Die Megatrend-Map zeigt die zwölf zentralen Megatrends unserer Zeit. Sie sind die größten Treiber des Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft und prägen unsere Zukunft – nicht nur kurzfristig, sondern auf mittlere bis lange Sicht. Megatrends entfalten ihre Dynamik über Jahrzehnte. Megatrends sind nie linear und eindimensional, sondern vielschichtig und voller gegenläufiger Strömungen.Sie wirken nicht isoliert, sondern beeinflussen einander gegenseitig und verstärken sich so in ihrer Wirkung. Die Map stellt daher auch die Parallelen und Überschneidungen von Megatrends dar. Die einzelnen Stationen einer Megatrend-Linie zeigen die wichtigsten Subtrends, die den Megatrend prägen. Sie verdeutlichen die dynamische Vielfalt, die innerhalb eines Megatrends wirkt.
EXTRA Lebensstil

Wandel im (Lebens-)Wandel

Klimawandel, Krieg, Konjunktureinbruch und nicht zuletzt Corona: An Krisen mangelt es derzeit nicht. Das hat auch einige Visionen verwischt und Trends verändert. Von New Work über Konnektivität bis hin zur Neo-Ökologie: Was prägt unser Leben heute und morgen?

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Einen Zukunftsforscher überrascht das Morgen nicht. Selbst dann nicht, wenn es eigentlich so aussieht wie das Gestern. „Weil wir aus unserer Arbeit wissen, dass sich Menschen und die Art, wie sie leben, wie sie arbeiten, wie sie kommunizieren, wahnsinnig schnell an sich ändernde Umgebungen anpassen können“, erklärt Sven Gabor Janszky. So entwickle sich vieles nach vorne – aber eben auch ganz schnell wieder zurück, sobald sich das Umfeld normalisiert.

Gekommen, um zu bleiben?

Als Beispiel nennt Janszky, Leiter von 2b AHEAD, dem eigenen Angaben zufolge größten wissenschaftlichen Zukunftsforschungsinstitut Europas, das Phänomen Homeoffice: Diese domestizierte Form der Büroarbeit gab es schon vor Corona. Und, ja, es gibt sie noch immer, aber längst nicht mehr in dem Ausmaß wie sie während der Pandemie verbreitet war. Auch andere, damals zu Blockbustern des Wandels hochgejazzte Entwicklungen, blieben nur abgeschwächt erhalten. Einige haben die Rückkehr zur „Normalität“ überhaupt nicht überlebt. 
Es gibt aber auch Gamechanger, die gehalten haben, was Janszky und andere Trend- und Zukunftsforscher prognostizierten, und tatsächlich Entwicklungen verändert oder Veränderungen entwickelt haben. Die Pandemie lässt sich demnach sowohl als Beschleuniger als auch Entschleuniger von ohnehin Vorhandenem verstehen. Wieder bringt Janszky das Beispiel Homeoffice, das in fast jedem Rückblick als Kronzeuge für einen Digitalisierungsschub herhalten muss. Man sei sich in den Monaten des Lockdowns „wahnsinnig modern vorgekommen“, zelebrierte man doch eine neue Form des flexibleren, agileren und digitaleren Arbeitens – New Work genannt. 
Sven Gabor Janszky zerkratzt diesen Lack aus Stolz und Selbstzufriedenheit und verweist auf Skype, ein Unternehmen, das das erste Videokonferenzsystem bereits 2003 auf den Markt gebracht hatte: „Wir haben uns also während Corona arbeitsfähig gemacht, indem wir begonnen haben, eine 17 Jahre alte Technologie zu nutzen.“ Für Zukunftsforscher wie ihn sei das schon damals „ein bisschen aberwitzig gewesen“. 

Sven Gabor Janszky, Leiter von 2b AHEAD

„Innovationen kommen nicht in die Welt, weil sie jemand braucht, sondern weil sie getrieben werden von Menschen, die überzeugt davon sind, dass sie die Welt besser machen werden.“

Potenzial für epochale Veränderungen

Mit der wirklichen Digitalisierung, mit dem, was in der Welt rapide anwachsender Rechenleistungen gerade entsteht und entwickelt wird, habe das jedenfalls „überhaupt nichts zu tun“, so Janszky. Was kommt? Quantencomputer und Künstliche Intelligenz. Ein Duo mit enormem Potenzial für epochale Veränderungen. 
Zum einen sind Quantencomputer Weltmeister im Prognostizieren. Sie erstellen aus millionenfachen Simulationen Prognosen, die um ein Vielfaches schneller und präziser sind als jene mit menschlicher Intelligenz, Bauchgefühl oder Intuition erstellten. Zum anderen werden Anwendungen Künstlicher Intelligenz boomen. Sie kann etwa Muster erkennen, die für Menschen zu subtil sind, oder bei der Bearbeitung von großen Datenmengen helfen, bei Entscheidungen unterstützen und die Effizienz optimieren. Das alles aber nur, solange sich die Wirklichkeit nicht verändert. Wandel unerwünscht. Denn die KI lernt aus Betrachtung dessen, was war und ist. „Sie hilft uns deshalb nur dann, gute Entscheidungen zu treffen, wenn die Zukunft so ist wie die Vergangenheit“, erklärt Viktor Mayer-Schönberger. 
Der gebürtige Salzburger ist Professor am Oxford Internet Institute. In einem „ZEIT“-Interview bremst er deshalb die Erwartungen: „Künstliche Intelligenz ist ungeeignet, wenn sich die Situation, der Kontext und die Ziele fortlaufend verändern. Dann kann sie aus der Vergangenheit nämlich keine hilfreichen Rückschlüsse auf die Zukunft mehr ziehen. In diesen Momenten brauchen wir nicht mehr Daten, sondern mehr Träume, fokussierte Vorstellungen.“

Wahre Megatrends

Andererseits hat sich Künstliche Intelligenz via ChatGPT oder ähnlicher Programme des menschlichen Betriebssystems Sprache angenommen. Sie kann in diesem Bereich bestimmte Tätigkeiten übernehmen, die davor Menschen gemacht haben – nicht nur schneller und kostengünstiger, sondern auch fehlerfrei. Eine Entwicklung, die weitreichend wirken wird und damit dem entspricht, was das Zukunftsinstitut von Harry Gatterer als „Megatrend“ definiert: keine Oberflächenbewegungen, sondern Tiefenströmungen des Wandels, die mehrdimensionale Veränderungsphänomene anstoßen und weitertreiben, aber auch disruptive Durchbrüche ermöglichen. 
So etwas prägt die Gesellschaft nicht nur kurzfristig, sondern auf lange Sicht. Es sind Revolutionen, die im Kleid der Evolution daherkommen; Lawinen in Zeitlupe, die am Ende Institutionen und Individuen, Unternehmen und die gesamte Gesellschaft unter sich begraben. In die utopisch anmutende Verheißung mischen sich zwar mittlerweile Bedenken und der angstgetriebene Ruf nach Regularien. Tatsächlich wird eine Gesellschaft Antworten brauchen für den Umgang mit diesen Entwicklungen, sowohl in kultureller und technischer Hinsicht als auch im Regelwerk, auf das sich die User:innen verlassen und verlässlich beziehen können. Aber wegzubringen ist dieser Trend jedenfalls nicht mehr.

Harry Gatterer, Zukunftsinstitut

„Wir müssen die Dynamiken des Wandels verstehen und daraus positive, realistische und inspirierende Zukunftsbilder entwickeln. Viel bedeutender als an Prognosen zu glauben, ist unser Umgang mit unseren Möglichkeiten, unser innerer Zukunftskompass.“ 

Dauerhafte Konnektivität

Beispiel? Die immerwährende Vernetzung auf Basis der digitalen Infrastruktur und ihrer Kommunikationstechnologien und -kanäle. Dauernde Konnektivität als dominantes Grundmuster des gesellschaftlichen Wandels im 21. Jahrhundert. „Sie reprogrammieren soziokulturelle Codes und bringen neue Lebensstile, Verhaltensmuster und Geschäftsmodelle hervor“, heißt es beim Zukunftsinstitut. Eine „Erfindung“ von Corona ist diese pausenlose Präsenz im virtuellen Raum zwar nicht, aber sie wurde durch die besonderen Pandemieumstände verdichtet und verstärkt –und schmolz seither auch nicht mehr auf das Vor-Corona-Niveau ab. Im Gegenteil: Online zu sein war und wird zum Dauerzustand.
Was die Zukunftsforscher aber als durch die Pandemie ausgelöste Veränderung wahrgenommen haben wollen, ist ein zartes Verwelken der Individualisierung. Stattdessen würden Solidarität, die Sehnsucht nach Gesellschaft und einem „Wir-Gefühl“ wieder aufblühen. Man schien die Gemeinschaft erst zu vermissen, als man sie nicht mehr hatte, weil sich Babyelefanten und andere Distanzvorgaben zwischen einen und den Rest der Welt zwängten. Ob diese Rückbesinnung gleich als „Post-Individualisierung“ etikettiert werden kann, wie Lifestylepropheten meinen? Abwarten. So ortet Philosoph Richard David Precht in einer „satten Gesellschaft, die heute wenig zu verteilen, aber viel zu verlieren hat“, eine große Angst vor Veränderung. Das Hauptaugenmerk liege daher auf Besitzstandswahrung.

+169 %

Silver Society

Nach Berechnungen der UN wird sich der Anteil der 60-Jährigen und Älteren in der Weltbevölkerung bis 2050 auf 21,5 % erhöhen – 1950 lag der Anteil noch bei knapp 8 %.

Gesellschaftliche Gleichgewichtsstörungen

Jedenfalls einen Rückschritt erlebt hat die Gesellschaft während der Pandemie, was Fragen der Gleichberechtigung angeht. Und das auf mehreren Ebenen. Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky sieht zum einen ein Aufgehen der Schere zwischen Arm und Reich im globalen Kontext. Zum anderen ortet er auch Gleichgewichtsstörungen innerhalb unserer Gesellschaft. Das hat damit zu tun, dass berufstätige Frauen in der Coronazeit jobmäßig eher zurücksteckten und Mütter noch intensiver Care-Arbeit übernahmen. Dieser in den Tagen der Pandemie gelebte Rückfall in alte Geschlechterstereotype und Rollenmuster wirkt bis heute. „Das wird lange dauern, bis wir da wieder Vor-Corona-Niveau erreicht haben“, befürchtet Zukunftsforscher Janszky. 
Gleichzeitig sieht Harry Gatterers Zukunftsinstitut eine weitgehende Auflösung von geschlechterspezifischen Grenzen was Berufe, Kleidung, aber auch Formen partnerschaftlichen Zusammenlebens angeht. „Noch nie zuvor hat die Tatsache, ob jemand als Frau oder Mann geboren wird, weniger darüber ausgesagt, wie eine Biografie verlaufen wird“, beschreibt er den „Gender Shift“ in Richtung einer Kultur des Pluralismus. 
Parallel konserviert sich ein schwerfälliger und verklärter Umgang mit dem (eigenen) Altern. „So waren die letzten Jahre geprägt von einer Anti-Aging-Haltung, die Zukunft einer alternden Gesellschaft gehört aber dem Pro-Aging“, plädiert Gatterer angesichts der demografischen Prognosen für einen unverkrampfteren Umgang mit der eigenen und allgemeinen Vergreisung der „Silver Society“.

Neuausrichtung des Wertekompasses

Die Kulisse für einen unbeschwerten Lebensabend ist freilich beschädigt. Zahlreiche Megatrends der Vergangenheit haben die Erde zu einem Notfallpatienten gemacht. Klimawandel und Naturkatastrophen sind die Langzeitfolgen dieser konsumberauschten Entwicklung. Sie haben vielerorts zu einem Umdenken, zu einem Bewusstseinswandel und Verhaltensänderungen geführt – und Umweltbewusstsein vom individuellen Lifestyle zur gesellschaftlichen Bewegung gemacht. 
Was früher „ökosoziale Marktwirtschaft“ genannt und von der Politik ideologisch vereinnahmt wurde, nennt man beim Zukunftsinstitut jetzt „Neo-Ökologie“. Diese bewirke nicht nur eine Neuausrichtung des Wertekompasses der Gesellschaft, der Alltagskultur und der Politik. Sie beeinflusse auch unternehmerisches Denken und Handeln in ihren elementaren Grundfesten. Die Corona-Krise wirkte diesbezüglich im besten Fall als aufmerksamkeitsfördernden Mahner: „Covid-19 rief uns auf erschütternde Weise ins Gedächtnis, dass wir Teil der Natur sind und sie nicht wirklich kontrollieren können. Der Reset ebnet den Weg für eine von Nachhaltigkeit und Entschleunigung geprägte Post-Corona-Gesellschaft“, heißt es in der Analyse des Instituts.

Jede(r) 2.

Im Jahr 2009 wurde der Anteil jener, die einen „Lifestyle of Health and Sustainability“ verfolgen, in den westlichen Staaten noch auf rund ein Drittel der Bevölkerung geschätzt. Bis 2050 könnten über 50 Prozent LOHAS sein.

Glokalisierung statt Globalisierung

Ein paar Lockdowns und eine überwundene Pandemie später ist die Begeisterung für Bremspedal und Umweltschutz zwar da und dort etwas eingetrübt. Das damals wiederbelebte Bewusstsein für den vielschichtigen Wert von Regionalität und die Sehnsucht nach dem Überschaubaren sind aber gewachsen. Der deutsche Zukunftsforscher Daniel Dettling prophezeite schon im Mai 2020 einen Trend zur patchworkartigen „Glokalisierung“ – also der Verbindung globaler und lokaler Elemente und Perspektiven – als Alternative zur sortenreinen Globalisierung. Er sollte Recht behalten.

Sinn gesucht

Von der Nachfrage nach Heimat und Nachbarschaft ist es nur eine Nabelschau zum eigenen Tun und Handeln. Und so nutzten in der Pandemie viele die Zeit, so Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky, um zu reflektieren, nachzudenken, einen tieferen Blick ins eigene Gewissen zu wagen. „Viele stellten sich dabei die Frage, ob das, was sie im Hamsterrad des Lebens bisher so erreicht haben, schon alles gewesen sein kann.“ 
Jobwechsel, Auszeit, Neuorientierung? Diese (Sinn-)Fragen bleiben im Trend.

Text: Klaus Höfler