ÖFB-Star Aleksandar Dragović: "Die Situation ist dramatisch"
profil: Der Trainingsbetrieb bei Ihrem Club Bayer Leverkusen liegt auf Eis, die Bundesliga pausiert mindestens bis zum 30. April. Wie lebt es sich als Fußballer im Home-Office? Aleksandar Dragović: Ich habe schon immer parallel zum Mannschaftstraining mein persönliches Programm abgespult. Jetzt, wo das Training mit den Teamkollegen wegfällt, sind die individuellen Umfänge etwas größer geworden - aber das ist nicht das Thema. Die Herausforderung ist vielmehr der mentale Faktor - da geht es einem Fußballprofi nicht anders als anderen. Die Verunsicherung ist nicht zu leugnen, keiner weiß wie es weitergeht. Hinzu kommt die Sorge um Eltern, Großeltern und Freunde. Ich kann im Moment nicht persönlich für sie da sein. Das zu akzeptieren fällt mir extrem schwer. Ich hoffe, dass sie gesund und vernünftig bleiben.
profil: Haben Sie Kontakt zu Ihren Mannschaftskollegen? Wie geht das Team mit der derzeitigen Situation um? Aleksandar Dragović: Klar tauschen wir uns aus, wir sitzen schließlich alle im selben Boot und haben die gleichen Sorgen. Alle sind bei ihren Familien, spulen ihr Programm ab, halten sich an die ausgegebenen Regeln. Ich telefoniere viel, sowohl mit meinen Mitspielern in Leverkusen als auch mit den Jungs vom Nationalteam.
Es war mir immer klar, dass es Wichtigeres als den Sport gibt.
profil: Verschieben sich in Zeiten wie diesen die Prioritäten? Wird einem plötzlich viel bewusster, dass es wichtigere Dinge als Sport gibt? Aleksandar Dragović: Es war mir immer klar, dass es Wichtigeres als den Sport gibt - so drastisch, wie einem das jetzt vor Augen geführt wird, habe ich es aber noch nie wahrgenommen.
profil: Die Europameisterschaft wurde um ein Jahr auf 2021 verschoben – ist das für Sie die bestmögliche Lösung, die man finden konnte? Aleksandar Dragović: Das Turnier im Winter zu spielen war sicher eine Überlegung wert, da aber niemand weiß, wie lange dieser Zustand anhält, war die Verschiebung auf 2021 die einzig richtige Option.
Die TV-Gelder sind speziell für die kleineren Vereine überlebenswichtig.
profil: Es wird derzeit viel diskutiert, wie es mit den Wettbewerben in dieser Saison weitergehen soll. Sie sind mit Bayer Leverkusen sowohl in der Liga als auch in der Europa League vertreten. Sollte man die internationalen Bewerbe im Zweifelsfall absagen, um die Meisterschaft fertig spielen zu können? Aleksandar Dragović: Aktuell ist sowohl das eine als auch das andere schwer vorstellbar. Wenn wir die Möglichkeit haben, die Meisterschaft ohne gesundheitliches Risiko für alle Beteiligten zu Ende zu spielen, sollten wir das tun. Auch, wenn dafür die internationalen Bewerbe auf der Strecke bleiben und es Geisterspiele geben sollte. Die TV-Gelder sind speziell für die kleineren Vereine überlebenswichtig, die Fans könnten zumindest vor dem Fernseher mitfiebern und bekämen zudem etwas Abwechslung geboten.
profil: Sie haben es angesprochen: Vor allem für die kleineren Clubs in den Ligen geht es derzeit um die wirtschaftliche Existenz. Muss man da auch im Fußball näher zusammenrücken und Solidarität zeigen? Aleksandar Dragović: Das wäre wünschenswert. Die Situation ist dramatisch, es ist eine soziale und wirtschaftliche Herausforderung für alle. In der Regel rückt man in einer Krise zusammen, versucht gemeinsame Lösungen zu finden. Ich hoffe, das gelingt auf allen Ebenen - auch im Fußball.
Wenn wir aus dieser Krise nichts lernen, wäre das fatal und sehr bedenklich.
profil: Wie wird Ihrer Meinung nach die Fußball-Welt nach Corona aussehen? Wird der ganze Betrieb möglicherweise sogar wieder eine Spur „menschlicher“ und weniger aufs Finanzielle ausgerichtet? Aleksandar Dragović: Es wäre wünschenswert, aber ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob und was sich ändern wird. Klar werden in absehbarer Zeit keine Mega-Transfers mehr abgewickelt werden, da schlichtweg das Kapital fehlt. Aber das gesamte Ausmaß der Konsequenzen ist für mich einfach nicht greifbar. Erst gilt es diese Krise zu managen und in den Griff zu bekommen. Wir müssen gesund bleiben und hoffen, dass wir alle bald wieder in die Normalität zurückkehren können. Aber eines ist schon klar: Wenn wir aus dieser Krise nichts lernen, wäre das fatal und sehr bedenklich.
Zur Person
Aleksandar Dragović, 29, wurde in Wien geboren und spielte im Nachwuchs von Austria Wien. 2008 wurde er in den Profi-Kader aufgenommen und absolvierte bis 2011 67 Bundesliga-Spiele für die "Veilchen". Danach wechselte er zum FC Basel und wurde drei Mal in Folge Schweizer Meister. Es folgten drei Jahre bei Dynamo Kiew, bevor er im Jahr 2016 zu seinem jetzigen Verein Bayer 04 Leverkusen wechselte. Für das ÖFB-Team bestritt Dragović bisher 80 Länderspiele und erzielte dabei ein Tor.