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Jobsuche: Wenn eine KI über Zusage oder Absage entscheidet

Wenn der Personalchef eine Künstliche Intelligenz ist: Worauf sie achtet, wie man bei ihr punktet, wie viel sie mit "The Voice of Germany" gemeinsam hat und was sie Feuerwehrmännern rät? Einblicke für Jobsuchende.

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Liebes Team? Hallo Leute? Geschätzte Damen und Herren? Wer heute Bewerbungsschreiben verfasst, hat schon in der ersten Zeile Angst, falsch abzubiegen. In Zukunft könnte "Sehr geehrte KI!" die passendere Grußformel sein. Denn schon jetzt setzen die Hälfte der deutschen Personalvermittler und 20 Prozent der HR-Abteilungen auf KI-Unterstützung beim Recruiting. In Japan und den USA ist "Robot Recruiting" noch verbreiteter: Hier redet die KI schon in mehr als der Hälfte der Unternehmen bei der Personalsuche mit. "In Österreich und in Europa stehen wir erst ganz am Anfang", sagt Philipp Wissgott vom Wiener KI-Startup danube.ai, "Aber der Bedarf wächst enorm."

Eine gruselige Black-Mirror-Vision? Nein, eine gute Nachricht für alle Beteiligten-wenn wirklich durchdachte KIs zum Einsatz kommen und wenn die Gesetzgebung mit den technologischen Entwicklungen Schritt hält. Fakt ist jetzt schon: Die Bewerbung, die wir an ein Unternehmen senden, wird immer seltener von einer Sachbearbeiterin aus Fleisch und Blut bearbeitet. Und immer häufiger von einer aus Bits und Bytes. Also von einer Künstlichen Intelligenz, die darauf programmiert ist, die geeignetste Person an die passende Werkbank zu stellen oder auf den richtigen Bürostuhl zu setzen.

Trüffelsuche im Internet 

Wenn wir uns heute bei einem Unternehmen bewerben, unsere Qualifikationen online stellen oder eine Jobanzeige beantworten, begegnet uns die KI in verschiedenen Formen. Die häufigste Version: Eine KI übernimmt für die Personalabteilung oder das Recruiting-Büro die zeitintensive Arbeit des Sichtens der Bewerbungen. "Wenn wir bei unseren Personalsuchen passende Kandidat:innen vergleichen, reden wir von riesigen Datensätzen. Im Vergleich zur, manuellen' Suche spart die für uns entwickelte KI-Lösung enorm viel Zeit",sagt Johannes Mühleder vom Personalmanagement Lindlpower.

Eine KI-Software-wie die von ihm eingesetzte romagnolo.ai (benannt nach einer Hunderasse, die Trüffel sucht)-analysiert automatisch Lebenslauf und Bewerbungsunterlagen. Dabei gleicht sie die Daten mit den Anforderungen für die offene Stelle ab.

Eine Recruiting-KI kann aber auch selbstständig auf Talentesuche gehen und sich rund um die Uhr und ohne Kaffeepause auf LinkedIn oder den gängigen Jobplattformen umsehen. Wo nötig, nimmt die KI die Form eines Chatbots an. Sie agiert dann zum Beispiel als Karriereberater wie beim AMS Berufsinfomat oder führt den User auf einer Website durch den Bewerbungsprozess-der Personaldienstleister Trenkwalder sammelte damit schon 2017 erste Erfahrungen.

Sogar Bewerbungsgespräche sind für die Recruiting Robots technisch kein Problem mehr. In der Realität sind sie im deutschsprachigen Raum aber vorerst noch kein Thema. Und das aus gutem Grund: Eine geschickte KI sollte die HR-Abteilung unterstützen und nicht ersetzen.

"Künstliche Intelligenz ist heute auf dem gleichen Stand wie Navigationssysteme vor 30 Jahren",sagt Peter Kolb, "Ja, sie macht Fehler. Ja, sie ist nicht perfekt. Aber jede KI da draußen macht ihren Job besser als der Mensch."

Kolb ist CEO des Softwareentwicklers LogOn und so etwas wie der deutschsprachige Pionier des intelligenten KI-Recruitings. Als er 2007 mit der Entwicklung begann, gingen ihm zwei Dinge fürchterlich auf die Nerven. "Dass Recruiter:innen den Großteil ihrer Arbeitszeit mit dem Lesen von Lebensläufen verschwenden statt mit Menschen zu reden. Und dass wir Menschen so eine riesige Fehlerquote beim Treffen von Entscheidungen haben."

KI statt Vitamin B 

Die Zahlen, die er vorlegt, sprechen wirklich nicht für die rationale Vernunft des Homo sapiens bei der Besetzung von offenen Stellen. 40 Prozent aller Einstellungen scheitern, 25 Prozent aller Auszubildenden brechen die Ausbildung im ersten Lernjahr ab. "KI spart wahnsinnig viel Zeit, ist unvoreingenommen und bringt mehr Diversity in die Teams",sagt Peter Kolb. "Sie ist nicht nur für die Unternehmen ein Gewinn, sondern vor allem für die Jobsuchenden-weil nicht mehr Seilschaften oder Vorurteile zählen, sondern das Talent."

Wie Ihre Bewerbung eine KI überzeugt

Unterlagen gut strukturieren

So kann die KI die Infos am leichtesten einordnen.

Keywords nützen

Viele KIs reihen die Bewerber:innen nach der Anzahl der Übereinstimmungen mit der Stellenanzeige.

Vollständige Informationen liefern

Die KI verarbeitet nur die Daten, die man ihr zur Verfügung stellt-daher nicht auf Ferialjobs oder Zusatzqualifikationen vergessen!

Soft Skills anführen

Am besten durch Beispiele untermauert. Besser "Ehrenamtlicher Senioren-Betreuer" anführen als "sozial engagiert".

Priorisieren oder weglassen

Ist "Hobby: Gärtnern" gleich wichtig wie "Spricht vier Sprachen perfekt"?Das kann nicht jede KI auseinanderhalten.

Mit verbundenen Augen 

Dass die KIs von heute so schlau sind, verdanken sie übrigens den New Yorker Philharmonikern.

Ganz wie ihr Wiener Pendant beim Neujahrskonzert war auch das klassische Orchester von Weltruhm einst ein reiner Männerbund. Bis zur Einführung von Blind Auditions. Als es nur noch ums reine Können ging, schnellte der Fraueneinteil auf 35 Prozent, wies die Schweizer Verhaltensökonomin und Harvard-Professorin Iris Bohnet in einer aufsehenerregenden Studie nach. Mit der Erkenntnis inspirierte sie nicht nur die erfolgreiche TV-Show "The Voice of Germany", die auf dem gleichen Konzept beruht. Sondern auch die KI-Entwicklung. "Eine gute KI sucht unvoreingenommen nach den besten Köpfen", sagt Peter Kolb. "Name, Geschlecht oder Herkunft spielen keine Rolle."

Wer Kevin oder Chantal heißt, im Ausland geboren wurde oder das "falsche" Geschlecht für die Branche hat, profitiert davon. Und kann sich im Bewerbungsschreiben auf seine Stärken verlassen-am besten klar strukturiert und nach Prioritäten gereiht, denn so fällt der KI das Verdauen der Informationen am leichtesten.

Nur schlechte KIs sind Sexisten

Doch woher kommen dann die Schauergeschichten über sexistisch gepolte Chauvi-KIs oder rassistisch entgleiste Bots? Meistens hat das mit einer Eigenschaft zu tun, die typisch für KIs ist: Künstliche Intelligenzen haben unglaubliche "Angst" davor, Fehler zu machen. Ob ein Bewerber oder eine Bewerberin für eine Stelle geeignet ist, leiten sie oft vom Status quo ab. Ist die IT-Abteilung rein männlich besetzt (und die KI nicht darauf programmiert, das Geschlecht außer Acht zu lassen),leitet sie daraus ab, dass auch die neue Stelle mit einem Mann besetzt werden sollte. Sie empfiehlt daher, allen Frauen eine Absage zu schicken. Oder allen, die keine Brille tragen oder kein Star-Wars-T-Shirt im Schrank haben-sofern sie Zugriff auf die entsprechenden Daten hat und nicht entsprechend gewartet und kontrolliert wird.

Die KI ist der beste Karriere-Coach

"Die Kunst liegt darin, der KI beizubringen, nicht den Durchschnitt zu finden, sondern den statistischen Ausreißer, die Exzellenz", sagt Philipp Wissgott. Mit seinem Start-up danube.ai hat er fünf Jahre lang an einem Programm gearbeitet, das Recruiter:innen wirklichen Nutzen bringt. Wie Peter Kolb von LogOn sieht auch er die Stärke von KI darin, Muster zu erkennen. "Mit einer Tiefenpotenzialanalyse erhebst du die wirklich wichtigen Daten: Wie viele Skills hat sich jemand in welchem Zeitraum angeeignet? Wie oft hat er den Arbeitsplatz gewechselt? Welche Lücken hat er im Lebenslauf? Und was sagen seine Hobbys oder Zusatzqualifikationen über ihn aus?"

Auf Basis dieser Daten kann die KI Querverbindungen ziehen, auf die der Jobsuchende vielleicht selbst gar nicht gekommen wäre. Wer seine Stärken und Schwächen wahrheitsgemäß und vollständig mit der KI teilt, bekommt dadurch womöglich ein paar spannende Erkenntnisse.

"Angenommen, ein Unternehmen sucht einen Dachdecker",bringt Philipp Wissgott ein Beispiel, "doch aufgrund des Fachkräftemangels ist keiner zu finden. Unter den Bewerbern ist aber jemand, der sich bei der Freiwilligen Feuerwehr engagiert. Also jemand, der gern an der frischen Luft ist und keine Höhenangst hat. Nun schlägt ihm die KI vor:, Möchtest du nicht vielleicht eine Ausbildung zum Dachdecker machen?'"

Peter Kolb erklärt diese Denkweise einer KI mit einem ähnlichen Beispiel: Bei ihm ist es ein potenzieller Neurochirurg, der einstweilen noch in einem Schwarzwälder Uhrmacher steckt. Was die KI hier leistet, nennt er "Intuition, die aus Daten entsteht".

Designt für eine neue Arbeitswelt 

Es gibt aber noch einen Grund, warum bis Ende dieses Jahres 80 Prozent der Global-2000-Unternehmen Künstliche Intelligenz für die Einstellung neuer Talente einsetzen werden, zumindest laut der IDC-Studie "Future of Work 2022".Dieser Grund ist die Entwicklung des Arbeitsmarkts. "Die Anforderungen verändern sich so schnell, dass mein Enkel in seinem Leben zehn komplett verschiedene Berufe ausüben wird",sagt Peter Kolb. "Das bedeutet nicht nur zehnmal so viel Arbeit für die HR-Abteilungen. Sondern auch völlig veränderte Anforderungen an neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter."

Was für die Zukunft nötig ist, erkennt Robot Recruiting nicht nur präziser als menschliche Expert:innen. Es belohnt bereits jetzt alle, die schon mit den Skills von morgen ausgestattet sind: also mit Basis-Eigenschaften wie Teamgeist, Begeisterungsfähigkeit und Lernbereitschaft. Fachliche Qualifikationen? Kann man immer noch nachlernen und nachschulen, wenn das Gesamtpaket passt.

Doch sind wir überhaupt schon bereit für diesen Kulturwandel? Ja, wenn wir offen für die neuen Chancen sind. Helfen soll dabei auch die neue KI-Servicestelle des zuständigen Ministeriums. "Die Unternehmen sollen wissen, was rechtlich möglich ist-und was nicht",so Digitalisierungs-Staatssekretär Florian Tursky. "Die Bürgerinnen und Bürger versorgen wir im Rahmen der Digitalen Kompetenzoffensive mit niederschwelligem KI-Wissen. Technologiekompetenz und-offenheit gehen Hand in Hand."

Wie die KI beim Bewerben hilft

Recruiter nützen KI. Unternehmen nützen KI. Job-Plattformen nützen KI. Warum also nicht auch als Bewerber:in KI-Tools als Helferlein beschäftigen? In diesen drei Phasen des Bewerbungsprozesses bringen sie den größten Nutzen:

  • Bei der Jobsuche 
    Die KI-Tools der Jobplattformen helfen gezielt beim Finden passender Stellen. Bei LinkedIn z. B. spielt die Funktion "Jobs, die Sie interessieren könnten" passende Vorschläge aus, auch Indeed oder Glassdoor liefern maßgeschneiderte Vorschläge. Wer neu einsteigt oder sich komplett verändern will, kann sich auf Monster Berufe vorschlagen lassen, die zum Persönlichkeitstyp passen. Es gibt Fragen zum künftigen Arbeitgeber und seinen Prioritäten? In immer mehr Unternehmen nehmen sich Chat-Bots rund um die Uhr geduldig Zeit für die Beantwortung.
     
  • Beim Bewerbungsschreiben 
    Zurück am Bewerbermarkt und aus der Übung? KI-unterstützte Lebenslauf-Vorlagen haben etwa LinkedIn, Canva und karriere.at in der Schublade. Beim Inhalt kann ChatGPT soufflieren-man sollte das Ergebnis aber vor dem Absenden gründlich kontrollieren, weil fehlende Infos oft mit dichterischer Freiheit ergänzt werden. Wichtig für Lebenslauf und Anschreiben: gute Prompts. Daher: ausführlich und präzise erklären, wie das Ergebnis aussehen soll und das dazugehörige Stelleninserat in den Prompt kopieren. Wer lieber selbst schreibt, kann das Ergebnis von der KI auf Rechtschreib-und Grammatikfehler prüfen lassen-z. B. mit scribbr.at.
     
  • Vor dem Jobinterview 
    KI ist auch der ideale Coach fürs Bewerbungsgespräch. Als ersten Schritt kann ChatGPT branchentypisch erwartbare Fragen ausspielen, auf die man sich gezielt vorbereiten kann. KI-Tools wie Huru, Interviewer.ai oder Interview Warmup von Google gehen noch tiefer: Sie helfen individualisiert mit Aufgaben und Feedback, die stressige Interviewsituation gelassener zu meistern und die eigenen Stärken souveräner auszuspielen. Besonders lebensnah wird's mit Rollenspielsimulationen wie etwa bei InterviewIgniter: Hier bereiten interaktive Übungen auf jede mögliche Gesprächswendung vor.

Was das Gesetz sagt

Der AI Act der EU und die DSGVO regeln den Umgang mit KI-Systemen, die gezielt fürs Recruiting entwickelt wurden. Als sogenannte Hochrisiko-KI-Systeme haben derartige Tools erhöhte Mindestanforderungen an Qualität und Transparenz. Die ausschließlich automatisierte Entscheidungsfindung durch eine KI ist verboten, eine von Software unterstützte Vorselektion erlaubt. Zusätzlich wird eine verständlich formulierte Datenschutzerklärung und eine Löschung der erhobenen Daten nach spätestens sechs Monaten verlangt. Im nächsten Schritt soll Arbeitgeber:innen die Erkennung menschlicher Emotionen mit Hilfe von KI-Tools verboten werden.

Von Alexander Lisetz