Mit himmlischer Hilfe
Sie sind die „Augen der Erde“
Satelliten verraten uns nicht nur, wo wir uns gerade befinden oder wie das Wetter morgen wird. Während sie um die Erde kreisen, liefern sie nonstop Informationen in Form von Bildern oder auch Radardaten – etwa über die Zusammensetzung der Atmosphäre und die Luftqualität, über die Hebung, Senkung, Versiegelung, Temperatur und Feuchtigkeit des Bodens, über den Sauerstoff- und Säuregehalt von Gewässern oder über Pegelstände. So warnen die Trabanten etwa vor Flut-, Waldbrand- und Dürrekatastrophen. Mehr als die Hälfte der 50 von der UNO ermittelten Indikatoren für die Beobachtung des Klimawandels werden zurzeit via Satellitenbildern bereitgestellt. Auch Veränderungen beim Mobilitätsverhalten, der Vegetation oder Biodiversität können kartiert und klassifiziert werden, um zum Beispiel Ernteerträge und -schäden zu erfassen oder welche Flächen von Borkenkäfern befallen sind. Allein die Missionen der NASA werden 2024 eine Viertelmillion Terabyte an Daten generieren – 25.000-mal so viel wie in sämtlichen Druckwerken der Bibliothek des US-Kongresses stecken. Und Copernicus, das EU-Erdbeobachtungsprogramm, in das Österreich jährlich ca. 30 Millionen Euro investiert, liefert mit seinen Sentinel-Satelliten sowie boden-, luft- und seegestützten Messsystemen 20 Terabyte. Und das täglich.
Den Datenschatz heben
Die Copernicus-Informationsdienste sind für jede:n größtenteils kostenlos und offen zugänglich. In Österreich sind sie etwa über das Earth Observation Data Centre (EODC) abrufbar. National werden sie in der Grundlagenforschung und für universitäre Projekte bereits vielfach verwendet. Aber auch von Unternehmen und Institutionen. Die AgrarMarkt Austria (AMA) setzt zum Beispiel auf Flächenmonitoring auf Basis von Satellitenbildern und mittels KI. Automatisiert statt mit Vor-Ort-Kontrollen wird u. a. geprüft, ob die beantragte, geförderte landwirtschaftliche Nutzung auch umgesetzt wurde. Und bei der Generali Versicherung fließen Erdbeobachtungsdaten in Modelle zur Risikobewertung für Naturkatastrophen ein. „Weltraumtechnologie und -daten sind ganz wesentliche Instrumente, um gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimawandel, Mobilität und Energiesicherheit anzugehen. Die europäische Weltrauminfrastruktur liefert wichtige Innovationsquellen und bietet ein breites Potenzial für neue Geschäftsmöglichkeiten“, so Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. Der Weltmarkt für Erdbeobachtung dürfte sich laut Marketsandmarkets verdoppeln und auf 119,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2027 wachsen. Mit 22 Prozent sind Klima und Umwelt in Europa der wichtigste Sektor, es folgen Landwirtschaft, Stadtentwicklung, Energie und Versicherungen mit je zehn bis 13 Prozent.
Während die Aufmerksamkeit der Privatwirtschaft für das Potenzial der standardisierten, flächendeckend verfügbaren Daten der Sentinel-Satelliten, die alle drei bis fünf Tage über Österreich kreisen, beständig wächst, hinken die Kommunen noch hinterher. Dabei könnten die Daten auch und gerade für urbane Use Cases genutzt werden – um Städte innovativer, sicherer, lebenswerter und vor allem klimawandelfit zu machen. Vielen Entscheidungsträger:innen fehlt jedoch schlicht das Wissen über die Verfügbarkeit der Daten oder welche ihrer Fragen sich damit beantworten ließen. Michael Bühler, Professor an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Konstanz, befand Ende 2021 zudem, dass „es keine praxistauglichen Werkzeuge für die Stadtplanung gibt, mit denen Fernerkundungs- mit lokalen Daten sinnvoll kombiniert und in Planungsprozessen angewendet werden können.“
Um das zu ändern und den Datenschatz zu heben, entstehen derzeit weltweit passende „Schaufeln“. 2022 wurde etwa das deutsche „Copernicus Netzwerkbüro Kommunal“ gegründet, das untersucht, welchen Beitrag die Fernerkundung zur Unterstützung der kommunalen Ebene leisten kann. Und in Österreich baut die Klima- und Innovationsagentur UIV Urban Innovation Vienna, ein Unternehmen der Wien Holding, den Vienna Geospace Hub auf.
Seit Herbst 2023 treibt das Innovationslabor – im Auftrag der Stadt Wien und von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) gefördert – die Verschränkung von Geo- und Satellitendaten und KI-Modellen voran. Das primäre Ziel: Entscheidungsträger:innen datenbasierte Grundlagen für Klimaanpassungen in der Metropole und anderen Kommunen Österreichs zu liefern. Mit im sechsköpfigen, interdisziplinären Team des Hubs: Kommunikationswissenschaftlerin Marie-Luise Bruckner und Politologe Marcel Simoner. profil Extra sprach mit ihnen über ihre Arbeit.
profil Extra: Was ist das Ziel des Hubs?
Marcel Simoner: Die Innovation, die wir im Kopf haben, ist explizit darauf ausgerichtet, Verwaltungs-, Monitoring- oder Planungsprozesse neu zu denken und mit Datenquellen aus der Erdbeobachtung anzureichern. Dafür schafft der Hub einen Experimentierraum. In ihm kann die Verwaltung gemeinsam mit der Wissenschaft und Unternehmen an der bedarfs- und nutzer:innenorientierten Entwicklung innovativer Produkte und Services arbeiten. Wir moderieren auf der Anwender:innenseite, identifizieren Use Cases und bringen danach Projekte auf den Weg.
Botschafter:innen für Satellitendaten
Marie-Luise Bruckner und Marcel Simoner sind Teil des sechsköpfigen, interdisziplinären Teams des Vienna Geospace Hub.
Wie sieht die Arbeit im Hub aus?
Marie-Luise Bruckner: Der Hub ist in erster Linie Botschafter für das Thema Satellitendaten, die – in höherer zeitlicher und räumlicher Auflösung als andere Geoinformationsdaten (GIS) – Aussagen über eine Stadt oder Region liefern. Wir kommunizieren aber nicht nur die Potenziale. Unser Job ist der strukturierte Abgleich der Anwender:innenbedürfnisse mit den Möglichkeiten der unterschiedlichsten Satelliten- und damit verschneidbaren GIS-Daten. Wir helfen beim Durchdenken von Fragen wie: Was ist oder könnte der Anwendungsfall sein? Welche Vorerkenntnisse gibt es schon zur Problemstellung und wo? Welche Datensätze wären zur Lösung anwendbar? In der Folge unterstützen wir dabei, die erforderlichen Daten gezielt via Formular beim Earth Observation Data Centre anzufordern. Denn man muss schon sehr genau wissen, was man braucht.
Simoner: Wir bauen zudem eine Community of Practice auf, die Anwender:innen mit Lösungsanbieter:innen und Wissenschaftler:innen vernetzt und Bedarfs- und Angebotsträger:innen bündelt.
Gibt es bereits erste konkrete Projekte?
Simoner: In Wien wird gerade eine neue U-Bahn gebaut. Darüber stehen Häuser, die sich durch Tunnelbohrungen heben oder senken können. Eines der ersten Labprojekte – Start war im Mai – prüft, ob sich Gebäudebewegungen im Testgebiet hinter dem Wiener Rathaus auch mit Radardaten von Satelliten nachvollziehen lassen. Die Frage ist, ob sie ähnlich gut sind wie die Messungen auf Bodenhöhe, die aktuell durchgeführt werden. Wenn wir via All das Gleiche sehen, haben wir die Möglichkeit, den Überwachungsprozess künftig ganz anders zu gestalten.
Bruckner: Gebäude müssten dann nicht mehr stichprobenweise vermessen werden, sondern man hätte ein Monitoring- bzw. Ampelsystem, das man über den Stadtplan legt. Wo sich etwas bewegt, könnte man gezielt Vermessungsteams hinschicken. Da man zudem auf historische Daten zugreifen kann, wüsste man auch, ob sich ein Bauwerk tatsächlich zum Beispiel wegen einer Tunnelbohrung bewegt hat oder schon davor aus anderen Gründen. Als Nächstes könnte man sich Fahrbahnen oder Brücken ansehen.
Welche kommunalen, nachhaltigen Use Cases wären noch denkbar?
Simoner: Es wäre etwa möglich, die via All gemessene Wasserverdunstung von „schwitzenden“ Stadtbäumen durch eine gezieltere Bewässerung auszugleichen, um ihre Gesundheit zu erhalten. Ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen urbane Hitzeinseln, die durch die Transpiration der Bäume gekühlt werden. Solche Hitzeinseln lassen sich ebenfalls anhand von Satellitendaten identifizieren und dann entschärfen, genauso wie Wohngebiete mit thermischem Sanierungsbedarf. Denkbar wäre auch, mittels Radardaten illegal abgelagerte metallische Gegenstände wie Elektrogeräte aufzuspüren und dann ein Entsorgungsteam zu entsenden.
Bruckner: Grundsätzlich sind alle Use Cases denkbar, bei denen man durch den Blick von oben Erkenntnisse gewinnen kann – von der Erhebung des Solarflächenpotenzials für einen gezielten PV-Ausbau über die Auslastung von Autostellplätzen bis hin zu Schwerverkehrszählungen. Statt Stichprobenzählungen vor Ort vorzunehmen, wertet man die Satellitendaten eines Straßenabschnitts über einen längeren Zeitraum aus. Bei den frei verfügbaren Daten gibt es übrigens kein Datenschutzthema, weil die Bilder nicht hoch genug aufgelöst sind.
Also alles machen, was möglich wäre?
Simoner: Wir wollen nicht auf Zwang Satellitendaten verwenden, sondern sie dort einsetzen, wo sie einen Mehrwert und gute, günstige Lösungen bringen – in Kombination mit anderen GIS-Daten. Im Hub machen wir für unsere Projekte auch eine betriebswirtschaftliche Betrachtung, denken in der Pilotierung kleinteilig und gehen dann in die Breite. Fakt ist aber: Mobile Mapping liefert für Wien nur alle drei Jahre flächendeckende Infos, via All weiß man einfach taggenau mehr über seine Stadt. Man kann zudem in die Vergangenheit schauen oder auch in die Zukunft. So lassen sich etwa Mikromodelle modellieren, die vorhersagen, wo es in den nächsten Tagen in einem Straßenzug besonders heiß oder auch kalt wird und kann vorausschauend agieren.
Das Hub-Projekt läuft bis Herbst 2028. Was will man bis dahin erreichen?
Simoner: Wir werden einen bunten Strauß von Use Cases für die österreichische Verwaltung und Wirtschaft identifiziert, pilotiert und skaliert und hoffentlich den Innovationsmotor für die Nutzung der Erdbeobachtungsdaten nachhaltig angeworfen haben. Ich sehe dafür derzeit ein gutes Fenster. Viele potenzielle Anwender:innen haben inzwischen ein Grundverständnis für die Leistungen der KI. Damit sinkt die Scheu, auch auf große Datenberge zuzugreifen.
Eine neue Sentinel-Generation steht quasi schon auf der Startrampe …
Bruckner: … und sie wird aufgrund technologischer Entwicklungssprünge Daten und Datenmengen liefern, die wir noch nicht mal erahnen. Wir müssen jetzt die Infrastruktur aufbauen, um dann die „richtigen“ Fragen an die tausenden Datenpunkte stellen zu können – für neue Erkenntnisse und daraus resultierende Innovationen. Die Möglichkeiten sind fast so unendlich wie das Weltall selbst.
Text: Daniela Schuster