Gesellschaft

Ade Maria

Weil immer mehr Menschen behaupten, ihnen sei die Muttergottes erschienen, hat der Vatikan eine Prüfstelle eingerichtet. Ihre Leiterin, die Nonne Daniela del Gaudio, will den Gläubigen lieber nicht glauben.

Drucken

Schriftgröße

Fotos: Fabian Zapatka

Daniela del Gaudio kennt die Jungfrau Maria gut. Seit vielen Jahren spricht sie mit ihr, morgens nach der Andacht und nach der Vesper, dem Abendgebet. Maria von Nazareth, sagt sie, sei eine Frau, die Freude schenkt. Eine Mutter, die ein Ohr hat für jeden Menschen, seine Nöte, seine Bitten. Maria greife in das Leben der Gläubigen ein, zu ihrem Besten. Sie sei ein Geschenk an uns. Del Gaudio will dieses Geschenk schützen vor Menschen, die Marias Gnade missbrauchen – aus religiöser Schwärmerei oder böswilliger Geschäftemacherei.

Neben der prächtigen Basilica di Sant’Antonio in der Via Merulana in Rom liegt ein Franziskanerkonvent. „Ave Maria“ steht über der Klingel: Gegrüßt seist du, Maria. Hinter den Klostermauern versucht Daniela del Gaudio den Überblick zu behalten. Sie leitet die im Frühjahr 2023 eingerichtete „Beobachtungsstelle für Erscheinungen und mystische Phänomene im Zusammenhang mit der Gestalt der Jungfrau Maria“. Weltweit wollen mehr Menschen als jemals zuvor Maria gesehen haben. In den Berichten – es sind Dutzende allein aus den vergangenen drei Jahren –, die sie im Kapitelsaal des alten Klosters liest, geht es um Blut weinende Statuen der Muttergottes, es geht um Weissagungen, welche die Gläubigen von der Jungfrau erhalten haben wollen, und um die Genesung unheilbar Kranker. Manchmal ist del Gaudio verärgert, wenn sie von den vermeintlichen Erscheinungen Marias erzählt, und manchmal richtig wütend.

Zum Beispiel, wenn sie von den Ereignissen im Städtchen Trevignano Romano liest, knapp 50 Kilometer nördlich von Rom. Dort kommen einmal im Monat Gläubige auf einem Hügel zusammen. In ihrer Mitte Gisella Cardia, eine selbst ernannte Seherin, die Botschaften von Maria über den bevorstehenden Weltuntergang empfangen will. Dasgeschieht vor einer von Cardia selbst errichteten lebensgroßen Marienstatue, die Tränen aus Blut vergießt. Anstatt wie Jesus Wein und Fisch soll Gisella Cardia Pizza und Gnocchi vermehren. Das italienische Staatsfernsehen RAI hat bereits mehrmals in Livesendungen von ihren Auftritten berichtet. Bei dem Namen Trevignano reagiert Daniela del Gaudio genervt. Mittlerweile hat der Vatikan offiziell erklärt, dass die Erscheinungen „nicht übernatürlichen Charakters“ seien, einen öffentlichen Kult untersagt und die angebliche Seherin zu einem „Weg der Läuterung“ aufgerufen.