Häuser mit Geschichte(n)
Als das Fünf-Sterne-Hotel Stradom House in Krakau im Sommer 2023 endlich eröffnete, fragte niemand mehr nach den Gründen für die 18-monatige Verzögerung. Das vom trendigen Mitglieder-Club Soho House inspirierte Interior Design, die moderne Kunst an den historischen Wänden und die Bar in der ehemaligen Kapelle lieferten genug anderen Gesprächsstoff. Das Marketing atmete sicher auf. Denn dass man beim Umbau des alten Klostergebäudes auf einen Friedhof mit 6.000 Toten gestoßen war, hatte sich in Schlagzeilen und Storytelling nicht wirklich gut gemacht.
Für Immobilienentwickler ist die Geschichte hingegen ein Paradelehrstück über die (un)geahnten Herausforderungen des Gebäuderecyclings, das weit mehr erfordert als eine Pinselstrichsanierung. „Bestehende Objekte sind einfach Wundertüten“, sagt Kate Wallin. Mal ganz abgesehen von Bausubstanz, Denkmalschutzfragen, Haustechnik, ESG- und Energiethemen, entdeckt man manchmal sogar wortwörtlich Leichen im Keller.
Auf der Branchenplattform Hospitality Investor berichtet Wallin, bei Marriott fürs Development in Nord- und Osteuropa zuständig und damit auch für das Stradom House, dass man zwar damit gerechnet hätte, dass ein ehemaliges Kloster – zumal eines, das in seinem langen Leben auch Lazarett war – mit einem Friedhof daherkommen könnte. Dessen Größe sei jedoch nicht vorhersehbar gewesen. Und erst recht nicht der Umfang der Bürokratie für die Umbettung der Gebeine.
Trotz solcher Schwierigkeiten setzt Marriott International bei der Expansion weiterhin stark auf Umnutzungs- und Adaptive-Reuse-Projekte. Neben Klöstern hat man etwa auch einstige Feuerwachen, Gerichtsgebäude, Zoos, Schulen oder Gefängnisse im Repertoire und gute Erfahrungen damit. „Diese einzigartigen Immobilien, noch dazu in Bestlagen, bereichern das Gästeerlebnis enorm“, so Wallin. Auf dem letztjährigen International Hospitality Investment Forum in Berlin verkündete das Hotelimperium jedenfalls, sein Portfolio in Europa durch die Umwandlung bestehender Gebäude bis Ende 2026 um fast 100 Hotels zu erweitern. Neue Häuser in alter Substanz werden dabei mehr als 40 Prozent der gesamten Entwicklungspipeline ausmachen.
Früher Brauerei - Heute Boutique-Hotel B2, Zürich
Prost. Dass sich in der (Mini-)Bar Hürlimann-Bier findet, versteht sich im B2 von selbst. Ist das urbane Vier-Sterne-Haus doch in die ehemaligen Brauereihallen des Traditionsbetriebs eingezogen. Das frühere Sudhaus ist heute eine Bibliothek mit 33.000 antiquarischen Büchern unter schicken Flaschen-Kronleuchtern.
b2hotel.ch, DZ ab 415 Euro
Mit dieser Strategie ist das US-Unternehmen nicht allein. Auf die Frage „Bauen oder umnutzen?“ antworten Hoteliers weltweit immer öfter mit Konzepten zur adaptiven Wiederverwendung. Ob altes Palais oder frühere Fabrik, ob einstiges Kloster oder aufgelassenes Krankenhaus, ob Ex-Gefängnis oder ehemaliger Gasometer: 2024 verzeichneten touristische Umnutzungen von historischen Gemäuern oder obsolet gewordenen Gebäuden laut Brancheninformationsdienst Lodging Econometrics ein neues Rekordhoch. Und Expert:innen rechnen damit, dass sich der Trend fortsetzen und noch beschleunigen wird – befeuert von der steigenden Nachfrage nach besonderen, unverwechselbaren Unterkünften und getrieben von den prohibitiv hohen Kosten für Neubauten. Je nach Umfang der nötigen Adaptionen sind Conversions zwar nicht immer günstiger, sparen jedoch in der Regel (Bau-)Zeit. Und die ist ja auch Geld, gerade im Hotelbusiness. Dass das Modell zudem ein Gewinn für Umwelt und Gesellschaft ist, macht es noch attraktiver. Erstere freut sich über CO₂-Einsparungen, Ressourcenschonung und Nachverdichtung statt Neuversiegelung. Letztere profitiert vom Erhalt oftmals ikonischer Architektur und der (Wieder-)Belebung von Straßenzügen, Stadtvierteln, manchmal sogar Regionen. Und beides zusammen ist gut fürs ESG-Reporting und das Image der Hotelmarke.
Inzwischen gehen zwar selbst Städten wie Wien so langsam die ungenutzten Kulturerbe-Palais aus, die man noch in (Luxus-)Hotels verwandeln könnte. Ist man aber offen – auch für einen Mixed-Use mit Co-Working-Spaces, Retail oder Wohnungen –, wird es am Gebäudenachschub nicht scheitern. Im Gegenteil: Viele Nachkriegsimmobilien, insbesondere Büro- und Warenhäuser, Bank-, Verwaltungs- und Infrastrukturgebäude, werden nicht mehr gebraucht und finden auch keine neuen Mieter aus anderen Branchen, weil sie modernen Ansprüchen und ESG-Standards nicht genügen. Laut einer Studie des Immobilienspezialisten Jones Lang LaSalle lag allein die Leerstandsquote für Büroflächen in Europa Mitte 2024 bei über acht Prozent, Tendenz steigend. Eine Fundgrube für Hoteliers und Investoren. Und auch für die Eigentümer:innen der Bestandsimmobilien sind Umnutzungen interessant. Denn sie versprechen Renditen, wo sonst keine (mehr) sind.
Ehemals Bahnhof - St. Louis Union Station Hotel, USA
Abgefahren. 1894 eröffnet, war der viktorianische Bahnhof von St. Louis einer der größten der Vereinigten Staaten. Das heute dort befindliche Hotel ist Teil eines Entertainment-Komplexes mit Aquarium und Mini-Golf. Allabendlich stiehlt daher leider ein 3D-Lichtspektakel den Tiffany-Fenstern in der Lobby die Show.
hilton.com/de/hotels/stlcuqq-st-louis-union-station-hotel/, DZ ab 207 Euro
Dass sich auch weniger prunkvolle Immobilien wieder in angesagte Adressen verwandeln lassen, zeigt etwa das Wiener Hotel Daniel, untergebracht im ehemaligen Büro- und Produktionsgebäude des Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche. An Conversions von Büro- oder Einzelhandelsflächen im größeren Stil hat sich bislang nur die Lifestyle-Gruppe Ruby Hotels gewagt. Die Gebäudetiefe ist oft ein Thema. Denn was mit dem inneren, fensterlosen Hausteil machen? Tageslicht-Atrien schlagen auf die Kosten, dunkle Gästezimmer aufs Gemüt. Bei Umnutzungen sind daher Fantasie und Kreativität gefragt. „Wir nähern uns solchen Projekten von Anfang an aus der Perspektive eines Immobilienentwicklers, mit einem mehr als 30-köpfigen Team aus Architektinnen, Designern, Konstrukteuren und Technikerinnen“, so Isabell Fuß, Group Vice President Development bei Ruby.
Für James Twomey, der für ReardonSmith Architects schon einige Umnutzungsprojekte begleitet hat, ist klar: „Adaptionen sind nicht einfach, aber einfach die einzig verantwortungsvolle Vorgehensweise. Und die Hotelbranche versteht es besonders gut, alten Mauern neues Leben einzuhauchen und die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden.“
Text: Daniela Schuster
Einst Kloster - Kruisheren Design Hotel, Maastricht
Heilige Hallen. Das im 15. Jahrhundert erbaute Kreuzherren-Kloster diente nach der Französischen Revolution auch schon als Kaserne, Munitionslager und Staatliche Versuchsanstalt für Landwirtschaft. Heute beherbergt es ein Fünf-Sterne-Hotel mit 60 individuell gestalteten Zimmern. Auf der Zwischenetage in der gotischen Kirche speist man mit Blick auf die Deckenmalerei.
oostwegelcollection.nl/kruisherenhotel-maastricht/de, DZ ab 170 Euro