entstehen etwa bei den Lieferanten von Strom und Wärme und durch den direkten Energieverbrauch der Gesundheitseinrichtungen bis zu 15 Prozent aller klimarelevanten Emissionen im Sektor. 83 Prozent gehen dabei auf Krankenhäuser zurück. Kein Wunder: Schon ein einzelnes großes Spital verbraucht jährlich mehr Energie als eine Kleinstadt, ein Klinikbett so viel wie vier Einfamilienhäuser.
Transformation? Läuft!
Die heimischen Gesundheitseinrichtungen sind sich ihrer Rolle und Verantwortung zunehmend bewusst. Und auch an der Bereitschaft zur nötigen Transformation fehlt es offensichtlich nicht. Der Big-Five-Lehrgang „Klima-Manager:innen in Gesundheitseinrichtungen“ ist jedenfalls gut besucht. Und am Projekt „Beratung klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen“ haben ebenfalls bereits 457 Krankenhäuser, Senioren- und Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen, PVE und Apotheken teilgenommen, um sich zur klimaneutralen, nachhaltigen Organisation zu entwickeln. Ganz oben auf den Projektlisten: Energieeffizienzmaßnahmen. Doch auch bei Themen wie etwa klimafreundliche Ernährung oder Abfall- und Ressourcenmanagement sucht man Expertise und Unterstützung.
„Notwendige Gesundheitsdienstleistungen müssen möglichst klimafreundlich und nachhaltig erbracht werden.“
Ruperta Lichtenecker, Leiterin Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit der GÖG
Projekte mit Strahlkraft
Erste Leuchtturmprojekte gibt es bereits. Um ihnen motivierende Strahlkraft für Nachahmer:innen zu verleihen, werden sie seit 2023 jährlich mit dem Award „Klimafreundliche Gesundheitseinrichtung“ ausgezeichnet. Bei der zweiten Preisverleihungsrunde im Herbst 2024 ging der Award etwa an das Landeskrankenhaus Feldkirch, das seit 2021 daran arbeitet, den ökologischen Fußabdruck der Abteilung für Anästhesiologie zu reduzieren. Ein wichtiger Schritt, tragen bestimmte Narkosegase in den Indus-
trieländern doch bis zu 1,7 Prozent zum Fußabdruck bei. Durch den Verzicht auf extrem klimaschädliche Narkosegase wie Lachgas oder Desfluran oder den effizienteren Einsatz von Alternativen wie Sevofluran konnten in Feldkirch bislang zum Beispiel 17.200 Treibhausgasemissionen in kg CO2-Äquivalent eingespart werden. Zudem wurde der medizinische Sondermüll halbiert. Ein weiterer Award-Gewinner: das Bezirkskrankenhaus Schwaz. Durch die Umsetzung einer umfassenden Energiestrategie reduzierte es seinen Energiebedarf innerhalb von drei Jahren um mehr als 50 Prozent und die Emissionen aus der Energiebereitstellung um rund 95 Prozent.
Um den Wissenstransfer zu beschleunigen und spannende Projekte über den Award hinaus öffentlich zu machen, gibt es seit einem Jahr zusätzlich ein Online-Tool: die Plattform „Pionier:innen der guten Praxis in den Gesundheitseinrichtungen“. Geplant sei, so Ruperta Lichtenecker, die etablierten „Big Five“ in Zukunft zudem um weitere Bausteine zu ergänzen: „Wir arbeiten hier an den zentralen Themen, wie etwa daran, die Gemeinschaftsverpflegung in den Gesundheitseinrichtungen oder die Rettungsorganisationen möglichst klimafreundlich zu gestalten.“
Es lohnt sich
Für die Umsetzung der Maßnahmen hatte die vorherige Bundesregierung bis 2030 400 Millionen Euro reserviert. Gefördert werden vor allem die thermische Sanierung von Gebäuden und Energiesparmaßnahmen bei der Wärme-, Dampf-, Brauchwasser- und Kälteversorgung oder die Installation von effizienter Beleuchtung. Krankenhäuser, Reha-Zentren, Senioren- und Pflegeheime sowie Rettungsorganisationen erhalten bis zu 50 Prozent der förderungsfähigen Investitionskosten. Die Höchstgrenze liegt bei maximal sechs Millionen Euro pro Projekt. Doch ob die Förderschienen auch nach den heurigen Neuwahlen halten? „Gehört habe ich noch nichts“, sagt Ruperta Lichtecker. „Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass die neue Regierung den erfolgreich eingeschlagenen Weg fortführt.“
Klimaschutzmaßnahmen im Gesundheitswesen lohnen sich jedenfalls. In erster Linie natürlich ökologisch. Die Reduktion von CO2-Emissionen, Abfall und Ressourcenverbrauch leistet einen wichtigen Beitrag zur Abmilderung der Klimakrise, schützt unsere Lebensgrundlage und Gesundheit und rettet letztlich Leben. Allein im Extremsommer 2023 verzeichnete Österreich 486 hitzebezogene Sterbefälle.
Daneben profitieren Gesundheitseinrichtungen und Gesellschaft auch wirtschaftlich, spart die Umsetzung der Maßnahmen doch nicht nur Folgekosten für das Gesundheitswesen und die öffentliche Hand ein, sondern den Organisationen auch ganz unmittelbar Geld und Ressourcen. So hat etwa die Stiftung viamedica am Universitätsklinikum Freiburg errechnet, dass ein großes Krankenhaus mit einem Jahresbudget von 500 Millionen Euro jährlich elf Millionen Euro für Energie und Wasser zahlen muss. Eine Einsparung von rund 30 Prozent in diesen Bereichen würde drei Millionen Euro freisetzen.
Langfristig stärkt die Umsetzung der Strategie also die Versorgungssicherheit und Resilienz des Gesundheitssystems. Auf die Lebensqualität zahlen sie aber schon heute ein. „Maßnahmen, wie etwa energiesparende Verschattung oder klimafreundliche Ernährung, sind im Health-Care-Sektor oft zugleich Klimawandelanpassungen“, so Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. „Ihre Wirkung wird nicht erst in ferner Zukunft über ein stabilisiertes Klima spürbar, sondern dient ganz unmittelbar dem Wohlergehen der Patient:innen“. Nicht zu vergessen: jenem der Mitarbeiter:innen. „Die Schaffung eines klimafreundlichen und gesundheitsfördernden Umfeldes positioniert den Arbeitgeber als verantwortungsbewusste Gesundheitseinrichtung“, betont Lichtenecker. „Und das erhöht in Zeiten des Fachkräftemangels auch dessen Attraktivität für Arbeitnehmer:innen, die dann zu Knowhow-Träger:innen und Multiplikator:innen werden.“
Prävention als größter Hebel
Eine wichtige Rolle nach innen, aber vor allem auch nach außen. Damit Österreichs Gesundheitssystem nämlich klimaneutral und zum (inter)nationalen Vorbild im Umgang mit der Klimakrise und seinen Folgen werden kann, ist auch jede:r einzelne Bürger:in gefordert – und damit oft überfordert. Noch verursachen etwa verschriebene, aber nicht eingenommene Medikamente hohe Kosten und belasten das Klima. Eine nachhaltige Lebensweise mit mehr pflanzlicher Kost und Bewegung käme hingegen nicht nur dem Schutz der eigenen Gesundheit zugute, sondern auch der Umwelt. Den Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen wird hier künftig die wichtige Funktion zukommen, den Österreicher:innen die Co-Benefits eines präventiven Lebenswandels aufzuzeigen und sie bei der Umstellung ihres Lifestyles zu unterstützen.
Bei allem Erfolg der auf Konferenzen im In- und Ausland viel beklatschten „Big Five“ ist deshalb auch klar: Klimaschutz ist Gesundheitsschutz, Gesundheitsschutz aber auch Klimaschutz. Einer der größten Hebel ist dabei der oft eingeforderte, aber noch wenig realisierte Paradigmenwechsel vom vorherrschenden, auf Krankenbehandlung fokussierten System hin zu einem präventionsorientierten, gesundheitsfördernden.
Gesunder Planet
Im Rahmen der Gesundheitsreform haben Bund, Länder und Sozialversicherung für gesundheitspolitische Maßnahmen und Investitionen in Prävention und Gesundheitsförderung 60 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich zur Verfügung gestellt.Reichen wird das wohl kaum, erreichen lässt sich aber einiges. Denn „gesündere Menschen brauchen einfach weniger Gesundheitsleistungen, Arzneimittel und Medizinprodukte“, sagt Ruperta Lichtenecker. „Jede einzelne Gesundheitsleistung, die nicht erbracht werden muss, reduziert den ökologischen Fußabdruck der Branche und stärkt die Lebensqualität.“
Text: Daniela Schuster