EXTRA Innovation

„Innovation heißt: Die Regeln ändern sich“

Wie sich die Arbeitswelt wandelt. Was Sie lernen und was Sie verlernen müssen. Und warum geschickte Innovationsmanager:innen die Gewinner von morgen sind. – Ein Gespräch mit Sven Gábor Jánszky, Leiter des größten Zukunftsinstituts in Europa.

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profil Extra: Herr Jánszky, das ist ein Notfall! Morgen ist Vorstandssitzung, man erwartet von mir strategische Entscheidungen. Aber ich habe komplett die Orientierung verloren, welche Innovationen zukunftsträchtig und welche nur ein kurzlebiger Hype sind. Was tun?
SVEN GÁBOR JÁNSZKY: Melden Sie sich krank. Es gibt niemanden, der Ihr Problem in 24 Stunden lösen kann.

Entwarnung: Tatsächlich habe ich weder eine Vorstandssitzung noch im Konzern etwas zu sagen. Aber den Verdacht, dass Sie Fragen wie diese häufig hören?
Ja, und ich lehne Einladungen zu eintägigen Workshops grundsätzlich wegen Sinnlosigkeit ab. Aber wir haben 2023 eine Studie zum Thema gemacht, die Erschreckendes zum Vorschein bringt. 98 Prozent der deutschen Unternehmerinnen und Unternehmer finden ein klares Zukunftsbild wichtig. 88 Prozent bekennen: Mein Unternehmen hat keines.

Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen“, heißt es in einem Zitat, das u. a. George Bernard Shaw zugeschrieben wird. Sind sie heute umso schwieriger, weil aktuelle Innovationen so disruptiv sind?
Gar nicht mal so. Wir haben 2018 auf Basis unserer empirischen Daten ziemlich präzise die Entwicklung neuer KIs wie ChatGPT vorausgesagt. Überrascht hat uns nur, dass es länger gedauert hat als wir dachten.

Nach-vorn-Denker

Der Autor und Redner Sven Gábor Jánszky (50) war als Jugendlicher Schachmeister, wurde mit 23 der jüngste Nachrichtenchef der ARD und leitet heute 2b AHEAD, Europas größtes Zukunftsforschungsinstitut. 

Aber jeden Tag wird doch eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Wer sagt mir, auf welchen Trend ich setzen muss?
Wissenschaftliche Methoden. Wir machen es so: Als erstes definieren wir 20 Triebkräfte, die über die Zukunft der jeweiligen Branche entscheiden. In der Automobilbranche wären das zum Beispiel Akteure wie Volkswagen oder Tesla oder die chinesischen Regulierungsbehörden. Mit jeder Aktionsgruppe führen wir mehrstündige, in die Tiefe gehende Interviews. Dann konfrontieren wir jede:n Entscheider:in mit den Prognosen der 19 anderen. Und so entsteht nach und nach ein immer präziseres Bild für die kommenden fünf oder zehn Jahre.

Wie sieht denn beispielsweise das Zukunftsbild der Auto-Branche aus? 
In den Städten wird der Individualverkehr durch autonome Gratis-Taxis abgelöst, die sich mit On-Board-Werbung finanzieren. In San Francisco oder Shenzhen wird das in fünf Jahren der Fall sein, in Wien in 15.

Klingt wie Science Fiction.
Wir denken uns das nicht aus, sondern nützen standardisierte wissenschaftliche Methoden, die auf nachvollziehbaren Daten beruhen.

Also wie Meteorologen, die die Wetterdaten interpretieren …
Nur dass unser Zeithorizont für seriöse Voraussagen fünf bis zehn Jahre beträgt, nicht drei Tage.

Einer Ihrer meistgebuchten Vorträge dreht sich darum, wie Unternehmen diese Zukunftsszenarien zu ihrem Vorteil nützen (können). Warum ist „Innovationsmanagement“ so wichtig?
Damit Sie nicht in das Dilemma Ihrer Einstiegsfrage geraten. Innovationsmanagement heißt: Ich monitore und bewerte systematisch, fokussiert und professionell die Triebkräfte inner- und außerhalb meiner Branche, und zwar permanent. Neue Technologien, die mein Geschäftsfeld betreffen, teile ich in drei Gruppen ein: Watch, Prepare und Act. Gruppe eins behalte ich im Auge, Gruppe zwei wird innerhalb der nächsten drei Jahre wichtig für mich, Gruppe drei muss ich auf der Stelle implementieren.  

Lässt sich hinbiegen: 
Flexible Batterien für Wearables zählen für das WEF zu den Top-Tech-Trends des Jahres. 

In Ihrem Vortrag sagen Sie auch, dass künftig andere Keyplayer als bisher an den entscheidenden Hebeln sitzen werden. Wer trifft in den Unternehmen von 2030 die Entscheidungen?
Die gute Nachricht: Menschen. Wichtige unternehmerische Entscheidungen werden auch 2030 oder 2035 noch ausschließlich von Menschen getroffen werden. Allerdings …

Allerdings …?
Allerdings wird keine wesentliche Entscheidung mehr ohne die Hilfe von KI getroffen. Die Entscheider:innen von morgen werden Teil humandigitaler Teams sein, sie werden im täglichen Austausch mit einer oder mehreren KIs stehen. Dafür braucht es auch neue Köpfe: Die CEOs werden künftig aus der IT- oder Entwicklungsabteilung rekrutiert, nicht mehr aus Finance oder Recht. Und alle, die eine Beratungs- oder Informationsfunktion für Vorstand oder Geschäftsführer haben, reporten keiner Person mehr, sondern deren KI.

„Freuen wir uns auf die Zukunft! Neue medizinische Technologien werden uns länger leben lassen, Kernfusion wird mehr Energie erzeugen, als wir verbrauchen.“ 
 

Sven Gábor Jánszky, Zukunftsforscher

Was heißt das für alle, die heute im Berufsleben stehen oder neu einsteigen?
Erstens, nütze alle verfügbaren KI-Tools, die es für deine Branche gibt. Zweitens, konzentriere dich auf die Bereiche deiner Tätigkeit, die du besser kannst als eine KI – es werden nicht viele sein. Und drittens: Bereite dich auf den nächsten großen Wirtschaftstrend vor, die Bot-Economy.

Die Bot-Economy?
Damit sind Cognitive Agents gemeint, also Künstliche Intelligenz, die mit Künstlicher Intelligenz Geschäfte macht – Systeme, die zum Beispiel selbstständig den Kühlschrank nachfüllen, Medikamente nachbestellen oder einen Arzttermin aufgrund des erhöhten Blutdrucks ausmachen. Ein Riesenmarkt.

Sie sagen auch, dass das Expertentum ausgedient hat. 
Experten definieren sich dadurch, dass sie die Regeln einer bestimmten Disziplin besser kennen als andere. Aber es sind ja die Regeln der Vergangenheit. Und Innovation heißt: Die Regeln ändern sich. Was gestern galt, stimmt heute nicht mehr. Darum ist die wichtigste Eigenschaft der Führungskräfte von morgen Anpassungsfähigkeit. Nur wer seine Denk- und Verhaltensmuster regelmäßig neu kalibriert, wird in Zukunft Menschen führen können. Alle anderen sind fehl am Platz.

Ein Beispiel für neue Denkmuster: Sie sind ein leidenschaftlicher Feind des Brainstormens …
Weil sich dabei immer nur die Lauten, Selbstbewussten durchsetzen. Weil wir heute fürs Entscheiden Daten brauchen, kein Bauchgefühl. Und generell: Wie sollen denn ohne ein klares Zukunftsbild mutige, visionäre Ideen entstehen, die mehr sind als nur eine sanfte Optimierung der Gegenwart?

Kerosin wird grün: Fliegen wir künftig mit klimafreundlichen Bio-Treibstoffen?

Brauchen wir mehr Aufbruchsstimmung, mehr Utopien?
Eigentlich sollte es ein eigenes Schulfach für Zukunftsbildung geben. Wir können heute über Social Media mit den klügsten Köpfen der Welt direkten Kontakt aufnehmen – und gleich in ihr Business investieren, wenn sie uns überzeugen. Wir hätten so viel, auf das wir uns freuen dürfen: Quantencomputer, Blockchain-Wertsteigerung, neue medizinische Technologien, die uns länger leben lassen. Und wir werden 2040 endlich die Kernfusion zähmen und mehr Energie produzieren, als wir je verbrauchen können.

Viele Innovationen haben aber auch große moralische oder soziale Konsequenzen. Brauchen nicht nur Unternehmen Innovationsmanager:innen, sondern auch Politik und Gesellschaft?
Am Beginn unseres Gesprächs habe ich erwähnt, dass 88 Prozent der Unternehmen kein klares Zukunftsbild haben. Ich fürchte, in der Politik sind es 98 Prozent. Niemand hat dort ein Szenario, wohin sich unsere Welt entwickelt und welche Weichen wir heute stellen müssen. Warum? Weil der typische Wähler, die typische Wählerin keine Veränderungen mag.

Vom ganz Großen ins ganz Kleine: Sollten wir alle unsere eigenen Innovationsmanager:innen werden?
Davon bin ich überzeugt! Wir sollten unsere persönlichen Entwicklungsziele kennen – Karriere, Geld, Gesundheit, Beziehungen. Die Faktoren definieren, die wir beeinflussen können. Und gleich morgen unsere persönlichen Fünf- oder Zehn-Jahres-Pläne angehen. 

Interview: Alexander Lisetz

Die 10 Technologien des Jahres

Welche Trends sollte man im Auge behalten? Das World Economic Forum (WEF) kürte in seinem Flagship Report 2023 die „Top 10 Emerging Technologies“.


Flexible Batterien: Vom zusammenrollbaren Computerscreen bis zur smarten Bekleidung: Akkus werden flexibel.

Generative KI: Nach Text und Bildern kreiert KI als nächstes Medikamente, Maschinen und Gebäude. 

Bakteriophagen: Künstlich designte Bakterien könnten die neue Waffe gegen Infektionen werden.

Metaverse für seelische Gesundheit: Virtuelle Shared Spaces sollen mit Hilfe von Augmented Reality Einsamkeit und Depressionen bekämpfen.

Mikrosensoren für Pflanzen: Winzige Datensammler geben in der Landwirtschaft wertvolles Feedback zu Erntereife, Schädlingsbefall und Co.  

Spacial Omics: Die neue Disziplin „Räumliche Biologie“ untersucht biologische Prozesse auf Molekularebene.

Neurale Elektronik: Revolutionäre Mikro-Implantate entfalten ihre therapeutische Wirkung direkt im Gehirn.

Nachhaltiges Computing: Neue Datencenter kommen ohne Energieverschwendung und schädliche Emissionen aus.

KI-gesteuerte Gesundheitssysteme: Künstliche Intelligenz soll die Effizienz von Ärzt:innen und Spitälern verbessern.

Nachhaltiger Flugzeugtreibstoff: Der Flugverkehr verursacht 2–3   Prozent der CO2-Belastung. Treibstoff auf Pflanzenbasis könnte den Fußabdruck reduzieren.


Die „Top 10 Emerging Technologies 2024“ werden am 4. September im Rahmen eines virtuellen Community Meetings auf weforum.org präsentiert.