Warum wir immer das Falsche machen, wenn wir das Richtige tun wollen
„Ich hasse die Natur. Ich will die Welt brennen sehen“, sagt … niemand. Im Gegenteil. 82 Prozent der Befragten finden, dass jeder und jede von uns das eigene Verhalten ändern muss, um den Klimawandel aufzuhalten, 84 Prozent fordern das gleiche vom Wirtschaftssystem (Quelle: Klimaschutzministerium). Und drei Viertel der Österreicher:innen tragen sogar schon jetzt aktiv zum Klimaschutz bei – zumindest nach eigener Einschätzung (Quelle: TQS Research & Consulting).
Warum aber kommt der Umbau zur klimafreundlichen Wirtschaft und Gesellschaft dann trotzdem nur so schleppend in die Gänge? Aus welchem Grund treffen selbst die minimalinvasivsten Maßnahmen auch 45 Jahre nach der ersten Weltklimakonferenz noch immer auf so erbitterten Widerstand? Und wieso geben wir uns häufig mit symbolischen Alibi-Maßnahmen zufrieden, statt an den ganz großen Hebeln anzusetzen? It’s the psychology, stupid! Über Jahrtausende angelernte Denkmuster, die uns bei der Mammutjagd und beim Höhlenleben gute Dienste leisteten, sind mit der komplexen Gegenwart oft überfordert, sagt der Grazer Nachhaltigkeitsforscher und Psychologe Thomas Brudermann. Im Gespräch mit profil Extra erklärt er, warum uns die „moderne Selbsttäuschung“ so verführerisch gut gelingt, wie wir unseren plausibel klingenden Ausreden auf die Schliche kommen – und warum wir die Bauanleitung für eine bessere Welt in uns tragen.
„Weil wir vor uns selbst und anderen nicht untätig wirken wollen, reagieren wir oft mit einem undurchdachten Aktionismus-Reflex.“
Die bequeme Ausrede des Abzinsens
Wir alle haben schon vom Marshmallow-Experiment gehört. Unser Umgang mit der Klimakrise funktioniert nach dem gleichen Prinzip, sagt Thomas Brudermann: „Wir müssen uns jetzt einschränken, bekommen dafür aber statt Süßigkeiten nur die vage Aussicht, eine zukünftige Katastrophe abzufedern. Noch dazu können wir die direkte Wirkung unserer Maßnahmen weder sehen noch fühlen.“ Stattdessen zieht das kognitive Phänomen des Abzinsens oder Temporal Discounting einen Beauty-Filter über die Realität. Was in ein, zwei oder drei Jahrzehnten ist, fühlt sich für uns kaum real an. „Wir denken: ,Bis dahin ist es noch lang‘ oder ,Wer weiß, was dann schon dagegen erfunden ist.‘ Eine Lösung wäre, schon jetzt konkrete Erfolgserlebnisse zu schaffen. Etwa: Vermeidet das Unternehmen durch das Engagement der Belegschaft Müll? Dann gibt es für jede eingesparte Tonne einen Warengutschein oder Freibier.“
Der falsche Weg des linearen Denkens
Bisher sind wir mit linearem Denken gut zurechtgekommen. Die Probleme der modernen Welt sind für lineares Denken aber zu komplex, sagt Thomas Brudermann: „Oft fehlt uns der Blick aufs Ganze. Weil wir aber vor uns selbst und anderen nicht untätig wirken wollen, reagieren wir mit einem Aktionismus-Reflex: Wir handeln schnell und ohne Situationsanalyse. Danach legen wir wieder die Hände in den Schoß. Oder wir beginnen, wenn wir etwas engagierter sind, einen Aspekt des Problems nach dem anderen abzuarbeiten.“ Komplexe Probleme wie der Klimawandel erfordern aber, so Brudermann, ein Bündel paralleler, auf einander abgestimmter Maßnahmen.
Der tückische Fehler des Kobra-Effekts
Der Begriff Kobra-Effekt stammt aus der indischen Kolonialzeit: Um einer Plage der gefährlichen Giftschlangen Herr zu werden, zahlte ein britischer Gouverneur angeblich Kopfgeld für jede erlegte Kobra – mit dem Effekt, dass das Züchten von Kobras zum guten Geschäft wurde und nach der Maßnahme viel mehr Kobras Indien bevölkerten als zuvor. „Das Phänomen, dass an sich sinnvolle Maßnahmen einen gegenteiligen Effekt haben, kennt man auch bei Klimaschutzmaßnahmen“, sagt Thomas Brudermann. „In Nordirland förderte die Aktion ,Cash for Ash‘ den Umstieg auf Biobrennstoffe. Sie wurde so gut angenommen, dass die Förderung bald höher war als der Brennstoffpreis. Die Leute verheizten bei offenen Fenstern so viel Brennstoff, wie sie nur konnten – was natürlich sowohl ökonomisch als auch ökologisch ein Desaster war.“ Ein Problem ist auch unsere mangelnde Risiko-Intelligenz in Bezug auf komplexe, unbekannte Gefahren. Unser Bauchgefühl schätzt sie oft falsch ein. Deshalb verzichteten in den USA viele Menschen nach 9/11 aufs Flugzeug und fuhren stattdessen mehr Kilometer mit dem PKW – was zu einem drastischen Anstieg tödlicher Verkehrsunfälle führte.
Der fatale Fehlschluss des Virtue Signaling
„Virtue Signaling ist ein Phänomen, auf das wir alle unbewusst reagieren: Wir glauben tendenziell eher Personen, die eine Behauptung mit großer Überzeugung und Autorität vorbringen. Und wir misstrauen denen, die Unsicherheit ausstrahlen“, sagt Thomas Brudermann. Das erzeugt bei öffentlichen Debatten eine Schieflage: „Wenn Wissenschaftler:innen eine Katastrophe mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ist vor einem Fachpublikum Feuer am Dach. Bei der breiten Masse bleibt hingegen hängen: ,Ganz sicher sind sie sich also auch nicht.‘ Die Gegenseite, die sich nicht an wissenschaftliche Redlichkeit gebunden fühlt, kann das für ihre Zwecke strategisch ausnützen.“
Der Hemmschuh der erlernten Hilflosigkeit
Die meisten Menschen möchten sich für positive Dinge einsetzen. Doch viele leiden unter einem Phänomen, das die Psychologie ,Erlernte Hilflosigkeit‘ nennt: Sie haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Bemühungen durch andere zunichte gemacht werden. Und vergessen dabei, welche Selbstwirksamkeit sie als Wähler:innen und Konsument:innen oder durch ihre Lebensentscheidungen haben. „Leider wird das Klimathema meist sehr abstrakt dargestellt“, bedauert Thomas Brudermann. „Das könnte man ändern, indem man direkteres, erlebbares Feedback fördert: Wer sich per Crowd Funding an einer Windkraftanlage beteiligt, könnte billigeren Strom beziehen. Wer von Schnitzel und Schweinsbraten auf pflanzliche Ernährung umsteigt, wird sich fitter und gesünder fühlen …“
Der Trick mit der moralischen Lizenz
„Jeder von uns möchte sich selbst im besten Licht sehen. Weil wir aber nicht immer so ehrlich, fleißig oder umweltfreundlich sind, wie es unser positives Selbstbild suggeriert, wenden wir Tricks an“, erklärt Thomas Brudermann. Einen dieser Tricks nennt die Psychologie „Moralisches Lizenzieren“. Dabei „erkaufen“ wir uns kleine Sünden mit guten Taten, die uns gar nicht so schwer gefallen sind, so Brudermann. „Wir wissen zwar, dass die Flugreise, die wir gerade gebucht haben, negative Auswirkungen aufs Klima hat. Doch das dürfen wir uns erlauben, weil wir ja dafür im Alltag mit wiederverwendbaren Taschen einkaufen gehen und beim Verlassen des Raums das Licht abdrehen.“ Das gleiche Prinzip wenden Unternehmen an, die im Büro Müll trennen, aber die Produktion nicht auf Kreislaufwirtschaft umstellen. Das Problem: Der Impact ist nur gefühlt ein Nullsummenspiel, die Maßnahmen stehen in Wirklichkeit in keinerlei realistischem Verhältnis zueinander.
Wird trotzdem alles gut?
Wie aber kommen wir aus der Klimapsychologie-Falle ins Handeln? Mit Hilfe der Positiven Psychologie. Sie befasst sich mit den Grundlagen für eine gesunde Entwicklung – und zwar sowohl für uns persönlich als auch für die Gesellschaft. Und gibt Anlass zum Optimismus, dass wir noch einmal die Kurve kriegen. „Überall auf der Welt bewirken viele Menschen aus vielen unterschiedlichen Gründen gute und sinnvolle Dinge“, so Thomas Brudermann. „Die einen lassen sich dazu von historischen Vorbildern inspirieren. Die anderen treibt die Liebe zur Natur an. Und viele motiviert die Sorge um die eigenen Kinder. Aus psychologischer Sicht könnte man sagen: Der Mensch hat ein Händchen dafür, Probleme zu erzeugen – aber auch eines, sie zu lösen.“
Text: Alexander Lisetz