Ökologie

Passkontrolle für E-Bike, Waschmaschinen oder Daunenjacken

Wird der Digitale Produktpass ein Datenmonster oder ein Transparenzwunder? Das entscheiden derzeit Politiker:innen, Interessenvertretungen – und Sie.

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Nicht alle Zäsuren haben einen griffigen Namen. Die „Verordnung (EU) 2024/1781 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen für nachhaltige Produkte“ zum Beispiel. Doch was klingt wie eine Fußnote für wirtschaftsjuristische Feinspitze, könnte unser Wirtschaftssystem im Wortsinn nachhaltig verändern und die Transformation zur Kreislaufwirtschaft beschleunigen. Besonders ein Kernstück der seit Juli gültigen Verordnung, der Digitale Produktpass (DPP), ist eine Revolution. „Der Digitale Produktpass wird ein zentrales Element der Kundenbeziehung, an die Stelle der einseitigen Transaktionsbeziehung tritt Engagement entlang des Lebenszyklus“, prophezeit etwa der in 100 Ländern tätige Elektrotechnik-Konzern Schneider Electric in einer internen Analyse.

Davor müssen Unternehmen jeder Größe aber die Ärmel hochkrempeln: Ab 2027 haben sie über alle ihre Produkte, die in der EU hergestellt oder in die EU eingeführt werden, detaillierte Nachhaltigkeitsinfos zu sammeln, zu speichern und zur Verfügung zu stellen. Über die für sie verwendeten Rohstoffe und deren Herkunft, über ihre Lebensdauer und ihren Energieverbrauch, über ihr Reparaturpotenzial und ihre Ersatzteilverfügbarkeit und über vieles mehr. Den Beginn machen ab Februar 2027 Batterien. 2028 folgen voraussichtlich Textilien, Eisen und Stahl sowie der Bausektor, weitere Produktkategorien sollen in den Folgejahren nachziehen. Zu den Informationen führt dann jeweils eine für Kund:innen einlesbare Technologie, etwa ein QR-Code auf Produkt oder Verpackung. So könnten sich Industriepartner leichter vernetzen, Behörden Ressourcen sparen und Konsument:innen profundere Kaufentscheidungen treffen.

Los geht’s! Aber wohin?

Was spannend klingt, hat einen Haken: Bis jetzt weiß niemand so genau, wie der DPP genau aussehen soll, wer dafür welche Zugriffsrechte erhält und welche Regeln für die Erhebung seiner Informationen gelten – es fehlen also quasi die Daten zu den Daten. Die Industrie gerät dadurch in eine unangenehme Warteposition, ganz wie im Tante-Jolesch-Telegramm „Seid besorgt, Brief folgt“. 

„Wir wissen zwar, dass wir umfangreiche Daten entlang der Wertschöpfungskette erheben und aufbereiten müssen, aber nicht welche“, sagt Verena Halmschlager vom Verein Industrie 4.0 Österreich. Die „Plattform für intelligente Produktion“ etablierte sich zuletzt auch als Plattform zur Informationsverbreitung über den DPP. Halmschlager selbst hält zum Thema alle zwei Monate frei zugängliche Online-Check-ins ab. Dort werden Sorgen geteilt und Fragen beantwortet. Zum Beispiel über den aktuellen Stand. „Die Rahmenverordnung steht, jetzt werden die delegierten Rechtsakten mit den verbindlichen Standards erarbeitet“, erklärt sie. „Der Sinn davon ist, die Nachhaltigkeitskriterien der Ökodesignverordnung in Zahlen zu fassen und unterschiedlichen Akteur:innen zur Verfügung zu stellen.“ Also Behörden und Handelspartner:innen, Entsorgungs- und Recycling-Unternehmen, aber auch den Endkonsument:innen. 

Was jetzt zu tun ist

Doch was können – nein, müssen – produzierende Unternehmen, die zwischen 2027 und 2030 von den neuen Verordnungen betroffen sein werden, schon jetzt unternehmen? Die Fachhochschullektorin hat dazu fünf Vorschläge: 

  1. Informationstechnisch am Ball bleiben und aktuelle Entwicklungen verfolgen, zum Beispiel über die Website ihres Vereins oder mit Hilfe einer Webinar-Reihe der WKO.
  2. Organisatorische Voraussetzungen schaffen. Also schon jetzt Supply Teams bilden und die digitale Erfassbarkeit der Daten vorbereiten.
  3. Bei der Erfassung von Informationen auf verfügbare Standards achten. 
  4. Kooperationsmöglichkeiten mit Lieferanten und Kunden besprechen.   
  5. Bei Bedarf Software-Dienstleister:innen involvieren.

Die dafür passenden Spezialist:innen hören auf den noch etwas sperrigen Namen DPPaaS (Digital Product Passport as a Service). Diese gerade erst entstehende Branche versteht sich als Rundumdienstleister, der das Gesamtpaket von Beratung, Hard- und Software bis zum QR-Aufkleber anbieten will. Das klingt bequem. Doch es wäre falsch, den DPP nur als auszulagernden bürokratischen Mühlstein zu sehen, den man sich als Unternehmer:in möglichst weit vom Hals halten sollte. „Ja, am Anfang steht ein regulatorischer Mehraufwand“, räumt Verena Halmschlager ein. „Aber die erhobenen Daten können die Basis für ein digitales Datenökosystem sein, das dem Unternehmen wertvolle Einblicke gibt.“

Neuland für alle

Ob sich der DPP zum Datenmonster oder zum Transparenzwunder entwickelt, scheint derzeit aber noch offen zu sein. Und zwar auch deshalb, weil der DPP technisches Neuland betritt, in dem eine Menge kniffliger Probleme warten: Der Pass muss für jede Person und Software jederzeit, dauerhaft und kostenfrei genutzt werden können. Er soll von Mensch und Maschine gleichermaßen gut und bequem les- und dechiffrierbar sein. Er muss europaweit einheitliche Standards erfüllen. Und er sollte bei aller Transparenz sensible Betriebs- und Konstruktionsgeheimnisse bewahren, zum Beispiel in Form einer einprogrammierten Weiche. Die könnte besonders heikle Daten nur einem Teil der User:innen – zum Beispiel dem Zoll – zur Verfügung stellen. 

Verena Halmschlager, Verein Industrie 4.0

„Der Digitale Produktpass fasst die Nachhaltigkeitskriterien der Ökodesignverordnung in Zahlen und stellt sie unterschiedlichen Akteur:innen zur Verfügung.“

Wie die Entwirrung dieses Knotens klappen könnte, erhebt die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gerade anhand mehrerer Use Cases mit Partnern aus Industrie und Forschung. „Unser Ziel ist, einen Prototypen für den DPP zu implementieren und Evidenz für die Umsetzung zu schaffen“, sagt die FFG-Programm-Managerin Verena Mussnig. „Einerseits soll das Leitprojekt überprüfen, wie gesetzliche Verpflichtungen erfüllt werden können. Andererseits soll das Potenzial für Anwendungen und Services, die durch den Produktpass ermöglicht werden, aufgezeigt und neue Geschäftsmodelle identifiziert werden. Dabei sollen die Anforderungen der unterschiedlichen Stakeholder, insbesondere von KMU, erhoben werden.“ Damit die Grenzen der Erkenntnis nicht am Schlagbaum enden, wird das Leitprojekt bilateral aufgezogen: „Die Beteiligung von Partner:innen aus Deutschland soll ermöglichen, grenzüberschreitende Lieferketten mitzudenken.“ 

Susanne Stark, Verein für Konsumenteninformation

„Mit dem Digitalen Produktpass bekommen die Konsument:innen die Chance, Produkte viel objektiver als bisher zu vergleichen.“ 


 

Mehr Transparenz 

Aber wer denkt die Konsument:innen mit? Zum Beispiel Susanne Stark. Als Vertreterin des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) ist sie Teil der Verhandlungen, die den Digitalen Produktpass auf Schiene bringen sollen – und stimmt sich dafür mit dem Europäischen Verbraucherverband BEUC ab. „Mit dem Digitalen Produktpass bekommen die Konsument:innen die Möglichkeit, Produkte viel objektiver als bisher zu vergleichen“, sagt Susanne Stark. „Ich erfahre dann, wie auf Umweltfreundlichkeit geachtet wird, wie langlebig ein Produkt ist oder wie es mit der Reparierbarkeit aussieht. Wir engagieren uns dafür, dass die Kriterien streng sind und die Informationen ins Detail gehen. Uns ist aber auch wichtig, dass sie praxistauglich aufbereitet werden, damit man bei der Kaufentscheidung echten Nutzen davon hat.“ 

Als Chemikerin und Schadstoffexpertin bringt Susanne Stark ihr Wissen in die von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Forschungsgruppe für Textilien ein. „Das ist eine sehr komplexe Produktgruppe, die den Konsument:innen bisher sehr wenig Informationen zur Verfügung stellt: Auf dem Textiletikett steht nur, aus welchem Material das Produkt besteht und wie ich es waschen soll. Aber nicht, mit welchen Chemikalien es behandelt wurde, welche gefährlichen Schadstoffe enthalten sein könnten oder wie es um die Wiederverwertbarkeit bestellt ist. In den Verhandlungen erlebe ich, dass große Modeketten an diesen Themen durchaus interessiert sind, aber – noch – wenige belastbare Daten auf den Tisch legen können.“ 

Transparenz für alle Beteiligten soll aber nicht nur das Endergebnis der Verhandlungen sein. Wer genug Zeit und Engagement zur Verfügung hat, kann sich online im European Product Bureau (tinyurl.com/produktpass) registrieren und selbst an der Erarbeitung der DPP-Kriterien für die einzelnen Produktgruppen mitwirken. Motto: Wenn schon transparent, dann richtig. 

Text: Alexander Lisetz