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Nachhaltigkeit rocks: Wie im Klimaschutz der Ton angegeben wird

Von der Marseillaise bis zum „Black Lives Matter“- HipHop: Musik war und ist Soundtrack und Stimme politischer Bewegungen und gesellschaftlicher Transformationen.

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Music for future? Die Vorher-Nachher-Bilder von Festivalgeländen, die durch die Medien wandern, sehen eher nach Dystopie aus. Müll, wohin man blickt. Insbesondere zurückgelassene Kunststoffzelte sind ein Problem, entspricht doch schon eine durchschnittliche Campingbehausung 8.750 Strohhalmen oder 250 Bierbechern. Der Wochenend-Spaß von 80.000 Fans hinterlässt laut einer UK-Studie jedenfalls in etwa so viel Abfall wie eine 80.000-Einwohner-Stadt pro Jahr verursacht. Und das ist nur die sichtbare Spitze des schmutzigen Eisbergs. 

Erlebnisse statt Emissionen

Die Ökobilanz eines einzigen Drei-Tage-Großevents liegt bei 100.000 Tonnen CO₂. Zwei Drittel der Emissionen gehen nach einer Schweizer Untersuchung auf die An- und Abreise der Gäste und Künstler:innen zurück. Der Rest entfällt auf Verpflegung, Müll und Energie. Allein im Vereinigten Königreich werden im Jahr fünf Millionen Liter Diesel verbraucht, um die Generatoren für Licht- und Soundsysteme zu betreiben. Die Zahlen für die USA, wo zwanzig Mal mehr Musikbegeisterte zu Festivals pilgern, kann man sich hochrechnen – auch wenn die fallweise erhobenen Daten nicht eins zu eins übertragbar sind. Manche Locations sind gut ans öffentliche Verkehrsnetz angebunden. Andere haben eine flächendeckende Stromversorgung und sind nicht auf Aggregate angewiesen.

Eine Studie zur Ökobilanz der gesamten Branche fehlt daher bislang. Was es aber gibt, ist ein wachsendes Bewusstsein – bei Künstler:innen, Veranstalter:innen und auch Fans. Bleibende Erinnerungen: ja. Bleibende Umweltschäden: nein. Und so haben sich zahlreiche Festivals und Tourneen bekannter Bands in den letzten Jahren zu einem Experimentierfeld für nachhaltige Lösungen in den Bereichen Energieversorgung, Ressourcenverbrauch, Mobilität und Kreislaufwirtschaft entwickelt. Im Kleinen arbeitet man sich also an den großen Fragen ab, vor denen auch die Gesamtgesellschaft steht.

Das klingt doch gut

Die Liste der Best-Practice-Beispielen ist lang und divers. Von der Energienutzung am Veranstaltungsort über den Transport von Equipment und die umweltfreundliche Herstellung von CDs, Platten und Instrumenten bis hin zu den Auswirkungen von Streaming und Reisen der Zuschauer:innen: Lösungen mit Blick aufs Klima durchdringen nahezu jeden Aspekt der Branche. Die meisten davon sind nur der engen Fangruppe bekannt, wenn überhaupt. Zeit, den Bemühungen eine Bühne zu bieten. Denn sie klingen nicht nur gut. Einige taugen durchaus auch als Blaupause für andere Bereiche und Branchen. 

  • Dünger statt Chemie

Das „Terraform-Festival“ in der Nähe von Mailand bringt es zwar nur auf etwas mehr als 2.000 Besucher:innen, spart aber allein durch die Verteilung elektrischer Feuerzeuge rund 250 Liter Benzin ein. Die Holzbühnen für die Konzerte sind aus Bäumen gezimmert, die bei regionalen Stürmen entwurzelt wurden. Alle angelieferten (Merchandising-)Produkte sind zudem plastikfrei. Und durch den Einsatz von Komposttoiletten konnte der Verbrauch von Chemikalien und Wasser deutlich reduziert werden. 

  • Zug um Zug grüner

20 Tonnen CO₂ – das war laut der „Green Music Initiative“, die seit 2008 mit rund 150 europäischen Festivals an der Umsetzung von Reduktionsstrategien gearbeitet hat, allein die Ersparnis des „Melt“-Festivals, das paradoxerweise an einer ehemaligen Braunkohlegrube in Ostdeutschland stattfindet. Die Besucher:innen konnten von Köln oder München aus bequem mit dem Zug anreisen und während des Events auch darin übernachten. Zelte und Luftmatratzen wurden gestellt. Von Hamburg und Berlin organisierten die Veranstalter:innen auch eine mehrtägige Fahrradan- und -abreise.

  • Vom Zelt zum Outfit

Allein im Vereinigten Königreich werden bei Musikfestivals jährlich etwa 250.000 kaputte Zelte zurückgelassen, laut Statistik ist es weltweit jedes vierte bis fünfte Zelt. Start-ups wie Trash Galore stellen aus ihnen Funktionskleidung und Taschen her. Inzwischen nehmen aber einige Festival-Veranstalter:innen in Kooperation mit Utopia Camping auch Zeltvermietung ins Servicepaket mit auf.

  • Kipp(en)-Effekt

In Deutschland untersuchte eine von der „Kultur und Medien“-Beauftragten der Bundesregierung geförderte Studie ein Nachhaltigkeitskonzept für fünf Konzerte der Band Seeed in der Berliner Wuhlheide im August 2022. Unter den geprüften Maßnahmen war unter anderem auch das Verteilen von Taschenaschenbechern. Das Ergebnis: 3.250 Zigarettenkippen landeten statt auf dem Boden in eigens dafür bereitgestellten Sammelbehältern. Laut den Studien-Autorinnen konnten so 3,25 Millionen Liter Wasser vor Verschmutzung bewahrt werden. 

  • Der Klang von PET

Eine einzelne Schallplatte benötigt bis zu 1.000 Jahre, um vollständig zu verrotten. Das Gütersloher Unternehmen Sonopress hat zusammen mit Warner Music eine „Eco Record“ auf den Markt gebracht. Jedes Exemplar besteht im Schnitt aus neun recycelten PET-Kunststoffflaschen. Das Einsparpotenzial kann sich hören lassen: Die Produktion von 25   Tonnen neuem Kunststoff wird vermieden, die CO₂-Emissionen bei der Herstellung sind im Vergleich zu einer herkömmlichen 140-Gramm-LP aus PVC um 85 Prozent reduziert. Auch mit der „Eco CD“, die zu 90 Prozent aus recyceltem Polycarbonat besteht, werden Emissionen um 78 Prozent gesenkt. 

Fans for Future

Für große – und ausnahmsweise positive – Umwelt-Schlagzeilen sorgen bislang leider nur wenige der innovativen Ansätze. Etwa die „Music of the Spheres“-Tour von Coldplay. Jahrelang war die britische Pop-Rock-Band dem Klima zuliebe nicht mehr international aufgetreten. Jetzt füllt sie wieder Stadien und setzt dabei auf neue Technologien. So wird etwa die Bewegungsenergie der tanzenden Fans in Strom für die Show umgewandelt. Möglich machen das die „Kinetic Dancefloors“ des niederländischen Unternehmens Energy Floors. Besonders motivierte Konzertbesucher:innen dürfen zusätzlich auf Powerbikes strampeln, um die Bühnentechnik ebenfalls mit sauberer, kinetischer Energie zu versorgen. 

Was eher nach Spaß klingt, hat tatsächlich ernst zu nehmenden Impact. Via Website verkündete Coldplay im Juni 2024, dass die direkten CO₂-Emissionen der ersten beiden Tourneejahre im Vergleich zur letzten Stadiontour „um 59 Prozent gesunken sind, und zwar bei allen Shows.“ Die Zahlen wurden von der „Environmental Solutions Initiative“ des MIT bestätigt. Damit hat Coldplay sicher eine Vorreiterrolle eingenommen, wenn es darum geht, Tourneen und Festivals – aber auch andere Mega-Events – grüner zu machen. 

Konzerte mit Nachhall 

Der größte „There is no Planet B“-Hebel (ein Spruch, den die Band auf eines ihrer T-Shirts druckte), ist aber ein anderer: Musik war und ist Stimme und Soundtrack von Transformationen. In Sachen Klimaschutz kann sie als identitätsstiftende und verbindende Kraft dazu beitragen, Menschen, Ideen und Überzeugungen zusammenzubringen, auf das Thema aufmerksam zu machen und individuelles und gesellschaftliches Verhalten zu verändern. 

Und das viel besser als die Politik. „Niemand hat eine:n Lieblingspolitiker:in, aber jede:r hat eine Lieblingsmusiker:in“, sagt etwa die UK-Rapperin Little Simz. „Ich glaube sogar, Musiker:innen sind die neuen Politiker:innen.“ Man hört ihnen zu – auch jenseits der Festivalgelände. Und man stimmt in ihren Chor mit ein. „Bella Ciao“ etwa, mit dem einst italienische Partisan:innen auf die faschistische Gewalt während des Zweiten Weltkriegs antworteten, ruft heute in einer abgeänderten Version zum Klimaschutz auf.

Grüne Bühne

Apropos Aufruf: Er gilt auch und vor allem der Politik. Was der Musikbranche für den großen systemischen Wandel fehlt, sind nämlich gesetzliche Rahmenbedingungen. Im Moment sind es Pionier:innen, die die Transformation auf eigene Rechnung und eigenes Risiko vorantreiben. Wer jedoch nicht darauf vertrauen kann, dass er ein teuer zum Festivalgelände verlegtes Stromkabel auch bis zum nächsten Eventtermin liegen lassen darf, wird es sich zweimal überlegen, ob er nicht doch Dieselaggregate einsetzt.

Laut BMK werden nachhaltige Veranstaltungen bereits durch verschiedene Initiativen unterstützt. Jedoch beschränkt sich die Unterstützung derzeit auf Beratung, finanzielle Förderungen für nachhaltige Festivals fehlen. Erschwerend kommt hinzu, dass Großevents rechtlich in der Verantwortung der Bundesländer liegen und Abfallkonzepte und Mehrweggebote zwischen Boden- und Neusiedlersee gesetzlich nicht überall verankert und schon gar nicht einheitlich sind. 

Und so liegt es einmal mehr bei den Veranstalter:innen und Besucher:innen, dem Umweltschutz eine Bühne zu bereiten.

Text: Daniela Schuster