Anthony Bourdain: Auf eine Nudelsuppe mit Barack Obama
Als der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika tatsächlich höchstpersönlich aufkreuzte, sich mitten in Hanoi auf einen bunten Plastikhocker setzte, einheimisches Bier und eine Portion Bun Cha bestellte, verzog er keine Miene und setzte souverän zum Small Talk an: "Wie oft schleichen Sie sich eigentlich raus und gehen auf ein Bier?"Als er bei einem vorweihnachtlichen Besuch in Wien vom Wesen und Wirken des Krampus erfuhr, schüttelte er den Schreck mit einer mitternächtlichen Käsekrainer ab. Und als er die urbanen Ruinen von Detroit durchstreifte, erinnerte er sich, ganz Weltenbummler, an Angkor Wat und Machu Picchu: "Aber im Gegensatz zu Angkor leben hier noch Menschen. Das vergessen wir gerne."
Er selber hat die Menschen nie vergessen. Der große New Yorker Koch (Les Halles), Autor ("Kitchen Confidential") und TV-Dokumentarist ("No Reservations", "Parts Unknown") Anthony Bourdain hat in seinen Büchern und Sendungen der Welt die Welt erschlossen. Und was noch viel wichtiger ist: Er hat sich dabei nie auf seine Vorurteile und Annahmen verlassen, sondern immer nur auf das, was er vor Ort erlebte, sah, hörte und schmeckte.
Es lässt sich mit gutem Grund behaupten, dass Bourdain, der sich im Juni 2018 das Leben nahm, ein Geburtshelfer des internationalen Foodie-Jetsets war, ein erster prominenter Vertreter jener inzwischen ja sehr weit verbreiteten Ansicht, dass Restaurants, Fisch-und Grünmärkte genauso gute Reiseziele darstellen wie Kirchen, Museen, Strände oder Fußballstadien.
Allerdings bewies er dabei doch wesentlich mehr Gespür für die Orte, die er besuchte und mit allen Sinnen aufnahm, als die meisten zeitgenössischen Fresstouristen. Er erklärte, was sich in Phnom Penh zugetragen hat und wie sich dies bis heute auswirkt, er ließ Rom als den surrealen Fellini-Traum erscheinen, der es wohl ist, und er ließ seinen Gedanken immer freien Lauf, hinweg über Ebenen und Meere und Berge - und Berge von Essen.
Nun, dreieinhalb Jahre nach seinem Tod, erscheint mit "World Travel" ein von seiner langjährigen Mitarbeiterin Laurie Woolever kompilierter, kulinarisch grundierter Reiseführer, der diesen Bourdain'schen Geist der gastronomischen Weltwahrnehmung noch einmal zelebriert: aufmerksam, wohlwollend, mit einem Sinn für Geschichte, Gesellschaft und die soziale Bedeutung von Street Food und Sonntagsbraten. "World Travel" enthält grundlegende Informationen zu 43 Ländern mit zig Destinationen, Bourdain-Zitate zu Regionen, Leuten und Restaurants (großteils aus seinen TV-Shows übernommen) sowie neue Beiträge von Freunden und Weggefährten, seinem Bruder Christopher, aber etwa auch von dem Chicagoer Musikproduzenten Steve Albini oder der TV-Produzentin Nari Kye. In Wirklichkeit ist dieser "gnadenlos subjektive Reiseführer" aber wohl gar kein Reiseführer, sondern vielmehr ein Lexikon. Nachschlagen soll, wer die Welt erfahren will.