Recycling

Zweites Leben: Von Glas über Papier bis hin zu Kunststoffen

Für einige Materialen gibt es bereits Recyclingverfahren entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Für andere fehlt diese Inwertsetzungsperspektive noch. Aber es wird an Lösungen geforscht.

Drucken

Schriftgröße

3.319 Kilo – so hoch liegt das jährliche Pro-Kopf-Abfallaufkommen in Österreich. Das entspricht dem Gewicht von zwei vollgetankten VW-Golfs oder einem Tesla Cybertruck. Dazu kommen noch insgesamt fast 44 Tonnen Aushubmaterial aus der Bauwirtschaft – macht laut Umweltministerium in Summe knapp 74  Millionen Tonnen Mist, die im Jahr zwischen Boden- und Neusiedlersee anfallen. Das ist nicht nix – und jedenfalls eine lukrative Fundgrube für wertvolle Sekundärrohstoffe. Denn wichtige Rohstoffquellen werden mittelfristig austrocknen oder nur noch schwer oder gar nicht mehr zugänglich beziehungsweise wird die Materialgewinnung und -verarbeitung zu teuer oder schmutzig sein. Umso wichtiger wird die Wiederverwertung bereits verwendeter Materialien nach deren erstem Nutzungszyklus.

Die Lösungssucher

Für Eisenmetalle, Glas, Papier und viele Kunststoffe sind bereits in großem Maßstab Recyclingverfahren etabliert, um Sekundärrohstoffe aus Produktions- und Abfallströmen zurückzugewinnen. Für andere Materialien fehlt diese Inwertsetzungsperspektive jedoch noch. Im Digital Waste Research Lab in St. Michael bei Leoben in der Obersteiermark forscht man an entsprechenden Lösungen. Das Ziel: entlang der Wertschöpfungskette Mehrwert aus Abfallströmen zu generieren. In der Expositur der Montanuniversität steht seit einem Jahr eine weltweit einzigartige Forschungsanlage zur Charakterisierung und Sortierung von Schüttgütern (Bild). „Hier kann im großtechnischen Maßstab experimentiert werden“, erklärt Laborleiter Renato Sarc vom Lehrstuhl für Abfallverwertungstechnik und Abfallwirtschaft (AVAW). Aktuell nutzen 14 Industriepartner wie Andritz, Siemens, Borealis, Redwave, Komptech, IFE und EVK diese Möglichkeit für eine kooperative Forschung im Bereich digitaler Abfallanalytik, Abfallverfahrenstechnik sowie computergestützter Abfalltechnik.

„Mit maßgeschneiderter Software, KI-Anwendungen für das Datenmanagement und Automatisierungshardware tragen wir dazu bei, Recyclingprozesse zu optimieren“, so Sarc. Dafür kommen zwischen Messbrücken und Beschleunigungsbändern Infrarotkameras, Lasersensoren und Radiofrequenz-Identifikationssysteme zum Einsatz, um neue Grundlagen der Abfallanalytik und Sortiertechnologie zu erforschen. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in den Aufbau einer „Smart Waste Factory“ ein, mit der noch bessere, materialqualitätsangepasste Sortier- und Recyclingergebnisse erzielt werden sollen. 

Limitierender Recyclingfaktor sind bislang nämlich noch die heterogenen Mixturen und die unterschiedlichen Qualitäten der Verbundstoffe. Ein möglichst umfassendes Herauslösen und selektives Trennen aus den Stoffverbindungen ist daher entscheidend. „Denn neu gewonnene Fraktionen und die hergestellten Rezyklate müssen hohe Qualitätsanforderungen erfüllen, damit der Kreislauf nachhaltig geschlossen werden kann“, erklärt Sarc.

Global neue Maßstäbe setzen

Einige heimische Firmen setzen diesbezüglich bereits global Maßstäbe. So bietet Redwave aus Gleisdorf Aufbereitungsanlagen im Bereich Metallrecycling, die aus einem Mix aus Nichteisenmetallen Kleinstteile ab einer Größe von vier Millimeter zuverlässig erkennt und sortiert, um daraus hochwertige und reine Produkte wie Kupfer, Messing, Zink sowie Edelmetallfraktionen höchster Qualität aufzubereiten. Auch Binder+Co hat sein Headquarter in Gleisdorf und bietet weltweit führende Lösungen für die sensorbasierte Sortierung von Altglas, Metallen, Bauschutt und weiteren Recyclingstoffen. Dank Laser- und Sensortechnologie können in Sekundenbruchteilen verschiedene Metalllegierungen im Müll erkannt, herausgelöst und später als sortenreiner Sekundärrohstoff wiederverwertet werden. Allein bei Aluminium wird durch Recycling 95 Prozent Energie eingespart.

Nicht nur aus energetischen, sondern auch aus ökologischen Motiven und im Hinblick auf die ab 2027 geltende EU-Batterienverordnung steht auch das Recycling von Batterien aus E-Fahrzeugen weltweit im Fokus von Forschern und Entwicklerinnen. Es geht um eine Rückgewinnung von meist aus Afrika und Asien stammenden Materialien wie Lithium, Kobalt und Nickel. „ProtectLib“ will diese in den Batterieblöcken zu einem hochenergetischen Amalgam „verschmolzenen“ wertvollen Rohstoffe wieder herauslösen. Das Start-up mit Wurzeln an der Uni Graz betreibt dafür in einem unscheinbaren Baucontainer in einem Grazer Hinterhof eine Demoanlage.

Dichte, weiße Dampfwolken steigen hier aus einem Behälter mit dem flüssigen Stickstoff auf. Diese patentierte Art der Vorbehandlung bei fast dreistelligen Minusgraden stoppt sämtliche chemischen Reaktionen innerhalb des Energieträgers. Die Batteriezellen werden „schockgefroren“, das anschließende Schreddern ist damit gefahrlos möglich. Am Ende bleibt ein Gemisch aus wertvollen Reststoffen, die einzeln herausgefiltert und wiederverwertet werden können. „Dadurch sparen wir 70 Prozent Rohstoffe ein“, rechnet Tobias Kopp, einer der Gründer, vor. 

Als erster Industriepartner konnte Samsung SDI Battery Systems gewonnen werden. 120 Tonnen beschädigte, aber auch „ausgemusterte“ Altbatterien stehen dort zur Verarbeitung bereit. Österreichweit schätzt man das Potenzial auf rund 600 Tonnen. Für Wachstum ist also gesorgt. „Da mit den Shreddern direkt bei den Auftraggebern gearbeitet werden kann, werden Gefahrenguttransporte obsolet“, streicht Kopp einen weiteren Vorteil der Innovation heraus.

Am Austrian Institute of Technology (AIT) geht man noch einen Schritt weiter und forscht an neuen Produktionsansätzen. Ziel ist es, Batterien aus Recycling-Materialien herzustellen. Dafür will man zum einen Altbatterien wiederverwerten, die derzeit nur zu etwa 40 Prozent recycelt und ansonsten verbrannt werden. Zum anderen wird mit alternativen Quellen wie Bergbaurückständen experimentiert, die teilweise viel Kobalt, Nickel und Mangan enthalten, oder mit Photovoltaikpaneelen, in denen Silizium verbaut ist.

Ein gänzlich anderes Anwendungsgebiet betreffend, aber im Sinne der Nachhaltigkeit ähnlich lohnend ist die Rückgewinnung und Aufarbeitung von im Boden gelösten oder gebundenen potenziellen Pflanzennährstoffen. Am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechniken in Stuttgart entwickelt man entsprechende Prozesse, um aus organischen Reststoffen wie Gülle, Gärresten und Klärschlamm sowie Abwässern beispielsweise Phosphor zurückzugewinnen. Es kann in weiterer Folge als hochwertiger, anwendungsspezifischer Dünger genutzt werden. 

Jede Menge Arbeit 

Auf weniger fruchtbaren Boden scheinen Aufrufe zum Verzicht zu fallen, um eine Wiederverwertung erst gar nicht notwendig zu machen. So wird sich laut UN-Umweltprogramm die Menge der weltweit produzierten Kunststoffabfälle bis 2060 verdreifachen, wobei etwa die Hälfte auf Deponien landet und weniger als ein Fünftel recycelt wird. Diese Quote zumindest heben will man unter anderem in Schweden, wo „Svensk Plastatervinning“ in Motala die größte Sortieranlage der Welt betreibt. Sie verarbeitet jährlich 200.000 Tonnen. Das entspricht in etwa der Gesamtmenge an Kunststoffverpackungen, die derzeit in Schweden auf den Markt gebracht wird. Mit Hilfe von Infrarotkameras wird der Abfall in zwölf verschiedene Kunststoffarten getrennt. Bis zu 95 Prozent aller Verpackungen können so recycelt werden. 

Ausgehen wird Anlagen wie diesen die Arbeit jedenfalls nicht.

Text: Klaus Höfler