Probier’s mal mit Gemütlichkeit
„Das Beste am terranen Reisen sind die vielen Begegnungen mit anderen Menschen. Die Langsamkeit der Fortbewegung. Und wie viel Zeit man hat, um die Veränderung der Landschaft wahrzunehmen oder die Dimensionen des Meeres“, sagt Viki Maier. Die Sozialpädagogin reiste 2024 vier Monate lang solo durch Europa und darüber hinaus, zuerst vom Schwarzwald nach Frankreich und Spanien, dann weiter auf die Kanarischen Inseln und nach Madeira – und zwar ganz ohne Flugzeug. Stattdessen: lange Fußmärsche, Übernachtfahrten mit der Bahn, Transfers auf Segelbooten und 36 Fährenstunden nach Teneriffa.
Ganz so radikal wie die junge Deutsche leben nicht viele ihr Fernweh aus. Doch immer mehr Reisende haben genug vom Höher-Schneller-Weiter: Laut „Ruefa Reisekompass 2025“ wollen heuer mehr als zwei Drittel der Österreicher:innen im Inland urlauben. Geht es doch in die Ferne, spielt Rücksicht auf Land und Leute beim Reisen eine immer größere Rolle: 80 Prozent ist ein respektvoller Umgang mit dem Land und seinen Bewohner:innen wichtig, 69 Prozent der Schutz lokaler Pflanzen und Tiere. Auch die Förderung der regionalen Wirtschaft (54 Prozent), die soziale Verträglichkeit des Urlaubs (38 Prozent) und umweltfreundliche Unterkünfte (38 Prozent) punkten, immerhin 36 Prozent ist auch eine umweltfreundliche Anreise wichtig.
Mach mal langsam. Der Urlaubs- und Reisetrend Slow Tourism ist die Antwort darauf. Wikipedia beschreibt ihn als „die Zusammenfassung der vielfältigen Themen und Trends im Tourismus zwischen Langsamkeit und Nachhaltigkeit, Sinnhaftigkeit und Sinnlichkeit“, die Fachhochschule Westküste in Schleswig-Holstein widmet ihm sogar eine eigene Professur. Die Weiterentwicklung Soft Travel ist für das Forbes Magazin der Top-Tourismus-Trend 2025, er dreht den Fokus auf Entschleunigung und Pflege der mentalen Gesundheit. Und im deutschsprachigen Raum gewinnt der eingängige Überbegriff „Terranes Reisen“ an Bedeutung. Den hat sich eine Gruppe von Aktivist:innen aus Freiburg ausgedacht, die 2020 den Verein „Terran e.V.“ gründeten.
Viki Maier ist eine seiner Sprecherinnen: „Terran zu reisen bedeutet für uns zwei Dinge: einerseits den Verzicht aufs Fliegen. Und andererseits die Entscheidung, geerdet unterwegs zu sein, also bewusster und bodenständiger zu reisen und die Auswirkungen des Tourismus mitzubedenken.“ Darum stellt der Verein als Teil des weltweiten Netzwerks „Stay Grounded“ auch politische Forderungen, zum Beispiel für ein Inlandsflugverbot, eine Kerosinsteuer oder die Förderung von Geschäftsreisen per Bahn.
Bewusst statt beliebig. Langsam und verträglich zu reisen, das ist auch der oberösterreichischen Reiseautorin Maria Kapeller (aktuelles Buch: „Lovely Planet“) ein Herzensanliegen. „Im Einklang mit den Klimazielen dürfte jeder und jede von uns eigentlich nur eine Fernflugreise im Leben machen“, sagt sie. Aber wie sollen wir Fernwehkranken das aushalten? „Der Mensch hat das Mobile in sich, wir sind schon immer gereist. Aber wir sind noch nie so schädlich wie heute gereist. Darum habe ich irgendwann auf meinen privaten und beruflichen Reisen zu reflektieren begonnen, was eigentlich meine Beweggründe fürs Reisen sind. Und ich habe mich gefragt, ob ich mir meine Sehnsüchte nicht auch auf einer näheren Destination oder sogar in meinem Alltag zuhause erfüllen könnte.“ Für Erholung und Abenteuerlust, zum Durchbrechen von Routinen oder für das Entdecken neuer Dinge brauche es nämlich nicht unbedingt den Strand urlaub in Übersee. „Sehnsucht ist ja auch etwas Schönes. Man muss nicht überall hin“, sagt die konvertierte Ex-Nomadin.
Ihr selbstkritischer Zugang steckt auch in der DNA der Slow-Travel-Bewegung. „Achtsames“ Reisen bedeutet nämlich nicht nur, respektvoller mit der Welt umzugehen – zum Beispiel durch die Wahl eines umweltfreundlichen Verkehrsmittels oder den fairen Umgang mit Natur und lokaler Bevölkerung. Es beinhaltet auch, sensibler auf die eigenen Bedürfnisse zu hören. Die bestehen nämlich nur selten darin, vor einer Sehenswürdigkeit Schlange zu stehen, im Luxushotel mit Jetlag zu kämpfen oder den vollklimatisierten Reisebus nur für Foto-Stopps zu verlassen. Vielmehr sehnen wir uns nach elementaren Dingen, für die im stressigen Alltag zu wenig Zeit und Platz bleibt: gutes Essen und Bewegung in der Natur, ein feines Buch, Qualitätszeit mit den Liebsten – oder einfach nur ein paar Tage mit leerem Terminkalender.
Weitwandern durchs Waldviertel
Tipp
Zum Beispiel am 260 Kilometer langen Lebens-Weg rund um Laimbach, dessen 13 Etappen unterschiedliche Lebensphasen und -stationen repräsentieren.
Zeit für Muße. Wer im Urlaub auf die Bremse treten möchte, kann mittlerweile unter einer Vielzahl maßgeschneiderter Angebote wählen. Immer mehr Reiseziele und -veranstalter werben mit Slow-Tourism-Angeboten, viele haben sich sogar darauf spezialisiert. Beim Veranstalter „Weltanschauen“ geht’s zum Beispiel mit dem Zug zu den Nordlichtern nach Lappland, zu Fuß auf den längsten Friedens- und Pilgerweg der Welt oder mit dem Hausboot durch das Donaudelta. Der Nachhaltigkeitspreisträger FairAway hat Zug-Rundreisen durch Vietnam oder Portugal im Programm. Und eine Destination will sich künftig sogar weltweit als das Slow-Travel-Reiseziel schlechthin ins Rampenlicht stellen: Österreich.
„Slow Travel ist das langsame, bewusste Eintauchen in die Kultur und die Destinationen, die auch etwas abseits der üblichen touristischen Reiserouten liegen“, sagt Michael Gigl, Head of Market USA der Österreich Werbung. „Slow Travel ist im Grunde der Gegentrend zum Massentourismus – und das deckt sich genau mit unseren Angeboten.“ Zusammen mit Slowenien und Kroatien präsentierte man sich Mitte November bei der Signature Travel Network Sales Conference in Las Vegas unter dem Motto „Von den Alpen bis zur Adria“ als Slow-Travel-Herz Europas. Im Fokus stand dabei vor allem Kärnten. „Die Positionierungen passen sehr gut zusammen“, so Michael Gigl.„Kärnten positioniert sich im Kulinarik-Bereich als Slow-Food-Destination – der Begriff Slow Travel ist mit Slow Food ja artverwandt. Slowenien setzt in der Kommunikation sehr stark auf das Nachhaltigkeitsthema. Und in der Kooperation stellen wir bewusst ,langsame‘ Aktivitäten wie Wandern und Naturerlebnisse in den Vordergrund.“ Die Kooperation mit Slowenien und Kroatien war ein Ergebnis der aktiven Mitarbeit in der European Travel Commission (ETC) und stützt sich auf die Reisegewohnheiten von Übersee-Tourist:innen: „Speziell in den USA wählen viele unserer Gäste einen oft länderübergreifenden, regionalen Ansatz bei der Reiseplanung.“
Neben dem südlichsten Bundesland bringen sich aber auch viele andere heimische Ecken in Stellung: So ist zum Beispiel der oberösterreichische Donauabschnitt als eine von neun Regionen aus sechs EU-Ländern Teil des Leader-Projekts „Slow Trips – Zeit für Land und Leute“. Hier können die Gäste im Rahmen der entsprechenden Angebote auch traditionelles Handwerk ausprobieren oder regionale Spezialitäten nachkochen.
See-Umrundung zwischen Berg und Wasser
Kärnten positioniert sich 2025 als Slow-Travel-Herz Europas. Eines der Angebote: die Millstätter-See-Etappenwanderung „Via Paradiso“ inklusive Gepäckshuttle.
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Trend oder Blase? Bleibt das langsame Reisen eine Mode – oder wird es einen nachhaltigen Sinneswandel bewirken? Das Zukunftsinstitut sieht jedenfalls noch großes Wachstumspotenzial: „Slow Travel lässt sich im Luxus- wie im Low-Budget-Segment realisieren, in der freien Natur ebenso wie in Städten, privat und im Rahmen geschäftlicher Anlässe“, heißt es in einer aktuellen Analyse. Die Zahlen untermauern die Prognose: 85 Prozent der Befragten einer American-Express-Studie möchten künftig Urlaube verbringen, die ihnen „eine wirklich authentische Erfahrung der lokalen Kultur“ ermöglichen. Und mehr als die Hälfte der Österreicher:innen plagt laut einer Marketagent-Umfrage „Flugscham“ (die seit 2020 auch im Duden steht).
Text: Alexander Lisetz
Kochen lernen in Mexiko
Fernreisen mit gutem Gewissen: Der Reiseveranstalter FairAway setzt auf sozial- und klimaverträgliche Konzepte und erhielt dafür schon mehrere Nachhaltigkeitspreise.
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„Terran bedeutet auch, bodenständiger und bewusster zu reisen“