Weltretten: Die 10 Rs der Transformation
1. Refuse
Der radikalste Schritt, um Abfall und Ressourcenverbrauch zu reduzieren, ist, bestimmte Produkte und Materialien gar nicht erst zu produzieren oder als Kund:innen auf deren Kauf oder Nutzung zu verzichten. Sei es, weil sie selten in Anspruch genommen werden und daher unnötig sind, oder weil sie ganz einfach einer nachhaltigen Lebensweise widersprechen.
Allein beim Einkauf könnten zum Beispiel laut Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) jährlich weltweit fünf Billionen Plastiksackerl und damit bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen eingespart werden. Und in Österreich könnte die Vermeidung von Verpackungen laut RepaNet bis zu 150.000 Tonnen weniger Müll pro Jahr bedeuten.
Gleichzeitig gilt es, bestimmte Produkte künftig überflüssig zu machen, weil ihr Nutzen anders erbracht wird. Car-Sharing setzt zum Beispiel hier an. Ein Carsharing-Auto kann bis zu 20 gekaufte Fahrzeuge ersetzen. Das spart nicht nur Rohstoffe bei der Fahrzeugherstellung, sondern auch Platz im Verkehr und im öffentlichen Raum. Laut Mobilitätsorganisation VCÖ haben private PKW eine durchschnittliche Stehzeit von 23 Stunden pro Tag.
2. Rethink
Durch modulare, zirkuläre Designs lassen sich Produktlebenszyklen verlängern und damit Materialverbrauch, Müllberg und Emissionen verringern. Eine Analyse des Europäischen Umweltschutzbüros ergab, dass jährlich vier Millionen Tonnen CO2 weniger anfallen würden, würden alle Waschmaschinen, Notebooks, Staubsauger und Smartphones in der EU nur ein Jahr länger halten. Eine Menge äquivalent derer, die zwei Millionen Autos im selben Zeitraum ausstoßen. Und die Rede ist hier von lediglich vier Produkten. Auf alle Elektro(nik)-Geräte bezogen ergibt sich ein noch weit größeres Potenzial.
Laut WEEE-Forum landeten allein 2022 5,3 Milliarden Handys im Müll, weniger als 20 Prozent wurden recycelt. Aufeinander gestapelt würden sie 50.000 km hoch aufragen. Die Herstellung jedes neuen Gerätes verbraucht zudem so viel Energie wie die Nutzung eines Smartphones während eines ganzen Jahrzehnts. Eine Lösung könnten Fairphones sein. Ihr modulares Design, das eine leichtere Reparatur erlaubt, erhöht die Lebensdauer von drei auf fünf Jahre. Der Einfluss auf die globale Erwärmung kann so um 30 Prozent reduziert werden, zeigt das Life Cycle Assessment der Fraunhofer-Gesellschaft.
Zirkuläres Design macht zudem eine intensivere Produktnutzung in Miet- oder Sharing-Modellen möglich. Eine Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie zeigt, dass Österreichs Unternehmen ihre CO2-Emissionen durch solche kreislauffähigen „Product-as-a-Service“-Geschäftsmodelle um bis zu 30 Prozent senken könnten.
3. Reduce
Der Strategie-Baustein „Reduce“ setzt bei der „Mit weniger mehr machen“-Fragestellung an – beginnend beim Energieaufwand in der Produktion bis hin zum bewussteren Konsum. Ein besonders anschauliches Beispiel: die Reduktion von Verpackungen. Zwischen 20 und 40 Prozent des Verpackungsgewichtes könnten – bei gleichbleibendem Produktschutz – vermieden werden, so das Österreichische Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFi).
Auch in privaten Haushalten gibt es viel Reduktionspotenzial. Angefangen beim Kauf von Küchenrollen, deren Blätter nur mehr halb so groß sind, bis hin zum Lebensmittelkonsum. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) werden weltweit pro Jahr 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verschwendet, das entspricht etwa acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Würden diese Abfälle halbiert, könnte das jährlich 3,3 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen einsparen.
4. Reuse
Statt noch funktionsfähige Produkte nach (einmaligem) Gebrauch wegzuwerfen und durch neue zu ersetzen, geht es bei Reuse darum, Güter so lange wie möglich im Einsatz zu halten – indem sie weiterverkauft (Second-Hand), gespendet, wiederverwendet oder umgenutzt werden.
Das Reuse-Potenzial groß. In den Bereichen Elektrogeräte, Möbel oder Mode hat es bereits neue Geschäftsmodelle befördert. Was früher Flohmärkte und Kleiderkreisel leisteten, übernehmen heute Online-Plattformen wie eBay Kleinanzeigen und Vinted. Sie treten u. a. dem Problembereich Fast-Fashion entgegen. Seit 2000 hat sich der Absatz von Kleidung mehr als verdoppelt, während sich die Lebensdauer der Modeteile zunehmend verkürzte. Mit 1,2 Milliarden Tonnen verursacht die Produktion von Textilien laut der Ellen MacArthur Foundation rund zehn Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes pro Jahr – mehr als alle internationalen Flüge und der gesamte Schiffsverkehr zusammen. Nach einer Studie der Foundation reduzieren sich die Treibhausgasemissionen der Modeindustrie um 44 Millionen Tonnen jährlich, wenn der Lebenszyklus von Kleidung nur um neun Monate verlängert wird.
Die Umstellung auf Mehrwegverpackungen fällt ebenfalls in diese Kategorie. Würden sämtliche Einweg-Plastikflaschen durch Glas-Mehrweg ersetzt, würde das den Plastikverpackungsmüll um bis zu 40.000 Tonnen oder etwa 15 Prozent reduzieren, so eine Greenpeace-Studie. Zusätzlich sind auch die Transportkisten wiederverwendbar.
5. Repair
Ob defekte Waschmaschine oder kaputtes Fahrrad: Vieles lässt sich reparieren und weiter nutzen. Allein durch die Reparatur von Elektronikgeräten, die dadurch im Schnitt zwölf Monate länger in Gebrauch bleiben, ließen sich laut European Environmental Bureau in der EU 18 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr einsparen.
Damit der Repair-Baustein greifen kann, braucht es jedoch Produkte, die so designt sind, dass sie sich auch (bezahlbar) reparieren lassen (siehe Rethink). Daran mangelte es oft, Stichwort: geplante Obsoleszenz. Die EU reagierte und verabschiedete im Oktober 2019 die Ökodesign-Verordnung, die Hersteller von Handys, Tablets und Laptops verpflichtet, ihre Produkte reparaturfreundlicher zu gestalten. Um auch die Bereitschaft der Konsument:innen zur Reparatur zu fördern, wurde 2022 etwa der österreichweite „Reparaturbonus“ etabliert. Bis Anfang 2024 wurden laut Klimaschutzministerium bereits rund 840.000 Bons eingelöst. Knapp 50.000 Handys machte man allein in Wien wieder fit. Noch oben drauf kommen die Leistungen des Wiener Reparaturbons. Dank ihm konnten über 40.000 weitere Gegenstände – von der Handtasche über Spielzeug und Uhren bis hin zu Fahrrädern und Möbeln – repariert und so bis Anfang diesen Jahres 2.860 Tonnen CO2 eingespart werden.
Österreichweit gab es mit Stand Jänner zudem bereits fast 100 kostenlose „Repair Cafés“. Auch ihre Zahlen können sich sehen lassen: 80 Prozent Reparaturquote, 84.500 Kilogramm vermiedene Abfälle, 402.000 Tonnen eingesparte CO2-Äquivalente.
6. Refurbish
Wenn eine alte Holzkommode einen neuen Anstrich erhält oder ein in die Jahre gekommener Laptop mit aktueller Software ausgestattet wird, spricht man von Refurbishment. Im Unterschied zur Reparatur geht es hier auch um die „Wie neu“-Verbesserung von Ausgemustertem. Beschädigte Komponenten werden ersetzt, ein runderneuertes Produkt entsteht. Ein weiterer Vorteil für die Konsument:innen: Im Wiederverkauf sind die Produkte oft günstiger als Neugeräte.
Durch die Generalüberholung kann der Bedarf an neuen Materialien verringert werden – heißt auch: weniger Abfälle und CO2-Emissionen. Laut Back Market, einer Plattform für generalüberholte Elektronikgeräte, spart bereits ein erneuertes Smartphone im Vergleich zu einem Neugerät 48 Kilogramm CO2 und 145 Kilogramm Rohstoffe. Würden jährlich eine Million Smartphones aufbereitet statt neu produziert, könnten weltweit 48.000 Tonnen CO2 eingespart werden.
7. Remanufacture
Werden wertvolle Komponenten aus defekten Produkten ausgebaut, um sie an anderer Stelle, aber in gleicher Funktion wieder einzubauen, ist man beim Kreislaufstrategie-Baustein Remanufacture. Das Wiederaufbereiten findet man häufig in der Automobil-, Flugzeug- oder Maschinenbauindustrie, aber auch bei Büromöbeln, medizinischer Ausrüstung oder Elektronik.
Durch Remanufacturing reduziert sich der weltweite CO2-Ausstoß allein in der Automobilindustrie jährlich um mehrere Millionen Tonnen. Der internationale Verband APRA (Automotive Parts Remanufacturers Association) hält diese Circular-Economy-Strategie daher auch für eine der nachhaltigsten Formen modernen Wirtschaftens. Gegenüber der Neuteileherstellung werden knapp 90 Prozent des Materials eingespart, über 70 Prozent der CO2-Emissionen sowie 55 Prozent der Energie.
Neben der Umwelt profitieren auch die Verbraucher:innen: Im Schnitt zahlen Werk-stattkund:innen für ein aufgearbeitetes Autoersatzteil bis zu 30 Prozent weniger.
8. Repurpose
Wenn aus Alt-Reifen Möbel werden, aus ehemaligen LKW-Planen Taschen entstehen oder stillgelegte Klöster nach dem Umbau als Hotels dienen, ist man beim Repurpose. Das Umfunktionieren von Dingen, die für eine bestimmte Funktion geschaffen wurden, künftig aber einem neuen Zweck dienen, wird auch als Upcycling bezeichnet. Anders als beim Recycling wird Gebrauchtes dabei nicht in seine Bestandteile zerlegt, sondern für ein neues Leben adaptiert.
Innovative „Aus alt mach neu“-Ansätze, die Ressourcen einsparen, gibt es viele. Etwa in der Modebranche: Bei der Herstellung eines herkömmlichen T-Shirts werden beispielsweise 12 bis 13 Kilogramm CO2 ausgestoßen, bei einem upgecycelten Shirt, das aus Alttextilien wie Bettwäsche besteht, sind es nur 200 bis 300 Gramm. In anderen Sektoren sind die Effekte natürlich größer. Im Bausektor etwa, der einer der größten Verursacher von CO2-Emissionen ist. Fast zwei Drittel davon entstehen bereits in der Bauphase. Laut dem Bundesverband Bauen im Bestand (BiB) entstehen bei Neubauten derzeit zwischen 800 und 1.000 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter, bei der Sanierung von Bestandsgebäuden sind es nur 100 bis 300 Kilogramm. Umnutzung statt Abriss und Neubau ist daher auch ökologisch sinnvoll.
9. Recycle
Das wahrscheinlich bekannteste Prinzip der Kreislaufwirtschaft: Recycling. Materialien werden dabei aus gebrauchten Produkten zurückgewonnen, um sie für neue, meist weniger „wertvolle“ Produkte wiederzuverwenden. Aus Schreibpapier wird etwa Toilettenpapier. Das spart Rohstoffe und Energie.
Recyclingquoten tragen maßgeblich zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft bei. Bei vielen Verpackungsmaterialien wie etwa Glas, Papier oder Metallverpackungen hat Österreich die EU-Ziele für 2025 bereits erreicht und nahezu sogar schon jene für 2030. Herausforderung bleibt die Recyclingquote bei Kunststoffverpackungen, die aktuell bei 25 Prozent der 300.000 anfallenden Tonnen Verpackungsmüll pro Jahr liegt. Sie muss noch deutlich erhöht werden. Bis 2025 auf 50 Prozent, bis 2030 ist eine weitere Steigerung um 15.000 Tonnen jährlich erforderlich.
Was das Erreichen der Quotenziele für die Umwelt bedeutet, zeigt ausschnittsweise das Aluminium-Recycling. Hier können laut der International Energy Agency bis zu
95 Prozent der Energie eingespart werden, die bei der Herstellung von Primäraluminium benötigt werden. Gelänge es, allein die weltweite Aluminiumrecyclingrate um zehn Prozent zu erhöhen, könnte das den jährlichen CO2-Ausstoß um 60 Millionen Tonnen verringern. Das entspricht fast den kumulierten Emissionen Österreichs in 2023.
10. Recover (Zurückgewinnen)
Das letzte R bezieht sich darauf, aus nicht-recyclebaren Abfällen Materialien oder zumindest Energie zurückzugewinnen, wenn eine Wiederverwendung oder ein Recycling nicht mehr möglich ist. Dies geschieht häufig durch thermische Verwertung, wie etwa bei der Verbrennung von Restmüll zur Stromerzeugung oder Wärmegewinnung. Durch die Rückgewinnung von Energie aus Abfällen werden in Österreich jährlich über 3,5 Millionen Tonnen Müll in Energie umgewandelt, was eine erhebliche Reduktion fossiler Brennstoffe ermöglicht.
Text: Daniela Schuster