Klimawandel

Geoengineering: „Gespräche finden hinter verschlossenen Türen statt“

David Keith von der Universität Chicago forscht darüber, wie wir die Erde mittels Geoengineering abkühlen könnten. Im Interview mit profil wird rasch klar: Der Geophysiker fühlt sich missverstanden.

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Geophysiker gehören normalerweise nicht zu der Gruppe Menschen, die Anfeindungen und Hass ausgesetzt sind. Bei David Keith ist das anders, er hat auch schon Morddrohungen erhalten. Der 60-Jährige forscht an der Universität von Chicago zum Thema Geoengineering – Techniken, um den Planeten abzukühlen. profil erreicht Keith Mitte vergangener Woche telefonisch am Flughafen. Es ist kein einfaches Gespräch: Die von Keith erforschten Methoden sind teils heftig umstritten – und der Wissenschafter ist seit Jahren mit Widerstand und Kritik konfrontiert. 

„Der Klima-Klempner“, so lautete der Titel eines „Spiegel“-Artikels über Sie aus dem Jahr 2014. Können Sie sich mit dieser Beschreibung identifizieren?
Keith:
Nein, das ist Bullshit. Ich bin Wissenschafter. Das ist die typische Art von Journalisten, alles aufzublasen, auf eine persönliche Ebene zu heben und Menschen Verantwortung zuzuschieben, die sie nicht haben. Das ist destruktiv, denn es bestärkt eine Weltsicht, die nicht mit der Realität übereinstimmt.
Die Mehrheit der Wissenschafter hält Versuche, das Klima zu beeinflussen, für äußerst riskant. Der Geophysiker Raymond Pierrehumbert bezeichnete Ihren Vorschlag, reflektierende Partikel in die Atmosphäre zu sprühen …
Keith
Um das klarzustellen: Das war nicht mein Vorschlag. Es gibt ihn seit 50 Jahren, da war ich sieben.
Sie verfolgen den Vorschlag …
Keith
Ich bin einer von vielen Forschern, die sich damit befassen. Die meisten, ich jedenfalls, sind sich bewusst, dass Solar Geoengineering große Risiken birgt. Fast niemand schlägt vor, es jetzt zu machen. Ich bestimmt nicht. Die Mehrheit ist dafür, das zu erforschen. Pierrehumbert gehört einer Minderheit an. (Pierrehumbert bezeichnete das Vorhaben, Aerosole in die Atmosphäre zu sprühen, als „wilde, totale, himmelschreiende Verrücktheit“, Anm.)
Forscher wie er warnen vor dem „moralischen Risiko“ des Geoengineering, weil die Menschheit dann weitermachen würde wie bisher und möglicherweise noch mehr CO2 emittieren würde. Was antworten Sie denen?
Keith
Das ist ein valides Argument. Ich war der Erste, der den Begriff „moralisches Risiko“ in diesem Zusammenhang erwähnt hat, nämlich in einem Artikel aus dem Jahr 2000.
Was kann man dagegen unternehmen? Carbon Capture hat prominente Unterstützer, darunter Öl- und Gaskonzerne. Warum sollten sie investieren, wenn nicht aus Eigeninteresse heraus: In der Hoffnung, dass die Technologie es ihnen ermöglicht, weiterzumachen wie bisher.
Keith
Was man unternehmen kann, um den CO2-Ausstoß zu verringern? Kämpfen wie verrückt! Auf den Straßen, für bessere Gesetze.
Muss es am Ende vielleicht beides sein: eine Reduktion des CO2-Ausstoßes und Geoengineering?

Ich habe viel riskiert und meine Karriere aufs Spiel gesetzt.

Keith
Ich denke nicht, dass Geoengineering sein muss. Wir brauchen eine Reduktion des CO2-Ausstoßes. Sie versuchen, mich in eine Schublade zu stecken, in die ich nicht gehöre. Ich habe mehr für die Reduktion von Treibhausgasen getan als die meisten anderen Wissenschafter. Ich habe viel riskiert und meine Karriere aufs Spiel gesetzt. Ich habe meine Stelle an der Universität von Calgary verloren, weil ich auf Korruption in der Ölindustrie hingewiesen habe. Also werfen Sie mir nicht vor, nicht genug für die Reduktion von Treibhausgasen zu tun.
Das habe ich nicht gesagt.
Keith
Sie stellen Suggestivfragen.
An der Universität von Chicago leiten Sie das Projekt „Climate Systems Engineering Initiative“. Erforscht werden verschiedene Methoden, darunter Solar Geoengineering und Carbon Capture. Wie weit sind Sie gekommen?
Keith
Wir sind eben erst dabei, Leute einzustellen. Von ihnen hängt ab, was dabei herauskommt. Bei der Initiative geht es um Klimaforschung und Systemtechnik, dazu gehören Technologien zu Solar Geoengineering und Carbon Removal wie die Methode, bei der man Gesteinsmehl in die Erde mischt.
Das Projekt „Scopex“, ein für 2021 geplantes Experiment zur Freisetzung von Partikeln in die Stratosphäre über Schweden, wurde nach Protesten abgesagt. Wird das Experiment an einem anderen Ort stattfinden?
Keith
Das weiß ich nicht, da müssen Sie den Scopex-Verantwortlichen Frank Keusch fragen. Möglich wäre es, denn es handelt sich um ein völlig triviales Experiment. Es stimmt nicht ganz, dass es in Schweden Proteste gegen das Projekt gab. Es gab einen Brief des „Samen-Rats“ (indigene Bevölkerung, Amn.), woraufhin die schwedische Regierung einseitig beschloss, die staatliche Raumfahrtbehörde anzuweisen, uns den Flug zu verwehren. Das ist etwas anderes als Proteste und verstößt meiner Auffassung nach gegen die schwedische Verfassung. Sie sollten die schwedische Regierung dazu befragen.
Der neue Supercomputer „Derecho“ soll Forschern helfen, die Auswirkungen von Solar Geoengineering zu untersuchen. Doch selbst die besten Modelle können nicht vorhersagen, was wirklich geschehen würde. Können wir dieses Risiko eingehen?

Hunderte wissenschaftliche Studien kommen zu dem Schluss, dass die Risiken von Solar Geoengineering geringer sind als der Nutzen.

Keith
Das ist nicht meine Entscheidung. Es geht um die Abwägung eines Risikos gegen ein anderes. Hunderte wissenschaftliche Studien kommen zu dem Schluss, dass die Risiken von Solar Geoengineering geringer sind als der Nutzen. Ich weiß von keinem einzigen, in dem das Gegenteil behauptet wird. Das bedeutet nicht, dass es keine Risiken gibt, aber wir müssen der Wissenschaft vertrauen. Wir wissen auch nicht, was bei einem weiteren CO2-Anstieg geschieht. Sicher ist: Die Berichterstattung und auch Ihre Fragen machen glauben, dass es sich bei der Forschung zum Solar Geoengineering und jener zu den Auswirkungen von CO2 um zwei verschiedene wissenschaftliche Modelle handelt.
Es ist meine Aufgabe, kritische Fragen zu stellen.
Keith
Sie fragen nicht nach den Gründen und den Nutzen von Solar Geoengineering.
Der Nutzen ist offensichtlich, weil damit der Planet gekühlt würde. Das ist doch der Punkt: Früher oder später könnte der Zeitpunkt erreicht sein, an dem eine Abkühlung anders nicht mehr möglich ist …
Keith
Das ist nicht der Punkt, es ist nicht zu spät. Wir sind nicht gezwungen, auf Solar Geoengineering zurückzugreifen. Es geht darum, die Risiken gegeneinander abzuwägen.
Glauben Sie wirklich, dass der Grenzwert von 1,5 Grad Erwärmung noch mit herkömmlichen Mitteln wie einer Reduktion des CO2-Ausstoßes erreicht werden kann?
Keith
Der Grenzwert von 1,5 Grad hat keine wissenschaftliche Signifikanz, das ist ein politisches Ziel. Es stimmt: Wenn man daran glaubt, dass dieser Grenzwert eingehalten werden muss, kann man argumentieren, dass dafür Solar Geoengineering nötig ist. Doch das ist ein falsches Argument. Die Welt ist nicht sicher bei 1,4 und gefährlich bei 1,6 Grad Erderhitzung. Die Frage ist: Sollte sich die Erde um zwei Grad erhitzen, ist es dann sinnvoll, Solar Geoengineering einzusetzen, damit es nur 1,6 oder 1,7 Grad werden?
Der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans fordert internationale Gespräche über die Risiken von Geoengineering. Offiziell ist noch nichts geschehen …
Keith
Es gibt durchaus internationale Gespräche, nur geschehen sie hinter verschlossenen Türen. János Pásztor, der ehemalige Klimaberater des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon, ist die vergangenen fünf Jahre um die Welt gereist, um mit Regierungen zu sprechen.
Sind Sie als Wissenschafter an diesen Gesprächen beteiligt?
Keith
Klar, ich war bei vielen Treffen dabei. Ich war in Bangladesch, Indien, Tunesien und vielen weiteren Ländern. Ich habe bei Gesprächen des Weltklimarats (IPCC) teilgenommen. Ich habe in den vergangenen Jahren Hunderte Treffen absolviert.

Ich finde, dass wir gerade über komplizierte, streitbare Themen reden sollten, die große Risiken mit sich bringen.

Wer entscheidet, wann und wie Geoengineering eingesetzt werden soll? Müsste es da nicht einen weltweiten Konsens geben?
Keith
Nein. Es müsste eine Koalition von Ländern sein, die das entscheidet. Die Behauptung, dass die Entscheidung einstimmig sein muss, ist realitätsfern.
Ist auch eine Koalition aus kleineren Ländern denkbar?
Keith
Ja, mir persönlich wäre am wichtigsten, dass kleine Demokratien eine Rolle spielen. Ich traue den großen Ländern nicht.
Die Vereinigten Staaten, in denen Sie leben und arbeiten, sind ein großes Land.
Keith
Ich traue der Regierung hier nicht besonders.
Die meisten Menschen halten Geoengineering für Science-Fiction. Wieso ist das Thema in der Öffentlichkeit dermaßen unterrepräsentiert?
Keith
Viele etablierte Wissenschafter und Politiker meinen, dass wir darüber nicht sprechen sollen. Das liegt am moralischen Risiko – eine ernstzunehmende Befürchtung. Ich finde aber, dass wir gerade über komplizierte, streitbare Themen, die große Risiken mit sich bringen, reden sollten.
Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.