Künstliche Intelligenz

Was bringt KI in der Finanzbranche?

Künstliche Intelligenz verändert unsere Finanzen rasant. Die Potenziale sind groß. Die Herausforderungen auch. 

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Die Arbeit ist ist für Patrick Ratheiser manchmal etwas ernüchternd. Mit seinem Grazer KI-Start-up Leftshift One entwickelt er Chatbots und berät Kund:innen rund um KI-Themen. Spätestens seit der Einführung von ChatGPT sind die Themen Künstliche Intelligenz und generative KI, die Texte oder Bilder erzeugen kann, nicht nur in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Sondern auch in den Vorstandsetagen. Allerdings tut sich so manches Unternehmen mit der Umsetzung schwer – auch in der Finanzbranche. „Einige Unternehmen sind nicht so weit, wie für KI notwendig. Manchmal wird hier der Vertrag noch per Post verschickt“, sagt Ratheiser. 

Das Wichtigste, um auf den KI-Zug aufspringen zu können, ist aber eine breite, digitale Datenbasis. Und eine ausreichende Datenqualität. Daten müssen repräsentativ und richtig kalibriert sein, sonst verursachen Algorithmen Fehler. Bei Asset Managern oder in Bankinstituten wird in sämtlichen Bereichen mit Daten gearbeitet. „Sie zu sammeln und zu analysieren wird immer wichtiger“, so Ratheiser.

Technologie-Hypes sind oft von kurzer Dauer. KI ist aber nicht nur ein Hype. KI wird uns, ähnlich wie das Internet, langfristig begleiten.

Susanne Zach

EY Österreich

Gekommen, um zu bleiben 

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young) hat bei den Entscheider:innen der europäischen Finanzinstitute nachgefragt, welchen Stellenwert die generative KI-Technologie hat: Sie steht auf der Agenda ganz oben. Fast 63 Prozent der Befragten sehen in der Beschleunigung von Systemen und Anwendungen Chancen fürs Unternehmen. Ein Fünftel plant, die Einführung von generativer KI schnell voranzutreiben, um der Konkurrenz voraus zu sein. Susanne Zach leitet das Team für Data & AI bei EY Österreich. Sie betont: „Technologie-Hypes sind oft von kurzer Dauer. KI ist aber nicht nur ein Hype. KI wird uns, ähnlich wie das Internet, langfristig begleiten.“ 

An Begeisterung und Investitionsbereitschaft mangelt es den Führungskräften nicht. Man ist sich einig, dass Banken und Fintechs in den kommenden Jahren kaum etwas so verändern wird wie Künstliche Intelligenz. Möglich ist vieles. Aber: Was ist sinnvoll? Wo können durch den KI-Einsatz tatsächlich Prozesse vereinfacht, Kosten eingespart werden? Manche Zahlen sehen da noch etwas enttäuschend aus. Laut einer Accenture Research Analyse setzen nur zwölf Prozent der Unternehmen weltweit KI auch produktiv ein. Mehr als 60 Prozent experimentieren noch. Das bestätigt auch KI-Experte Ratheiser. Er berichtet von einem österreichischen Unternehmen, für das er beratend tätig war: „Wir haben uns die möglichen KI-Anwendungsfälle angesehen“, so Ratheiser. Dann wurde aussortiert. „Von über 100 Ideen zum Einsatz von KI blieben am Ende 15 übrig.“

Generell sei es wichtig, agil und klein zu starten. Unternehmensberaterin Susanne Zach betont: „In der Finanzbranche wird KI bereits jetzt gewinnbringend eingesetzt, und die Einsatzmöglichkeiten werden sich weiter vermehren.“ Nicht erst seit gestern sind zum Beispiel Chatbots am Start, wie sie Patrick Ratheiser entwickelt. „Sie können bei Bankinstituten die personalisierte Kundenansprache erheblich verbessern und vereinfachen“, sagt er. So werden Bankberater:innen beispielsweise täglich mit den gleichen Fragen geflutet: Wie komme ich an eine neue Bankomatkarte? Wie hoch sind die Zinsen auf meinem Tagesgeldkonto? Oder: Wo kann ich einen Dauerauftrag ändern? Die individualisierten KI-Chatbots von Left-shift One sollen helfen, Fragen wie diese zu filtern. Viele davon kann ein Chatbot beantworten. Die frei gewordenen „Human Ressources“ können dann an anderen Stellen eingesetzt werden. Susanne Zach berichtet etwa vom Einsatz eines Chatbots in einer Investment-Bank: Der Bot beantwortet Kund:innenanfragen, die Bank konnte sich dadurch 80 Arbeitsstunden pro Monat sparen. Anscheinend ist die KI dem Menschen diesbezüglich sogar überlegen: Die Kundenzufriedenheit erhöhte sich um 15 Prozent. 

Vor allem bei digitalen Prozessen kann KI helfen. So veröffentlichte etwa die Erste Bank im vergangenen Jahr eine Finanz-KI zur spielerischen Vermittlung von Finanzwissen. Zum Einsatz kommt ein textbasierter Chatbot. Die KI versteht im Chat komplexe Fragen und gibt Antworten rund um das Thema Finanzen. 

Datenanalyse für mehr Sicherheit

Auch jenseits von Chatbots bietet die Technologie zahlreiche Optionen. „In der Finanzbranche gibt es interessante KI-Anwendungsmöglichkeiten, neben der Verbesserung der Kundenkommunikation auch zur Automatisierung von Back-Office-Aufgaben oder zur Personalisierung des Kundenengagements“, sagt Zach. „Ein Finanzdienstleister setzt KI zum Beispiel für die Zusammenfassung von Transkripten aus Konferenzen ein und reduziert den Analyseaufwand dadurch um 25   Prozent.“ Die Automatisierung rationalisiert Abläufe, senkt Kosten und steigert die Produktivität. 

Ein weiterer großer Bereich: das Thema Sicherheit. KI-gestützte Systeme erkennen etwa auffällige Transaktionen. Sie analysieren große Datenmengen in Echtzeit, um ungewöhnliche Muster und Betrugsfälle zu identifizieren. Belastet eine Kundin beispielsweise im Ausland ihre Kreditkarte mit einer sehr hohen Summe, vergleicht die KI den historischen Verlauf der Kartennutzung in Echtzeit und meldet, wenn die Transaktion nicht plausibel erscheint. Anderes Beispiel: Befindet sich besagte Kundin offensichtlich nicht selbst im Ausland, weil sie noch Minuten zuvor Bargeld am heimischen Bankomaten abgehoben oder bei Billa Einkäufe bezahlt hat, wird die KI ebenfalls „hellhörig“.

KI verbessert unsere Art zu investieren bereits jetzt.

J.P. Morgan Asset Management Österreich

KI beschleunigt den Handel 

Auch Daten wie Finanznachrichten oder Marktdaten können analysiert und in Erkenntnisse umgewandelt werden. Beim Vermögensverwalter J.P. Morgan Asset Management Österreich nutzt man dafür die eigens entwickelte KI-Plattform Spectrum. „KI verbessert unsere Art zu investieren bereits jetzt“, sagt eine Sprecherin. Über Spectrum läuft ein Tool für die Erstellung thematischer Portfolios, das mit Hilfe von KI und Sprachverarbeitung in Echtzeit Schlüsselbegriffe identifiziert. „Die Analyse von Millionen von Datenquellen hilft, die Unternehmen zu selektieren, die für ein Investment am besten geeignet sind.“ Neue KI-basierte Handelstechniken machen es möglich, Trades im Wert von über neun Milliarden US-Dollar und mehr als 20.000 Orders pro Tag auszuführen. Dafür wird kräftig investiert: Allein im Asset Management arbeiten 1.400 IT-Expert:innen.

Zinsanpassung bei Krediten

KI kann auch helfen, Kreditangebote zu personalisieren. „Das Prinzip ist relativ einfach: Ich möchte wissen, wie preissensibel meine Kund:innen sind, um die Annahmewahrscheinlichkeit für einen Kredit zu steigern“, erklärt Kilian Verweyen von der Unternehmensberatung KPMG. Normalerweise werden bei der Kreditvergabe Bewertungsmodelle eingesetzt, die Faktoren wie etwa das verfügbare Einkommen berechnen, um Angebote zu erstellen. Durch den Einsatz von Machine Learning – ein weiterer KI-Zweig – kann dieser Prozess personalisiert werden. Die Modelle nutzen Kund:innendaten, um vorherzusagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit und zu welchem Zinssatz ein Kunde das Angebot annimmt. „Hat etwa ein Kunde zuvor ein Vergleichsportal besucht, spricht das dafür, dass er preissensibler ist. Die KI betrachtet aber nicht nur diesen Parameter, sondern auch das Alter des Kunden, die Zeit des Kreditantrags oder das verwendete Endgerät.“ Der Zins wird entsprechend angepasst. Auch da gilt: Ohne Daten geht nichts. „Es ist vor allem für Institute interessant, die eine digitale Antragstrecke bei Krediten haben.“

Das System der Zinsanpassung sei bereits im Einsatz, aber meist noch in der Pilotphase. „Es zeigt sich, dass die KI erfolgversprechendere Ergebnisse erzielt als statistische Modelle.“ Allerdings gibt es ein Problem: Das Innenleben des neuronalen Netzwerks ist schwer zu verstehen. „Bei statistischen Modellen kann man gut nachvollziehen, woher unplausible Ergebnisse kommen, und das Modell anpassen. Bei KI-Modellen ist man hingegen darauf angewiesen, dass es selbst lernt.“ Letztlich könne nicht verhindert werden, dass die KI Fehler mache. „Deshalb werden beim Einsatz von KI strenge Rahmenbedingungen gesetzt.“ Am Ende müssen Mitarbeitende noch mal draufschauen, ob das auch wirklich alles so passt.

 

EU reguliert KI-Anwendungen

Trifft eine KI Entscheidungen, sollten diese fair und transparent sein. Das hat auch die EU erkannt. Der AI Act der Europäischen Union will vertrauenswürdige KI-Systeme fördern und reguliert sie entsprechend. Dazu werden KI-Systeme in Risikokategorien eingeteilt: Zu den Anwendungen mit inakzeptablem Risiko gehört beispielsweise das Social Scoring. 

„Das kennt man aus dem asiatischen Raum“, sagt KI-Experte Patrick Ratheiser. Social Scoring ist die Bewertung von Menschen nach einem Punktesystem. Für wünschenswertes (Finanz-)Verhalten bekommt man Punkte, für negatives Verhalten verliert man sie. Das stimmt mit den EU-Werten nicht überein und ist grundsätzlich verboten. 

Dann gibt es KI-Systeme mit hohem Risiko, wozu das Kreditscoring, also die Bonitätsprüfungstools von Banken gehören. Für die EU zählt der Zugang zu Krediten zur Grundversorgung. „Daher muss man Vorsicht walten lassen und die Anforderungen des AI Acts genau prüfen“, betont Ratheiser. 

Auch KPMG-Berater Verweyen weist auf Unsicherheiten hin: „Der AI Act ist zwar verabschiedet, es gibt aber noch keine aussagekräftige Rechtsprechung. In Teilen gestaltet es sich noch etwas vage.“ Es sei etwa noch nicht klar, wie Kreditscoring im AI Act genau definiert wird. „Und ich kann nicht hundertprozentig ausschließen, dass Systeme zur Zinsanpassung aus Sicht des Regulators unter Kreditscoring fallen.“

Wettbewerbsvorsprung durch KI

Immer Recht hat die KI also nicht und ihr Einsatz erfordert regulatorischen Aufwand. Das sollte allerdings kein Unternehmen davon abhalten, sie einzusetzen. „Das Wichtigste ist, die Mitarbeiter:innen mitzunehmen. Man muss eine Begeisterung für KI-Themen schaffen und im Unternehmen KI-Kompetenz aufbauen. Die Mitarbeiter:innen müssen in der Lage sein, die Ergebnisse auch kritisch zu hinterfragen“, betont Ratheiser. 

 

Die KI ist stark bei geistigen Routineaufgaben, die keiner machen will. Wir Menschen können uns dann auf die wertschöpfenden Prozesse konzentrieren.

 

Patrick Ratheiser

CEO und Co-Founder des Grazer KI-Start-ups Leftshift One

 

Bis die KI in der Finanzdienstleistungsbranche komplett integriert ist, dauert es noch. Die Herausforderungen sind groß – angefangen bei der gewinnbringenden Implementierung bis hin zu Datenschutzfragen. „In der Finanzbranche spielt der Datenschutz eine große Rolle, das ist in anderen Branchen etwas anders“, sagt Ratheiser.

Neben Risiken und Herausforderungen gibt es aber eben auch großes Potenzial: „Die KI ist stark bei geistigen Routineaufgaben, die keiner machen will. Wir Menschen können uns dann auf die wertschöpfenden Prozesse konzentrieren“, sagt Ratheiser. Und wer es schafft, KI gewinnbringend im Unternehmen einzusetzen, hat einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz, da sind sich die Expert:innen einig.

 

Text: Sabrina Erben