"Mainstream-Feminismus meint: Je mehr man kauft, desto feministischer ist man"

Ein Gespräch mit der Autorin Rafia Zakaria über den Mythos der Selfmade-Superfrau und Kriege, die im Namen der Frauen geführt werden.

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In den USA sorgte ihre Streitschrift "Against White Feminism" für heftige Diskussionen: Die amerikanischpakistanische Rechtsanwältin Rafia Zakaria rechnet darin mit dem Mainstream-Feminismus ab, der viele Women of Color ausschließe, die tägliche Diskriminierung erleben. Weiße* Feministinnen müssten endlich lernen, dass es nicht immer nur um ihren Blick auf die Welt gehe. Zakaria wurde in Pakistan geboren, mit 17 ergriff sie durch eine arrangierte Ehe die Gelegenheit, in die USA auszuwandern. Das Gespräch fand über Zoom statt.

profil: Viele Feministinnen fragen sich: Warum soll ich mich eine weiße Feministin nennen? Wir ziehen doch alle am selben Strang.
Zakaria: Das ist ein häufiger Kritikpunkt an meinem Buch: Meine Haltung würde uns trennen und die feministische Bewegung schwächer machen. Aber das ist ein arrogantes Argument. Eine schwarze Feministin würde sagen: Wir waren doch schon immer getrennt, ihr habt es nur ignoriert. Mein Ziel war es, etwas sichtbar zu machen, für das es bisher keine Sprache gibt. Weil sich die feministische Bewegung zu einer Zeit bildete, als Kolonialismus, Imperialismus und weiße Vorherrschaft die Norm waren. Ich sehe mein Buch als Rettungsprojekt für den Feminismus. Eine bittere Medizin, die man nehmen muss, um weiterzukommen.

profil: Weiß bezieht sich nicht nur auf die Hautfarbe, oder?
Zakaria: Ich verstehe Weißsein nicht als biologische Konstante. Auch eine schwarze Frau kann eine weiße Feministin sein. Es geht um eine Reihe von Praktiken und Ideen, die aus dem Fundament der weißen Vorherrschaft entstanden sind.

profil: Woran krankt der aktuelle Feminismus?
Zakaria: Wir erleben eine Art von Mainstream-Feminismus, bei dem es darum geht, dass Frauen mächtig sind, wichtige Positionen einnehmen und sich ein Leben in Luxus und Wohlstand leisten können. Je mehr man kauft, desto feministischer ist man. Die ganze Idee des Girlboss-Feminismus, also starke Frauen, die sich in der Männerwelt durchsetzen, basiert auf dem Konzept, möglichst viel Geld zu machen. Dieses Erfolgsmodell soll in den Rest der Welt exportiert werden.

profil: "Sex and the City"-Lifestyle für alle?
Zakaria: Ich beschreibe in meiner Einleitung einen Abend in einer schicken Bar in Manhattan mit fünf erfolgreichen Frauen aus der Medienbranche. Natürlich kommt irgendwann die Frage, wie ich von Pakistan nach Amerika gekommen bin. Soll ich die Wahrheit erzählen? Dass ich als minderjährige Braut mit meinem 13 Jahre älteren Mann eingewandert bin, von häuslicher Gewalt betroffen war, mit meinem Kind ins Frauenhaus geflüchtet bin und mich dann als alleinerziehende Mutter als Jura-Studentin durchschlagen musste? Ich wusste, ich würde betretene Blicke ernten, und der Abend wäre gelaufen. Ich entschied mich für eine Version, die sie verstehen: Ich kam mit meinem Mann zum Studieren in die USA. Er war ein Idiot, also habe ich mich scheiden lassen und es nie bereut.

profil: Es gibt also eine Kluft an Erfahrungen?
Zakaria: Ich denke nicht, dass alle weißen Feministinnen schlechte Absichten haben. Aber sie erkennen nicht, dass die Realität für viele Frauen anders aussieht. Es gibt diesen Gedanken der internationalen Schwesternschaft. Aber der Effekt ist, dass Frauen, die nicht hineinpassen, einfach nicht über ihre schrecklichen Erfahrungen reden. Weiße Feministinnen übersehen, dass jemand, der nicht weiß ist, dauernd diese Schwesternschaft erst herstellen muss: Ich bin auch wie ihr!

profil: Warum wollen weiße Frauen das nicht hören?
Zakaria: Weil sie das vorherrschende Narrativ glauben, dass sie es geschafft haben, weil sie so hart gearbeitet haben. Sie wollen sich nicht mit der Tatsache konfrontieren, dass Teile ihres Erfolgs darauf beruhen, dass sie weiß sind. Dass sie Möglichkeiten hatten, die People of Color, schwarzen oder asiatischen Frauen nicht zur Verfügung stehen. Wir sind geprägt vom Mythos der Selfmade-Superfrau, einem Individualismus, der jedem und jeder die gleichen Möglichkeiten bietet. Aber das stimmt nicht. Es gibt Frauen, die an der Frontlinie sind, als Arbeiterinnen, in Frauenhäusern oder alleinerziehende Mütter, aber ihre Erfahrungen zählen nicht besonders viel in der feministischen Elite.

profil: Ist Ihr Buch also auch eine Kritik am Kapitalismus?
Zakaria: Absolut. Es heißt, der Feminismus hätte seinen Ursprung, als weiße Frauen anfingen, für ihr Wahlrecht zu kämpfen. Es gab aber zur selben Zeit und auch davor schon Women of Color und schwarze Frauen, die in anderen Teilen der Welt für ihre Rechte und gegen koloniale Besatzungen kämpften. Wie unser Leben verlaufen kann, hängt davon ab, wo wir geboren werden. Man hat durch diesen Zufall unterschiedliche Rechte und Ressourcen.

profil: Was kann ich tun, ohne mich ständig schuldig zu fühlen und gerade deshalb wieder alles falsch zu machen?
Zakaria: Jeder von uns hat Privilegien, sogar der ärmste Mensch findet jemanden, der noch ärmer ist. Die eigenen Privilegien zu verstehen und zu akzeptieren, führt automatisch dazu, anders zu handeln, sensibler zu werden. Es geht darum, anderen, die weniger Macht haben, mehr Raum zu geben. Ihnen zu ermöglichen, im Zentrum zu stehen - und ihre Sicht der Dinge zu erklären.

profil: In Österreich werden Morde an Frauen in den Medien noch immer oft als "Familientragödien" bezeichnet. Was läuft da schief?
Zakaria: Wenn eine Frau im Westen von ihrem Mann getötet wird, ist das in der öffentlichen Wahrnehmung eine Ausnahme. Es geht nie darum, das System zu hinterfragen, das diese patriarchale Gewalt möglich macht. In Pakistan, Indien und im Mittleren Osten ist hingegen eine falsche Kultur daran schuld. Aber was sind Ehrenmorde anderes als Familienangelegenheiten? Daran kann man sehen, wie White Supremacy arbeitet. Weißer Feminismus basiert auf der Annahme, dass weiße Frauen stärker sind. Dabei ist in den USA häusliche Gewalt bei Frauen unter 30 die Haupttodesursache. Es sind Femizide-egal wo auf der Welt sie passieren.

profil: Der Krieg der USA in Afghanistan wurde auch damit gerechtfertigt, dass dabei für die Rechte von Frauen und Mädchen gekämpft würde.
Zakaria: Ich kann nicht applaudieren, wenn die USA Menschen bombardieren, weil sie nachher Schulen bauen möchten, damit die Frauen keine Burka mehr tragen müssen. Da wurde uns eine schöne Idee verkauft: Die Anwesenheit des Westens liefert Frieden und befreit die Frauen. Keiner hat sich die Realität genau angeschaut. Vielleicht waren die USA ja aus Rache wegen 9/11 dort. So aber wurde ein Krieg moralisch legitimiert. Und seitdem die USA aus Afghanistan abgezogen sind, werden Frauen, die sich organisieren, als Kollaborateurinnen diskreditiert.

*Die Begriffe weiß und schwarz werden kursiv geschrieben, um zu markieren, dass es sich um keine biologischen Zuschreibungen handelt.

Zur Person:

Rafia Zakaria ist Autorin, Anwältin und Aktivistin. Sie setzt sich weltweit für Menschenrechte ein. Von 2009 bis 2015 war sie Teil des Aufsichtsrates von Amnesty International USA. Artikel von ihr erschienen im "Guardian" und in der "New York Times". Zakaria wuchs in Karatschi auf und lebt heute in Pakistan und den USA. 2021 ist ihre Kampfschrift "Against White Feminism" erschienen, die nun auch auf Deutsch vorliegt.

Rafia Zakaria: Against White Feminism Wie weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert. hanserblau Verlag. 256 S.,EUR 18,50

Karin   Cerny

Karin Cerny