Lena Leibetseder

Alltagsgeschichte: Survival-Training im Billa am Franz-Josefs-Bahnhof

Um Verletzungen vorzubeugen, sollte man besser nicht in den am Sonntag geöffneten Geschäften einkaufen.

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In Berlin gibt es Spätis, in Wien die Billas am Praterstern und am Franz-Josefs-Bahnhof, die täglich von sechs in der Früh bis um zehn am Abend geöffnet haben. Dadurch, dass die Kundschaft, die sich sonst während der regulären Öffnungszeiten auf die unzähligen Lebensmittelgeschäfte in Wien aufteilt, an Sonntagen und in den Abendstunden auf die beiden Billas konzentriert ist, entwickelt sich das Einkaufen oft zu einem Überlebenskampf. Oder zumindest um einen Kampf um die letzte Packung Salami.

Die Zangen, mit denen man sich das Gebäck aus der Semmerlselbstbedienstation fischt, sind spätestens am Nachmittag alle unauffindbar, manchmal findet man zufällig eine vergraben unter Zwiebeln oder Erdäpfeln. Es empfiehlt sich aber in Zeiten der Zangenabstinenz eher auf die abgepackten Baguettes und Brotlaibe neben der Station zurückzugreifen, weil die meisten Leute einfach skrupellos mit ihren dreckigen U-Bahn-Fingern alle Croissants oder Mohnflesserl anfassen. Es gibt Gerüchte, dass alle Sommergrippewellen in Wien ihren Ursprung in den Backboxen der am Sonntag geöffneten Lebensmittelgeschäfte haben.

Vor dem Kühlregal entbrennt ein Kampf um die letzte Bio-Halbfettmilch zwischen einem jungen Ehepaar und einem Studenten. Ich überlege, ob ich die Milch eher dem Ehepaar gönne, damit sie Grießbrei für ihr Kind machen können, oder dem Studenten, damit er mit seinem Hauptnahrungsmittel Cornflakes über die üblicherweise finanziell dünnen Sommermonate kommt. Plötzlich klirrt es laut im Gang nebenan. Ein mittelalter Mann hat die Kontrolle über seinen Einkaufswagen verloren und ist direkt in das Rotweinregal gecrasht. Bevor der Mitarbeiter das auf Rutschgefahr hinweisende Schild aufstellen kann, haben die Kunden den Wein bereits über den gesamten Gang verteilt und schlittern von der Weißweinabteilung zu den Spirituosen. Es riecht jetzt so wie in einem der Studentenlokale am Gürtel und auf dem Weg zur Kassa klirren, wie am Gürtel, Scherben unter den Füßen.

Die Schlangen reichen bis zurück zu den Gefrierschränken. Wären die Kassen im Billa eine Attraktion in einem Vergnügungspark, bei dem vor dem Anstellbereich die Wartezeit angezeigt wird, würde neben der 30-Minuten-Anzeige außerdem eine Warnung für Schwangere, Leute mit Herzfehler und kleine Kinder stehen. Die linke Hand der Kassafrau scannt hastig die Produkte, die rechte knetet einen stark strapazierten Stressball in ihrem Schoß. Die Leute boxen und zwicken, um einen besseren Platz zu bekommen, immer wieder entwickeln sich Tumulte und Handgemenge. War schon das Gedränge vor den Kühlregalen eine Herausforderung, unbeschadet aus dem Kassabereich zu kommen ist die wahre Aufgabe. Meine Devise heißt unauffällig bleiben und wenn möglich das nächste Mal nicht zu den Stoßzeiten und in weniger frequentierten Lebensmittelgeschäften einzukaufen. Da ist das Verletzungsrisiko auch geringer.

Lena Leibetseder ist Volontärin bei profil und schreibt über den Alltag in Wien.