Grüner Wohnen
In den 1950er-Jahren galten Kacheln in Pastelltönen als stylisch. Zwanzig Jahre später schmückten geometrische Muster die Tapeten. Und in den Achtzigern erstickte jedes Zimmer förmlich unter floralen Textilien. Innenarchitektur und Interior Design verändern sich stetig. Sie greifen dabei – ähnlich wie die Mode – auf schon Dagewesenes zurück, beleben es neu und spiegeln in Farb- und Mustertrends auch den Zeitgeist wider.
Nachhaltigkeit ist gefragt
Trüge der Zeitgeist der aktuellen Dekade einen Namen, dann wäre das wohl „Nachhaltigkeit“. Den zunehmend kritischen Konsument:innen geht es nicht mehr nur allein ums schöne(r) Wohnen. Sie möchten zu Hause auch grüner leben. Laut einer Studie der Unternehmensberatung PwC stellte bereits 2016 für knapp drei Viertel der Deutschen Nachhaltigkeit beim Möbelkauf ein wichtiges Kriterium dar. Österreich hinkt noch etwas hinterher. Doch eine Mitte 2021 im Auftrag des Handelsverbands Österreich durchgeführte Umfrage ergab, dass auch hierzulande schon
54 Prozent der Käufer:innen beim Erwerb der Einrichtung auf nachhaltige Produktion achten. Tendenz: steigend. Die Branche hat darauf reagiert. Kleine wie große Möbelketten werben mit Nachhaltigkeitsstrategien. So will zum Beispiel der schwedische Möbelriese Ikea bis 2030 ein Kreislaufunternehmen werden und nur noch erneuerbare oder recycelte Materialien für seine Produkte verwenden.
Schau genau
So erfreulich der „Green Living“-Trend generell ist: „Jeder versucht, auf das Pferd aufspringen. Man muss daher schon wirklich genau hinsehen, wenn man sichergehen will, nachhaltig einzukaufen“, sagt Interior-Expertin Marion Hellweg. Verlässliche Siegel seien dabei hilfreich. Für die Möbelindustrie erteilt diese zum Beispiel die Organisation FSC, die nachhaltige Waldwirtschaft zertifiziert, oder der „Blaue Engel“, der Produkte aus diversen Bereichen auf Nachhaltigkeit prüft.
Marion Hellweg begleitet die Branche schon seit über zwanzig Jahren. Die gelernte Restauratorin und Interiordesignerin war als Chefredakteurin für internationale Wohnzeitschriften tätig und publizierte selbst zahlreiche Bücher. Darunter auch „The Green Life“, einen Guide zu grünerem Wohnen. Erstmals bemerkte Hellweg vor rund 15 Jahren den Einzug des Nachhaltigkeitsbegriffs in die Welt des Interior Designs. „Damals hat man das Thema noch sehr in die Schiene ,Öko‘ gedrängt. Mittlerweile kann man Nachhaltigkeit aber nicht mehr als Trend sehen. Es ist vielmehr ein bewusstes Umdenken, das branchenübergreifend stattfindet.“
Mit den Möbeln alt werden
Wie die Expertin nachhaltiges Interior Design definiert? „Wenn man es runterbricht, ist es am nachhaltigsten, mit seinen Sachen alt zu werden.“ Bewusster Konsum und die sorgfältige Instandhaltung von Einrichtungsgegenständen seien eigentlich der einzig nachhaltige Weg, so Hellweg. Denn allein in den USA sorgen weggeworfene Möbelstücke jährlich für über zehn Millionen Tonnen Müll. Eindämmen ließe sich das durch Recycling oder auch den Kauf von Möbeln aus zweiter Hand. Ersteres ist vor allem Aufgabe der Hersteller, letzteres ist eine Entscheidung der Verbraucher:innen. Und diese scheinen bereits umzudenken. Secondhand-Möbel sind im Aufschwung. Bis 2025 soll der Gebrauchtmöbelmarkt ein Volumen von 16,6 Milliarden US-Dollar erreichen.
„Wenn man es runterbricht, ist es am nachhaltigsten, mit seinen Sachen alt zu werden.“
Auf natürliche Materialien setzen
Und wenn man Altes doch durch etwas Neues ersetzen muss oder sich zum ersten Mal einrichtet und nicht alles aus zweiter Hand zu bekommen ist? „Dann sollte man beim Kauf auf nachhaltige Produktion und natürliche Materialien achten“, sagt Marion Hellweg. Letztere kommen mit einem zusätzlichen Bonus ins Haus: Denn natürliche Materialien wie Bambus, Naturstein, Holz oder auch Kork, Linoleum und Leinen sind nicht nur klimafreundlicher in der Produktion, sie erzeugen auch eine warme Wohnatmosphäre. Vermeiden sollte man hingegen Materialien mit Giften wie Formaldehyd oder flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs). VOCs sind Chemikalien, die bei Raumtemperatur verdampfen und Gase freisetzen. Sie sorgen für eine schlechte Luftqualität und können Gesundheitsprobleme wie Atemwegsbeschwerden, Kopfschmerzen und Übelkeit verursachen.
Giftige Ausdünstungen sind aber nicht das einzige Emissionsproblem. So warnte etwa eine Studie der steirischen Landesinnung der Tischler im Jahr 2019 vor Möbeln vom Discounter. Nach dieser Erhebung soll die CO2-Emission eines durchschnittlichen Industriemöbels aus MDF-Platten 81-mal höher sein als die eines Vollholzmöbels aus regionaler Tischlerfertigung. Schuld daran sind unter anderem die langen Transportwege und die Klebstoffe in den Platten.
Ist das einfach nur Werbung für die Gilde? In einem „WirtschaftsWoche“-Interview betonte Tischler Roman Lechner, dass man genug Arbeit habe und damit Werbung nicht nötig. Er rechnete vor, dass die Nutzungsdauer der größte Hebel sei. „In der Studie wird davon ausgegangen, dass ein Industrieholztisch etwa zehn Jahre genutzt wird, ein Tisch vom Tischler steht im Schnitt 35 Jahre. Da relativiert sich auch die Preissituation. Alles in allem kommt man so auf den Faktor 81. Das ist eine katastrophale Zahl.“ Als Konsequenz forderte er „einen staatlichen Klima-Bonus für Tischlereien und regionale Handwerksbetriebe, die mit kleinem ökologischen Fußabdruck arbeiten.“
Immerhin: Die Möbelindustrie ist sich ihrer Verantwortung für das Klima bewusst. Initiiert durch die Deutsche Gütegemeinschaft Möbel (DGM) startete 2016 ein Klimapakt. Rund 160 deutsche und europäische Hersteller haben sich dem Pakt bereits angeschlossen. Die DGM unterstützt die Unternehmen dabei, CO2-Emissionen zu bilanzieren, zu reduzieren und zu kompensieren, und zertifiziert sie als Teilnehmer des Klimapaktes oder auch als „Klimaneutrale Möbelhersteller“, wenn sie ihre gesamten CO2-Emissionen durch den Erwerb von Klimaschutzzertifikaten ablösen.
Umweltfreundliche Wohnkonzepte
Neben nachhaltiger Produktion, Maßtischlerei und Secondhand- und recycelten Möbeln gelten auch energieeffiziente Infrastrukturen, smarte Technologien oder begrünte Innen- und Außenwände als Trends des grünen Wohnens. LED-Lampen verbrauchen beispielsweise 75 Prozent weniger Energie als herkömmliche Glühbirnen. Auch Solar- und Infrarottechniken sowie smarte Gebäudemanagementsysteme, die Beleuchtung und Temperatur kontrollieren, können zum Energiesparen beitragen und so nachhaltiges Wohnen ermöglichen.
Wer sich ein nachhaltiges Wohnkonzept planen lassen möchte oder nach hochwertigen, klimafreundlich hergestellten Möbeln sucht, wird beispielsweise in der Zollergasse im siebten Wiener Bezirk fündig. Dort hat das Innenarchitekturbüro JOHAN seinen Sitz. 2005 von Dan Badstuber gegründet, bezeichnet sich das Unternehmen als „Österreichs erster Anbieter für nachhaltige Innenarchitektur“. Die Zusammenarbeit mit lokalen Geschäftspartnern, nachhaltige Verpackung und Produktion sowie die Wahl hochqualitativer Materialien sind dabei für JOHAN der Grundstein.
Zeitlos und langlebig
Für Kathrin Zeilinger bedeutet eine nachhaltige Innenarchitektur zudem und vor allem Langlebigkeit. „Entweder ich kaufe sehr zeitlose und damit langlebige Designs oder ich funktioniere sie immer wieder neu um“, so die Geschäftsleiterin des Unternehmens. „Eine Zeit lang hat sich Nachhaltigkeit in unserer Branche eher wie ein Trend angefühlt. Langsam hat man jedoch das Gefühl, dass die Dringlichkeit des Themas in den Köpfen der Leute angekommen ist. Mittlerweile heben wir uns mit dem Thema eigentlich gar nicht mehr unbedingt ab, es scheint im Mainstream angekommen zu sein.“
Der Treiber hinter dem Trend zu klimafreundlicheren Wohnkonzepten ist aber nicht nur wachsendes Umweltbewusstsein, auch Geld spielt eine Rolle. Denn wer auf langlebige Designs und Materialien setzt, steigt langfristig günstiger aus. Secondhand-Möbel, Upcycling oder Do-it-Yourself-Design ermöglichen eine besonders günstige Einrichtung und verursachen weniger CO₂-Emissionen. Die kurz- und auch die langfristigen Trends sowie technologische Innovationen der Branche zeigen: Alle Ampeln stehen auf Grün.
Text: Sophie Ströbitzer