Welche Versicherung braucht es wirklich?
Als Braut und Bräutigam frisch vermählt ins Freie treten, übertönt ein Donnerschlag die Kirchenglocken. Binnen Sekunden sind beide vom Platzregen bis auf die Haut durchnässt – und tanzen dennoch gut gelaunt Walzer durch die Pfützen. Für das Mistwetter am Hochzeitstag wird das Neo-Ehepaar nämlich mit 5.000 Euro entschädigt.
Kurios? Aber möglich. Regnet es am Tag der Vermählung mehr als 7,5 Liter pro Quadratmeter, zahlt die Hochzeitswetterversicherung der Linzer Versicherungsgesellschaft Lamie diese Summe aus. Und ist damit bei weitem nicht die skurrilste Versicherung, die man abschließen kann. US-Versicherungen boten schon Polizzen gegen Alien-Entführung an. Ein deutscher Anbieter hatte einmal eine Versicherung gegen eine allfällige Bier-Prohibition im Programm. Und zahlreiche Prominente ließen sich bereits ihre Markenzeichen versichern – so etwa Julia Roberts ihr Lächeln (18 Millionen Euro) und Cristiano Ronaldo seine Beine (212 Millionen Euro).
Und in Österreich? Hier gibt im Schnitt jede:r Erwachsene 2.002 Euro pro Jahr für Versicherungen aus – und zwar vorwiegend für Lebens-, Schaden-, Unfall- und Krankenversicherungen. Doch welche Versicherung ist wirklich unverzichtbar, welche nur Geldverschwendung? Und wie gelingt es Laien, beides auseinanderzuhalten?
Risiken richtig einschätzen
„Am Anfang muss immer die Erhebung des Ist-Zustands stehen“, sagt Alexander Gimborn, Präsident des Österreichischen Versicherungsmaklerrings (ÖVM). „In welcher Lebenssituation befinde ich mich? Wohin geht die Reise? Wofür und für wen muss ich vorsorgen? Diese Fragen sollte man sich alle paar Jahre selbstkritisch stellen.“ Denn mit dem Alter, der Einkommens- und Familiensituation ändert sich auch der Versicherungsbedarf.
Zuerst müssen wir für die Situationen vorsorgen, die uns finanziell den Boden unter den Füßen wegziehen können.
Eines bleibt aber allgemeingültig: „Worauf es ankommt, ist, dass wir existenzielle Risiken absichern. Ja, natürlich kann für Einzelne auch eine Handy-Display-Bruchversicherung nützlich sein. Aber zuerst müssen wir für die Situationen vorsorgen, die uns finanziell den Boden unter den Füßen wegziehen können.“
Neben den gesetzlichen Pflichtversicherungen sollten daher drei Säulen die Basis einer vernünftigen Absicherung bilden, sagt Gimborn: „Eine Haftpflicht-, eine Unfall- und eine Berufsunfähigkeitsversicherung.“ Warum gerade diese drei? Weil sie realistische Risiken abdecken, die im Fall des (Not-)Falles mit großer Wahrscheinlichkeit in ruinöse Probleme stürzen können. Und weil im Schadensfall die möglichen Kosten allein mit Rücklagen oder Ersparnissen für die meisten nicht aufzufangen sind.
Zu krank zum Arbeiten?
Vergleicht man Schadenswahrscheinlichkeit und Versicherungsstatus, besteht bei den meisten Österreicher:innen eine gefährliche Schieflage. Zwar haben zwei Drittel eine private Rechtsschutz- und/oder Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Doch nur vier Prozent aller österreichischen Erwerbstätigen besitzen eine Vorsorge für den Fall, zu krank zum Geldverdienen zu werden. Ein unterschätztes Risiko: „Durchschnittlich jede:r vierte Arbeitnehmer:in in Österreich muss damit rechnen, im Lauf des Erwerbslebens berufsunfähig zu werden“, rechnet der Verein ChronischKrank vor. Mehr als ein Drittel der Berufsunfähigkeitsfälle betrifft dabei psychische Erkrankungen, 20 Prozent der Fälle gingen 2023 auf Rücken- und Gelenkbeschwerden zurück, bei 17 Prozent lag eine Krebserkrankung zugrunde. Von Vater Staat ist in solchen Fällen oft wenig zu erwarten, warnt Gimborn, der auch einen Podcast namens „Sicher durchs Leben“ betreibt: „Zwei von drei Anträgen werden abgelehnt.“
Richtig ins Geld gehen können auch Missgeschicke mit dem eigenen Kraftfahrzeug. Wer etwa an einem der jährlich 35.000 Verkehrsunfälle mit Personenschaden schuld ist, trägt neben Schock und Schuldgefühlen oft auch beträchtlichen finanziellen Schaden davon. „Die Mindestversicherungssumme – diese beträgt für PKW derzeit 7,6 Millionen Euro – kann schnell ,verbraucht‘ beziehungsweise zu gering sein“, warnt der Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs. „Sinnvoll wäre es, diese Summe gegen einen geringen Prämienaufschlag zu erhöhen.“
"Wer eine Versicherung abschließen will, braucht einen Versicherungsmakler"
Alexander Gimborn, Präsident des Österreichsichen Versicherungsmaklerrings
Alles abgedeckt?
In existenziellen Schlamassel geraten viele auch durch Probleme mit dem Eigenheim. Küchenbrand, Wasserrohrbruch oder Sturmschaden sind schnell passiert, gehen massiv ins Geld – und sind durch bestehende Versicherungen nicht immer gedeckt. „Die Versicherungsangebote sind im Kernbereich zwar ähnlich, im Detail jedoch sehr unterschiedlich“, gibt die Arbeiterkammer zu bedenken. Und rät dazu, die persönlichen Bedürfnisse und Gegebenheiten vor dem Abschluss eines Vertrages genau mit den vereinbarten Leistungen abzugleichen: Deckt die Versicherung auch Solaranlage und Wintergarten ab? Kann man (etwa bei einer Beschädigung der Heizanlage) für Umweltschäden haftbar gemacht werden? Und wird auch im Fall von grober Fahrlässigkeit bezahlt?
„Es lohnt sich, vor der Unterschrift zu überlegen, bei welchem Versicherungsunternehmen man welches Produkt abschließt und ob das Produkt tatsächlich mit den Bedürfnissen übereinstimmt“, sagt Konsument:innenschützer Thomas Haghofer. Doch für den Laien ist das Angebot schwer zu überblicken: Um den jährlichen Kuchen von 20,3 Prämien-Euromilliarden zanken sich in Österreich derzeit rund 27.000 Versicherungsangestellte in 43 Unternehmen. Die Bruttowertschöpfung der Branche beträgt rund vier Prozent der gesamten österreichischen Wirtschaftsleistung, die Hälfte des Umsatzes teilen sich die drei Unternehmen Uniqa, Wiener Städtische und Generali untereinander auf.
Besonders gefragt sind dort jene Versicherungen, die auch als Geldanlage funktionieren: etwa Kapital- und (Ab-)Lebensversicherungen, die mit 5,135 Milliarden Euro im Vorjahr rund ein Viertel der Gesamtprämien ausmachten.
Mit vereinten Kräften
Rund ein Viertel: Das entspricht auch dem Anteil an den rund 600 Konflikten zwischen Versicherungsnehmer:innen und Versicherungsunternehmen, die Thomas Haghofer jährlich in der Versicherungsbeschwerdestelle des Sozialministeriums schlichten muss. „Viele wollen mit einer Pensions- oder Lebensversicherung Kapital ansparen und sind mit dem Produkt unzufrieden, weil es sich schlecht entwickelt oder zusammen mit hohen Vermittlungsgebühren sogar Verluste schreibt. Andere suchen unsere Hilfe, weil bestimmte Schäden nicht oder nur zu einem geringen Anteil vergolten werden“, erklärt er.
In rund zwei Drittel der Fälle bewirkt die Intervention der Beschwerdestelle zumindest einen Kompromiss in Form einer einvernehmlichen Lösung – etwa, weil nachgewiesen werden kann, dass der Kunde oder die Kundin vor der Vertragsunterschrift nicht gut genug beraten wurde. „Viele lassen sich von ihrem Berater oder ihrer Beraterin zu einem Produkt überreden und sind nachher enttäuscht. Dabei ist das EU-Recht klar: Als Konsument:in kann ich für jedes Versicherungsprodukt Unterlagen einfordern, in denen die Versicherungsleistungen auf einen Blick und für den Laien verständlich erklärt sein müssen. Die kleine Mühe, sich diese paar Seiten durchzulesen, sollte man sich schon machen.“
Kritisch bleiben
Bevor man sich für oder gegen ein Produkt entscheidet, sollte man das Angebot am Markt vergleichen – und nicht nur seiner Stammversicherung das Ohr leihen. Diesen Job übernimmt bei Bedarf auch eine:r der rund 600 Versicherungsmakler:innen, die es in Österreich gibt. Für Alexander Gimborn vom Versicherungsmaklerring ist das ohnehin der einzig richtige Weg: „Wer Zahnschmerzen hat, muss zum Zahnarzt. Wer ein juristisches Problem hat, geht zum Rechtsanwalt. Und wer eine Versicherung abschließen will, braucht einen Versicherungsmakler.“
Die Vorteile liegen auf der Hand: Gute Vermittler:innen haben einen routinierten Blick auf das Gesamtangebot, können das passende Produkt mit Fingerspitzengefühl auf ihre Klient:innen abstimmen und helfen auch mit Nachdruck bei der Durchsetzung von Ansprüchen. Zusätzlich sind sie nach dem Maklergesetz für ihre Empfehlungen haftbar.
Einen Haken gibt es dabei aber auch. „Makler:innen sind zwar gesetzlich verpflichtet, ihre Kund:innen bestmöglich zu beraten“, sagt Stefan Trojer von der im Finanzministerium angesiedelten Versicherungsmakler:innen-Beschwerdestelle. „Ganz unabhängig sind sie aber nicht, weil sie für ihre Vermittlung vom Versicherer eine Provision erhalten.“ Schwarze Schafe seien, so Trojer, zwar in der streng reglementierten und professionell ausgebildeten Branche österreichweit die Ausnahme. Trotzdem sollte man die Suche nach der passenden Versicherung – mit oder ohne Makler – „nicht blauäugig angehen. Sondern immer auch selbst recherchieren, sich umhören, googeln“.
Bei der Entscheidung, welche Versicherung man letztlich wirklich braucht und welches Produkt das passende ist, helfen auch Online-Tools. Einen guten Überblick bietet zum Beispiel die Online-Risikoanalyse des Vereins für Konsumenteninformation (VKI), die auf Basis von Lebensumständen, persönlichen Vorlieben und Risiko-Wahrscheinlichkeit passende Versicherungsleistungen errechnet (vki.riskine.com). Beim Recherchieren von Kosten und Prämien hilft das Tarifvergleichsportal durchblicker.at.
Text: Alexander Lisetz
Versicherungsfalle
Fall 1: Das verunstaltete Model
Wie wichtig die regelmäßige Evaluierung des Versicherungsstatus ist, zeigt das Beispiel einer Wiener Familie, die sich wegen einer fehlenden Haftpflichtversicherung verschulden musste. „Die Tochter hatte gerade maturiert und sammelte erste Berufserfahrung“, erzählt ÖVM-Präsident Alexander Gimborn. Bei einer privaten Feier wurde ein Lagerfeuer angezündet, die Tochter half mit Brandbeschleuniger nach. „Es kam zu einer Stichflamme, durch die eine Freundin Verbrennungen erlitt. Weil diese als Model arbeitete, klagte sie auf Verdienstentgang.“ Die Familie zahlte, denn ihre seit 18 Jahren bestehende Haftpflicht-Mitversicherung war durch den Berufseinstieg der Tochter erloschen.
Fall 2: Am falschen Platz gespart
Bei der Eigenheimversicherung an den Gebühren zu sparen, klingt verlockend. „Doch es ist wesentlich, dass die Versicherungssumme, die Sie festlegen, auch tatsächlich dem Wert der versicherten Sache entspricht“, empfiehlt der Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs. Er bringt als Beispiel ein 200.000 Euro wertvolles Haus, das nur um 150.000 Euro versichert ist und bei einem Brand beschädigt wird – der Schaden beträgt dabei 100.000 Euro. „Da die Versicherungssumme nur 75 Prozent des Gebäudewerts entspricht, wird auch nur 75 Prozent des eingegangenen Schadens ersetzt. Die Entschädigungsleistung beträgt daher nur 75.000 Euro. Die fehlenden 25.000 Euro müssen Sie aus eigener Tasche bezahlen, weil Sie unterversichert waren.“
Fall 3: Die Auslandsfalle
Wer eine Fernreise antritt, schließt gerne eine Reisekrankenversicherung ab (oder verlässt sich auf den Versicherungsschutz seiner Kreditkarte). Dabei kann schon ein Unfall im benachbarten Ausland – neben dem unmittelbaren – auch ins finanzielle Unglück stürzen. „Bei Inanspruchnahme privater Krankeneinrichtungen im EU-Raum werden die Kosten von österreichischen Sozialversicherungen nicht oder nur minimal übernommen“, sagt Alexander Gimborn vom ÖVM. „Und auch die Reise-Deckungen der Kreditkartenanbieter sind nicht annähernd bedarfsorientiert.“ Zum Beispiel in Italien werden mehr als die Hälfte der Spitäler privat betrieben. So kann nach einem Skiunfall in Südtirol jeder Tag auf der Intensivstation mit 15.000 bis 20.000 Euro zu Buche schlagen.