60 Jahre Antibabypille: Wo bleiben die Alternativen?
In den vergangenen 60 Jahren hat die Pille die Realität der Frauen verändert wie keine vergleichbare Innovation. Mit ihrer Hilfe konnten sie mehr und mehr ihre ökonomische und gesellschaftliche Unabhängigkeit erreichen: "Erstmals war die Fruchtbarkeit an den Kinderwunsch anpassbar, während Frauen zuvor ihre Fruchtbarkeit als 'Gebärzwang' beschrieben." Christian Fiala, Gynäkologe und Leiter des Gynmed-Ambulatoriums, sieht die Erfindung der Pille als eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit.
Während sie anfangs, noch sehr hoch dosiert, mit zahlreichen Nebenwirkungen von sich reden machte, gehört die Pille heute zu den besterforschten Medikamenten der Welt und gilt als sehr sicher, was ihre Wirksamkeit und ihre Nebenwirkungen betrifft.
Trotzdem wenden sich immer mehr Frauen von ihr ab. Kritik an den verbleibenden Nebenwirkungen wird laut, befeuert durch exemplarische Klagen gegen Pharmafirmen und zahllose Erfahrungsberichte. Hormonelle Verhütung funktioniert seit Erfindung der Pille im Grunde immer noch gleich. Sollte sie mittlerweile nicht besser sein? Und wo bleiben die Alternativen wie die Pille für den Mann?
Die Pille für den Mann ist grundsätzlich ausgereift und liegt in der Schublade
"Die Pille für den Mann ist grundsätzlich ausgereift und liegt in der Schublade", ist sich Christian Egarter, Leiter der Klinischen Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der MedUni Wien, sicher, "nun bräuchte es für die Zulassung aber aufwändige Studien mit vielen Teilnehmern, zu denen derzeit keine Pharmafirma bereit ist." Denn mit Pillen, sei es für den Mann oder für die Frau, lasse sich aufgrund der niedrigen Preise und vieler Generika kaum noch Geld verdienen, so Egarter, "deswegen gibt es in diese Richtung wenig Forschung und kaum Neuerungen."
Susanne Martin, Geschäftsführerin der Gedeon Richter Austria GmbH, bestätigt das: "Größere Firmen haben sich bereits aufgrund des geringen Potenzials aus diesem Bereich zurückgezogen. Gedeon Richter ist eine der wenigen Firmen, die hier noch aktiv ist." Das Pharmaunternehmen arbeitet momentan an einer Pille, die besonders stoffwechselneutral und leberfreundlich sein soll. Das mit der Einnahme herkömmlicher Pillen verbundene geringfügig erhöhte Thromboserisiko soll so weiter gesenkt werden.
Eine Mini-Pille ohne Östrogen komme diese Woche auf den österreichischen Markt, so Christian Egarter. Eine völlig hormonfreie Pille auf Basis des "Selektiven Estrogen Rezeptor Modulators" Ormeloxifen, die man nur einmal die Woche einnimmt, ist in Europa hingegen nicht verfügbar, obwohl sie laut Egarter eine interessante Alternative wäre.
Bemühungen um neue Arten der Verhütung kämen heute oftmals von der Weltgesundheitsorganisation um Überbevölkerung einzudämmen, sagt Egarter. Das "Population Council" will auch weiterhin Optionen für Männer fördern, alternativ zu Kondomen und der Vasektomie.
Zwei Innovationen wird neben der Pille für den Mann eine reelle Chance auf Erfolg eingeräumt: Die Entwicklung eines Verhütungsgels sowohl für Männer als auch für Frauen ist weit vorangeschritten. Das Gel mit einer Mischung aus Hormonen wird täglich direkt auf die Haut aufgetragen und verhindert den Eisprung bei der Frau oder senkt die Spermienzahl beim Mann mit der Zeit auf ein Level, bei dem keine Befruchtung einer Eizelle mehr möglich ist. Eine weitere Methode, die reversible Sterilisation des Mannes durch das Einspritzen eines Kunststoffes in den Samenleiter, ist laut Egarter aber nicht ausgereift und hat auch Sicherheitsnachteile.
Viele Männer wären extrem motiviert zu verhüten
"Viele Männer wären extrem motiviert zu verhüten", ist sich Christian Fiala sicher. Im Österreichischen Verhütungsreport 2019 gaben immerhin 39 Prozent der befragten Männer an, dass sie eine reversible Verhütungsmethode für Männer sicher nützen würden. Würden nur 10 Prozent der interessierten Männer verhüten, könnte das bis zu 5 Prozent der ungewollten Schwangerschaften in den USA und bis zu 38 Prozent der ungewollten Schwangerschaften in Nigeria verhindern, so eine Studie aus 2018.
Trotzdem werden Tests zu Verhütungsmethoden für Männer eher wegen Nebenwirkungen abgebrochen als Tests mit Frauen, wie eine Studie 2019 zeigte.
Die Zukunft der Verhütung liegt also wohl weiterhin bei hormonellen Methoden für die Frau, wenn diese auch "Updates" bekommen könnten. So könnten Antibabypillen in Zukunft einen Mehrfachnutzen haben, also zum Beispiel gleich Eisen und Folsäure gegen Mängel mit enthalten oder etwa Androgene (männliche Hormone), um eine etwaige Störung der Lust auf Sex durch die Pille auszugleichen, meint Egarter. Auch die Möglichkeit einer vaginalen Verabreichung von Hormonen mit zum Beispiel Substanzen, die ein sexuelles Infektionsrisiko minimieren, wird in klinischen Studien untersucht und ist sehr vielversprechend.
Fiala wünscht sich in Zukunft vor allem bessere Aufklärung über die bestehenden Methoden: "Die Beratung ist tatsächlich nicht ausreichend, auch weil sie immer noch keine Kassenleistung ist. Ärzte können das Gespräch also nicht verrechnen." Als Beispiel für eine verbreitete Desinformation über die Pille nennt Fiala die "Pillenpause": "Den Frauen wird die Information vorenthalten, dass die Pillenpause nicht nur unnötig ist, sondern auch die Wirksamkeit der Pille vermindert."
Seit 4 bis 5 Jahren sehe ich dadurch mehr Abtreibungen in meiner Praxis
Die Pillenskepsis, die in den letzten Jahren um sich greift, können beide trotzdem nicht nachvollziehen: "Seit 4 bis 5 Jahren sehe ich dadurch mehr Abtreibungen in meiner Praxis", so Fiala: "Wir erleben einen Paradigmenwechsel. Es gibt für Frauen so viele Verhütungsmöglichkeiten wie noch nie, dennoch ist die Unzufriedenheit hoch", meint Fiala, "ich denke auch, weil die eigene Fruchtbarkeit unterschätzt wird. Tatsächlich wissen viele Frauen nicht, dass sie ohne Verhütung 13-15 Mal in ihrem Leben schwanger werden würden."
Das Thrombose-Risiko der kombinierten Pillen wiederum wird oft überbewertet und sei laut Egarter in absoluten Zahlen sehr gering, während eine Schwangerschaft bzw. das Wochenbett weit höhere Thrombose-Raten aufweisen würden. Natürlich könne es Zeit brauchen, die richtige Verhütung zu finden, bei der man keine Nebenwirkungen verspüre, so Fiala. Die Vorteile der Pille würden die Nachteile aber überwiegen.
Info: Wie funktioniert die Pille?
Die Pille enthält Hormone, die den weiblichen Geschlechtshormonen nachempfunden sind. Sie verhindern durch die tägliche Einnahme die Reifung einer Eizelle. Der Schleim im Gebärmutterhalskanal verdickt, wodurch Spermien nicht eindringen können. Auch der Aufbau der Gebärmutterschleimhaut wird vermindert, eine Eizelle könnte sich nicht einnisten. Die meisten gängigen Pillen sind Kombinationspillen. Das heißt, sie enthalten die Hormone Östrogen und Gestagen, jedoch in unterschiedlichen Zusammensetzungen, wodurch sich die Nebenwirkungen unterschieden können. Es gibt auch Pillen ohne Östrogen. Die Pille kann positive und negative Nebenwirkungen hervorrufen. Durch einen Langzeiteinnahme kann man bei Beschwerden zum Beispiel die Regelblutung verhindern. Zu den Nebenwirkungen können aber auch psychische Beeinträchtigungen, sowie ein geringfügig erhöhtes Thromboserisiko zählen.