„Und dann bringen sie dich um”

Marina Abramovic: „Und dann bringen sie dich um”

Interview. Marina Abramovic über Angst

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Interview: Stefan Grissemann

profil: Woher nehmen Sie die Energie, Ihre extrem kraftraubenden, bisweilen sogar lebensgefährlichen Performances durchzustehen?
Abramovic: Ich habe eine Theorie, die ich "Körperdrama“ nenne. Leute wie Michael Jackson konnten mit ihrer bloßen Präsenz Elektrizität herstellen. Ich bin nicht Michael Jackson, muss nicht mit solchen Menschenmassen umgehen. Aber ich kenne diese Energie, die im Publikum entstehen kann, wenn man in einer Performance alles gibt. Es ist schwer, sich vorzustellen, was in einem Künstler vorgeht, wenn er vor 100.000 Menschen auftritt und die dabei entstehende Energie nach Ende des Konzerts in seinem Körper bleibt. Dies ist eben das Körperdrama - und es ist leider so, dass man diese Energie nicht allein verarbeiten kann. Deshalb greifen Menschen zu Drogen, überdosieren ihre Hilfsmittel. Nur um runterzukommen, um sich wieder zu beruhigen. In östlichen Kulturen weiß man genau, wie man mit diesen Energien umzugehen hat, wie man sie positiv benutzen kann. In der westlichen Gesellschaft aber bringt einen diese Art der Energie um. Junge Künstler, die der Öffentlichkeit übermäßig ausgesetzt sind, wissen nicht, was sie mit diesem Sog, diesem Druck tun sollen.

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Aber ist es nicht so, dass auch Sie die Energie Ihres Publikums dringend brauchen?
Abramovic: Schon, aber zugleich muss ich einen Weg finden, damit umzugehen, dass die Zuschauer am Ende wieder gehen. Das ist ein unglaublicher wichtiger Augenblick jeder Performance.

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Was tun Sie also?
Abramovic: Ich habe eine Menge Trainings absolviert, wurde stark beeinflusst von tibetischen Mönchen, lerne von brasilianischen Schamanen, wie man Energie für sich verwandelt. Man muss sich das aneignen, andernfalls bringt einen diese Gesellschaft um. Denn die Gesellschaft tut allen Gewalt an, die sich öffentlich ausstellen. Sie machen dich zum Idol - und dann bringen sie dich um. Ich hatte in dieser Hinsicht Glück, denn mein Erfolg kam derart langsam, dass ich Zeit hatte, die Umstände zu ergründen, die ihn ermöglichten - und zu lernen, bestimmte Fehler nicht zu machen. Ich habe mir angewöhnt, mich nach jeder Performance, mit der ich sehr hoch ziele, in die Isolation zurückzuziehen. Man muss in die Natur: zum Meer, zu Wasserfällen und anderen Regenerationsorten.

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Was spielte sich ab, als Sie im Museum of Modern Art (MoMA) für elf Wochen täglich siebeneinhalb Stunden lang schweigend Ihr Publikum fixierten?
Abramovic: Dabei habe ich gelernt, wie man es schafft, damit umzugehen, dass jede einzelne Person, die mir gegenübersitzt, die Energie, die sie spendet, beim Gehen wieder mitnimmt. Ich empfange und gebe weiter. So setzt sich die Energie in mir nicht fest. Trotzdem ist man natürlich unglaublich verletzbar in einer solchen Situation. Man sitzt da wie mit einer offenen Wunde.

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Ihre MoMA-Show ist als Konzept ja ungeheuer simpel - und dennoch so viel stärker als all die komplizierten Performances, die Sie in den Jahrzehnten davor gestalteten.
Abramovic: Für mich kam irgendwann der Punkt, an dem ich auch noch den Tisch zwischen mir und meinem jeweiligen Gegenüber entfernen lassen musste. Aber darauf musste ich zwei Monate lang hinarbeiten. Denn nichts ist schwieriger zu erreichen als Einfachheit. Aber alles ist eine Frage des korrekten Bewusstseinszustands. Eine Show wie im MoMA hätte ich zu Beginn meiner Karriere, in den 1970er-Jahren, nie hingekriegt. Junge Künstler brauchen viel mehr Requisiten und Theater, um dahinter ihre Unsicherheit verbergen zu können.

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Wie konzipieren Sie denn Ihre Arbeiten? Im Rahmen Ihrer Rückzüge in die Natur?
Abramovic: Sicher nicht in New York. In der Stadt geht das nicht. Ideen müssen überraschend kommen. Aus heiterem Himmel. Ich mag keine Ateliers. Künstlerstudios sind tote Orte. Es sind eigentlich Büros. Die Ideen kommen irgendwo und irgendwann, wenn man sie am wenigsten erwartet: auf dem Weg in die Küche, beim Knoblauchschneiden, im Bad oder an der Bushaltestelle.

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Sie hatten den Regisseur Robert Wilson, mit dem Sie 2011 Ihre Autobiografie in ein Theaterstück verwandelten, eigentlich nur kontaktiert, um sich von ihm Ihr Begräbnis inszenieren zu lassen. Warum denken Sie mit Mitte 60 so intensiv über Ihren Tod nach?
Abramovic: Das ist doch wichtig. Vielleicht hat das mit der Kultur zu tun, in der ich aufgewachsen bin, aber ich denke, man kann das Leben nur genießen, wenn man auch zu sterben bereit ist. Man muss begreifen, dass man jeden Augenblick tot umfallen kann. Ich werde im November 66. Das ist ein bedenkliches Alter. Ich befinde mich jedenfalls in der letzten Phase meines Lebens. Natürlich habe ich keine Ahnung, wann ich wirklich sterben werde; das kann in fünf Jahren sein oder auch erst in 20. Aber das Ende ist nah - und damit muss man sich auseinandersetzen.

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Aus der Idee, gleichzeitig drei Begräbnisse in drei Städten zu inszenieren, machten Sie mit Wilson dann doch nur einen Theaterabend. Ganz ernst meinten Sie es also nicht, oder?
Abramovic: Doch, natürlich! Aber er handelte mich vorläufig auf eine Bühnenarbeit herunter, in der mein Leben und Sterben thematisiert wurden. Mein Interesse am Tod wurde übrigens auch durch Susan Sontag verstärkt, mit der ich während der letzten fünf Jahre ihres Lebens eng befreundet war. Susan war eine außerordentliche Person, sie inspirierte mich sehr.

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Sie erschien Ihnen fast überlebensgroß, sagten Sie einmal.
Abramovic: Ja, und dieses Gefühl hat man nicht oft im Leben. Sie hatte unglaublich viel Energie. Ich meine, sie war über 70, als sie starb, und sie hatte gegen drei Krebserkrankungen gekämpft, zweimal erfolgreich. Ihr Begräbnis fand Ende 2004 am Père Lachaise in Paris statt - denn die Amerikaner konnten mit ihr nicht mehr umgehen, nachdem sie in einem Fernsehinterview kurz nach 9/11 die Frage gestellt hatte, warum in den USA das Leben der eigenen Bürger eigentlich so viel mehr zähle als das anderer Menschen. Sie hatte natürlich Recht, berührte immer die entscheidenden Themen. Jedenfalls richtete Susans Sohn die Trauerfeier aus - und ich muss leider sagen, dass es das tristeste Begräbnis war, das ich je besuchte. Denn es entsprach nur seiner Sicht auf sie, hatte mit ihr nichts zu tun. Susan hat ein solches Begräbnis nicht verdient. Da begann ich nachzudenken - und fand schließlich, dass der eigene Tod die letzte Aktion sein müsste, die man als Künstler setzt. Ich kann mein Begräbnis selbst in Szene setzen, kann wissen, wie es aussehen wird, es zu einer letzten Performance gestalten. Also werde ich in Belgrad, Amsterdam und New York, jenen Städten, in denen ich am längsten gelebt habe, zeitgleich begraben werden - und die Welt im Ungewissen lassen, in welchem der drei Särge mein Körper liegen wird. Und danach will ich ein Fest. Die Sufis sagen, das Leben sei ein Traum, und erst mit dem Tod wache man auf. Deshalb will ich, wenn ich begraben werde, am Friedhof knallige Farben haben, Gesang und dreckige Witze. Ich hatte ein gutes Leben, und wir müssen ohnehin alle sterben, warum also trauern?

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Robert Wilsons hochartifizielle Ästhetik ist Ihrer eigenen eher fern. Warum wollten Sie Ihr Leben ausgerechnet von ihm bearbeitet wissen?
Abramovic: Andere Regisseure setzen immer gern meine Arbeit ein. Wilson aber erklärte mir, dass man mein Werk da nicht brauche, er wolle ja mein Leben, nicht meine Kunst zu fassen kriegen. Also nahm er meine Kindheits- und Jugendgeschichten, die zum Teil sehr traurig, destruktiv, auch beschämend sind - und ließ sie von dem Schauspieler Willem Dafoe in aller Öffentlichkeit interpretieren. Das machte mich während der Proben wirklich fertig, ich weinte jeden Abend. Aber bald wirkte das besser als jede Therapie: Indem ich mir diese Erzählungen, die ja von mir selbst handelten, immer und immer wieder anhörte, befreite ich mich davon.

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Wilsons Werk wirkte so stark auf Sie?
Abramovic: Ich erzähle Ihnen, nur um zu illustrieren, wie Bob arbeitet, eine dieser Geschichten aus meiner Kindheit, die ich nie vergessen werde: Meine Eltern hatten eine grauenhafte, auch gewalttätige Beziehung. In den 1960er-Jahren feierten sie dennoch ihr 20-jähriges gemeinsames Jubiläum - denn es war wichtig, dass von außen alles Familiäre perfekt aussah, innen konnte es ruhig verrottet sein. Nach der Party ging mein Vater in die Küche und tat, was er sonst nie tat: Er machte sich daran, die teuren Champagnergläser abzuwaschen. Ich sollte ihm beim Abtrocknen helfen. Aber schon das erste Glas, nach dem er griff, zerbrach. Als meine Mutter die Scherben sah, begann sie, ihm Vorhaltungen zu machen: wie sehr dieses Glas ihre Ehe repräsentiere, dass sowieso alles kaputt sei zwischen ihnen, dass er nicht einmal den Abwasch bewältigen könne und so weiter. Ihre Tirade, die immer bitterer wurde, dauerte geschlagene 40 Minuten. Während dieser Zeit schien für mich und meinen Vater die Zeit stillzustehen. Wir standen nur da und hörten zu, wie sie ihn anschrie. Als sie endlich aufhörte, fragte er nur, ob sie denn nun fertig sei, sie bestätigte, woraufhin er die noch verbliebenen elf Gläser, eines nach dem anderen, demonstrativ zu Boden fallen ließ. Er habe nämlich, sagte er dann ganz ruhig, vermeiden wollen, sich diese Rede noch elfmal anhören zu müssen. Dann ging er. Wilson nun bat Willem Dafoe, diese Geschichte in einer Szene elfmal zu wiederholen. Irgendwann ging diese Erzählung, die ich während der Proben und später auch in der Aufführung immer wieder hörte, so in meinen Verstand und meine Seele ein, dass sie seither keinen Schmerz mehr erzeugt.

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Sie behaupten, man könne von Misserfolgen viel mehr lernen als von Triumphen. Woran sind Sie denn gescheitert?
Abramovic: Mein größter Misserfolg war das Scheitern meiner Beziehung zu Ulay. Für mich war das auf Lebenszeit geplant. Ich fand, wir waren auf etwas so viel Höheres aus; wir wollten aus zwei kreativen Egos eine Kunst erschaffen, die keinen Egoismus mehr brauchte. Als wir uns 1988 trennten, konnte ich nicht mehr arbeiten. Drei Jahre lang war ich nicht imstande, mich einem Publikum auszusetzen. Ich tat so, als sei alles gut, konnte über unser Fiasko aber nicht reden. Unseren Abschied voneinander inszenierten Ulay und ich bekanntlich auf der Chinesischen Mauer. Wir gingen aus entgegengesetzten Richtungen aufeinander zu, jeder 2500 Kilometer, nur um uns am Ende zu trennen. Viele Menschen halten diese Aktion für eine Fantastische Arbeit, für mich ist sie ein eklatanter Misserfolg. Denn Ulay und ich waren nicht in der Lage gewesen, einige der dümmsten Dinge des Lebens zu überwinden, etwa Eifersucht oder Konkurrenzdruck auszuschalten. Ich musste also zu meiner eigenen Arbeit zurückkehren. Das war ein bedeutender Moment in meinem Leben: Ich war 41 und hatte nichts mehr.

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Irren Sie sich manchmal auch, was Ihre Performances betrifft?
Abramovic: Allerdings. Ich habe ein paar richtig schlechte Arbeiten gemacht. Einmal bemerkte ich nach 15 Minuten, dass die Aktion, die ich gerade begonnen hatte, einfach nicht gut, ganz falsch konzipiert war. Am Ende hatte ich, obwohl ich kurz davor noch völlig gesund gewesen war, hohes Fieber. Mein Misserfolg machte mich physisch krank - und zwar ganz unmittelbar.

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Wie fühlen Sie sich wenige Minuten vor einer Ihrer Performances?
Abramovic: Höllisch. Ich leide unter extremer Bühnenangst. Aber in der Sekunde, in der ich auf die Bühne trete, ist sie weg. Unlängst musste ich in London einen Vortrag halten, den der Musiker Antony Hegarty organisiert hatte - ein Referat nur für Frauen. Ich zögerte, da ich alles andere als eine Feministin bin, aber Antony überredete mich. Dann hatte ich drei Monate lang Angst davor. Und plötzlich war ich in einer Situation, die ich nie erlebt hatte: Ich stand vor 2500 Frauen, ohne Manuskript, wie immer, und auf einmal wusste ich ganz genau, was ich diesen vielen Menschen zu erzählen hatte. Da fand eine Übertragung statt. Seither weiß ich, was man unter weiblicher Energie versteht. Ich berichtete ihnen von der Kraft des Schmerzes. Und am Ende tat ich etwas, von dem ich vorher nicht geahnt hatte, dass ich es tun würde: Ich zog mich aus. Vor all diesen Frauen.

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Wieso denn?
Abramovic: Üblicherweise ziehen sich Frauen für Männer aus. Und ich habe so viele meiner Aktionen nackt absolviert. Inzwischen mache ich das kaum noch - aber nicht, weil mein Körper älter geworden ist, das ärgert mich nur als Privatperson, nicht als Performerin. Ich entschied also am Ende meiner Rede, mich auszuziehen. Ich stand einfach da, öffnete mich vor den Zuhörerinnen - und sie standen alle auf. Es war ganz still, und man konnte die Liebe, das Verständnis im Saal spüren. Ich weiß nicht, wie lange ich da stand, fünf, vielleicht zehn Minuten. Und niemand bewegte sich. Am Ende kam die Katharsis, man freute sich, man weinte, es war unglaublich. Diese Aktion ließ mich verstehen, dass die Energie, die mir gegeben wurde, eine Gnade ist.

profil: Woher rührt denn Ihr Misstrauen gegen den Feminismus? Ihre Arbeit gilt doch als radikalfeministische Kunst.
Abramovic: Zunächst glaube ich nicht an die Gender-Theorie. Kunst hat kein Geschlecht. Und dann hasse ich diese Prozentrechnerei, die besonders in Amerika gepflegt wird: Wie viele Frauen arbeiten in der Kunst? Wie viele Lesben schaffen es? Wie viele Afroamerikaner machen Karriere? Wie viele Puerto-Ricaner? Wen interessiert das? Kunst ist nicht demokratisch. Es gibt gute und schlechte Kunst. Die Frage, wer sie macht, ist unwichtig. Wer feministisch denkt, sitzt schon im Ghetto fest. Ich kämpfe seit Jahrzehnten dagegen an, als Frauenkünstlerin gesehen zu werden. Denn ich habe mich als Frau nie schwach gefühlt, sogar meist sehr überlegen, um ehrlich zu sein. Feminismus in der Kunst ist ein Stigma. Und ich habe nie in meinem Leben eine gute feministische Ausstellung gesehen. Das ist das Problem. Die glühendsten Feministinnen sind oft leider Sonntagskünstlerinnen.

profil: Aber es ist doch eine Tatsache, dass immer noch so viel mehr Männer in der Kunst reüssieren. Das liegt ja wohl nicht daran, dass sie grundsätzlich besser wären.
Abramovic: Das hat einen ganz simplen Grund: Frauen sind in der Regel nicht dazu bereit, so viel für die Kunst zu opfern wie Männer. Viele gute Künstlerinnen wollen eben auch eine Familie und Kinder - und Erfolg auf dem Kunstmarkt. Sobald man Kinder hat, geht das Gros der Energie aber eben an diese. Die schlechte Nachricht ist: Man hat nur eine Energiequelle.

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Sie haben nicht den Eindruck, dass die Benachteiligung von Frauen auch an Erziehungsfragen und etwa einer patriarchalen Gesellschaft liegen könnte?
Abramovic: Ich weiß nicht. Ich habe sehr bewusst auf Kinder verzichtet, meine Ehe hat auch nicht funktioniert. Mein Leben ist verrückt. Ich lebe nach Plan, hetze Terminen hinterher, arbeite wie wild. Und ich liebe das, würde es nie ändern wollen.


Marina Abramovic, 65,
geboren in Belgrad als Tochter eines serbischen Partisanenpaars, definiert seit den frühen 1970er-Jahren die Performance-Kunst neu. Abramovic ist bekannt für ihren oft drastischen Körpereinsatz, schreckt vor Selbstverletzung nicht zurück. Mit dem Künstler Ulay schuf sie zwischen 1976 und 1988 entscheidende Arbeiten. Ihre Beziehung zum Publikum lotet sie in immer neuen Facetten aus, zuletzt in einer fast dreimonatigen Aktion im New Yorker Museum of Modern Art.

Der Film
Im März 2010 wagte sich Marina Abramovic an eine neue Phase ihrer Karriere: mit einer aufsehenerregenden, elfwöchigen Performance, die bis Ende Mai dauern sollte. Siebeneinhalb Stunden täglich, sechs Tage die Woche, saß die Künstlerin im Foyer des Museum of Modern Art in New York je einem Menschen aus dem Publikum gegenüber - schweigend, so gut wie unbeweglich, verbunden mit ihrem jeweiligen Gegenüber nur durch anhaltenden Blickkontakt. Das klingt simpel, aber tatsächlich analysierte Abramovic das Verhältnis zwischen Performer und Publikum dabei auf unerhörte Weise. Diese Konfrontationen von Künstler-"Aura“ und Zuschauer-Unsicherheit zeichnet ein neuer, von Francesca Habsburg koproduzierter Dokumentarfilm auf: Die Österreich-Premiere von "Marina Abramoviæ - The Artist Is Present“ wird die Künstlerin als Gast der Viennale am 26.10. um 14 Uhr im Gartenbaukino persönlich präsentieren. Ab 9.11. wird der Film regulär im Kino laufen.


Die Ausstellung

Mit der Galeristin Ursula Krinzinger sieht sich Marina Abramovic seit Jahrzehnten verbunden. Bereits die allererste Ausstellung ihres Lebens außerhalb Belgrads habe sie in Krinzingers Galerie inszeniert, berichtet Abramovic - 1975, damals noch in Innsbruck. Bei der Gelegenheit habe sie auch die Wiener Aktionisten, insbesondere Hermann Nitsch, kennen gelernt. Übernächste Woche nun wird sie in der Galerie Krinzinger in der Wiener Seilerstätte Arbeiten aus einer neuen Serie namens "With Eyes Closed I See Happiness“ präsentieren: großformatige Abramovic-Porträts, als Protokolle "mentaler“ Aktionen konzipiert. Ergänzt werden diese Fotoarbeiten durch eine Reihe von Skulpturen, die Abdrücke von Körperteilen der Künstlerin zeigen - Ergebnisse einer spirituellen Forschungsreise nach Brasilien.

Marina Abramovic: With Eyes Closed I See Happiness. 26.10. bis 24.11., Galerie Krinzinger, Seilerstätte 16, 1010 Wien. Vernissage in Anwesenheit der Künstlerin: 25.10., 19 Uhr.